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Immobilien: Solventer Mann im besten Alter sucht WG

Wohngemeinschaften haben schon lange nichts Anrüchiges mehr. Aus dem sozialen Experiment ist eine pragmatische Lebensgemeinschaft geworden – an der sogar Menschen über 40 Freude haben

Verena Lubecki hat ein klares Persönlichkeitsprofil vor Augen: „Wichtig ist“, sagt sie, „dass jemand eigenständig aber trotzdem teamfähig ist.“ Als weitere Eigenschaften seien Kommunikationsfähigkeit und Verlässlichkeit gefragt – voneinander abgrenzen müsse man sich bei Bedarf aber auch, so die Psychologin. Verena Lubecki beschreibt hier nicht den idealen Mitarbeiter. Die 29-Jährige spricht vom Alltag in ihren eigenen vier Wänden. Verena Lubecki lebt in einer Wohngemeinschaft. Mit einem Webdesigner, einem Sozialarbeiter und einer Studentin teilt sie 180 Quadratmeter in Friedrichshain.

Die jüngste Mitbewohnerin ist 26, der älteste 35. Und anders als für viele Studenten, die sich aus finanziellen Gründen für eine WG entscheiden, ist für Petra Beck und Verena Lubecki das gemeinsame Wohnen keine Zwischenlösung. Beide sind überzeugt, auch in 20 Jahren noch „in irgendeiner Form gemeinschaftlich zu wohnen“. Damit liegen sie im Trend. Hauseigentümer bestätigen, dass sie große 6- und 7-Zimmer-Wohnungen immer öfter an mehrere berufstätige Einzelpersonen vergeben. Eine genaue Zahl, wie viele Wohngemeinschaften in Berlin existieren, gibt es zwar nicht, weil die Statistik WG-Bewohner als Singles erfasst. Doch wer die Zeitung aufschlägt, findet zahlreiche Angebote: Studenten-WGs, aber häufig auch Inserenten, die 25 bis 40 Jahre alte Bewohner suchen. Auch Wohngemeinschaften, in denen Familien oder junge mit älteren Menschen zusammenleben, sind keine Seltenheit.

Dafür gibt es viele Gründe: In der Single-Hauptstadt Berlin leben viele Menschen ohne festen Partner, die sich soziale Kontakte wünschen. Deshalb ist gerade für die 25- bis 35-Jährigen die WG eine interessante Wohnform. Viele haben noch keine Familie gegründet und sind beruflich so eingespannt, dass sie wenig Zeit zu Hause verbringen. Da hat eine große WG-Wohnung Vorteile: Man kann öfters Gäste einladen und auch mal ein paar Tage unterbringen. Man muss keine teuren Haushaltsgeräte selbst anschaffen. Und die Miete ist meistens geringer als für eine kleine Wohnung.

Weil Wohngemeinschaften schon lange nichts mehr Anrüchiges anhaftet, werben nun sogar auch Vermieter aus eigenem Interesse gezielt für solche Projekte. Eine 200 Quadratmeter große Wohnung kostet leicht 1200 bis 1800 Euro Miete. Viel Geld für eine einzelne Person. Dagegen sind die 300 Euro für ein Zimmer in einer solchen Wohnung erschwinglich für fast jeden. Und wenn sich alle WG-Mitglieder vertraglich zur Zahlung verpflichten, ist für den Vermieter das Risiko eines Mietausfalls gering.

Für das gemeinsame Leben in WGs bedarf es gemeinschaftlicher Regeln. Wer für die Wohnung haftet, hängt von der Gestaltung des Mietvertrags ab. Oft ist einer der Bewohner Hauptmieter und alle anderen sind Untermieter. Voraussetzung hierfür ist, dass der Hauseigentümer dem Hauptmieter eine generelle Untermieterlaubnis erteilt. Der Nachteil für den Hauptmieter: Er haftet allein für die Miete und für etwaige Schäden an der Wohnung. Dafür kann er jedoch auch die Wohnung kündigen, ohne hierfür das Einverständnis der Untermieter einzuholen.

Natürlich können auch alle Bewohner als Hauptmieter den Vertrag unterzeichnen. Dann können sie nur gemeinsam den Vertrag auflösen. Und jeder haftet für die Wohnungsmiete sowie für etwaige Schäden in voller Höhe. Das Geld müssen sich Betroffene notfalls auf dem Gerichtsweg von säumigen Mitbewohnern zurückholen.

Eine dritte Vertragsvariante: Die Nutzung der Wohnung als WG wird im Mietvertrag erwähnt. Der Vorteil: Der Vermieter muss dann „zumutbare neue Personen“ in das Vertragsverhältnis aufnehmen – und den ausziehenden Mieter aus dem Vertrag entlassen. Auch in diesem Fall gelten alle WG-Mitglieder als Hauptmieter und haften gesamtschuldnerisch.

Hartmann Vetter, Geschäftsführer des Berliner Mietervereins rät WG-Mitgliedern außerdem zum Abschluss eines Gesellschaftsvertrages. Das erspare Streit, wenn jemand auszieht, weil in dem Gesellschaftsvertrag beispielsweise steht, wem welche Gegenstände im gemeinsamen Haushalt gehören.

Ohne Verträge mit Vermietern kommt man in zwei ehemals besetzten Häusern in Moabit und Schöneberg aus. Das Haus in der Jagowstraße gehört den Bewohnern heute selbst und in der Bülowstraße gibt es einen Pachtvertrag für 25 Jahre mit der Wohnungsbaugesellschaft WIR. Das Gemeinschaftsleben regelt der für die Hausverwaltung zuständige Verein: Jeder, der einzieht, wird Mitglied.

Weil er die sonst übliche Anonymität in Miethäusern leid ist, zog der 38-jährige Markus in das Haus an der Jagowstraße ein. Hier gebe es Hausfeste, eine Werkstatt, ein Café und sogar einen Chor. Zusammen mit zwei Frauen und zwei Männern im Alter zwischen 24 und 42 Jahren bewohnt der EDV-Dozent eine etwa 200 Quadratmeter große Wohnung. Den Haushalt führen alle gemeinsam. Geputzt wird nach Plan. Das Abendessen kocht täglich ein anderer Bewohner. Konflikte habe es nicht gegeben, sagt Andrea. Sie zog nach Abschluss des Studiums ein, weil es ihr mit ihrem Freund allein „zu ruhig war“. Und weil sie, wie Steffi, „Lust auf neue Ideen hatte“.

Claudia Möllers und Achim Sommer, Eltern zweier Kinder im Alter von einem und zwei Jahren, sind in eine Sieben-Personen-WG in der Bülowstraße eingezogen. Seit der Geburt der Kinder würden sie viel Zeit zu Hause verbringen, sagen sie – durch das Leben in der WG gingen nicht alle sozialen Kontakte verloren. Sommer ist 41, Biologe, und wohnt seit mehr als 20 Jahren in einer WG. „Für mich ist eine WG die normale Lebensform“, sagt er. Dass sich daran im Alter etwas ändern wird, glaubt er nicht.

Während immer mehr Menschen in den besten Jahren die WG als Wohnform annehmen, bevorzugen ältere Menschen Hausgemeinschaften, meint Richard Palm vom Forum für gemeinschaftliches Wohnen im Alter. Zum Beispiel im Buckower „Hofje“, wo Menschen aller Generationen zusammenleben: vom Säugling bis zum 80-Jährigen. Die Anlage wurde 1995 nach dem Vorbild niederländischer Generationenhäuser erbaut, die im Nachbarland schon lange existieren. 15 Wohnungen gruppieren sich um einen Innenhof. Dort treffen sich die Kinder zum Spielen und die Erwachsenen zum Reden. Die räumliche Nähe schafft persönliche Kontakte und soll dazu führen, dass sich die Bewohner gegenseitig unterstützen. „In neun Jahren gab es erst zwei Auszüge“, sagt Katrin Schumann. Sie ist zuständig für die Vermietung bei der Eigentümerin, Stadt und Land Wohnbauten. Rund 400 Euro kosten zwei Zimmer, bis zu 600 Euro drei Zimmer plus Bad und Küche. Die Wohnungen sind begehrt – es gibt eine Warteliste.

jutta burmeister

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