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Immobilien: Spuren der deutschen Seele in der Ökonomie

Mit rechten Dingen geht es an der Börse nicht zu.So lautet ein gängiges (Vor-)Urteil, wenn die Kurse einmal mehr allen Prognosen trotzen.

Mit rechten Dingen geht es an der Börse nicht zu.So lautet ein gängiges (Vor-)Urteil, wenn die Kurse einmal mehr allen Prognosen trotzen.Dann versagen auch gängige Wertmaßstäbe wie das Verhältnis des Kurses einer Aktie zum Gewinn des Unternehmens - und dann sprechen Beobachter von "Psychologie".Noch größer sind die Unwägbarkeiten bei Immobilien-AGs.Das sind Beteiligungsunternehmen, deren Aktionäre "Miteigentümer" eines "Portfolios" von Gebäuden sind.Das Problem: Um die Frage zu beantworten, ob die Aktie zu teuer oder zu einem fairen Preis notiert ist, müssen sich die Analysten auch über das Verfahren zur Wertermittlung der Bauten im Eigentum der AG einigen.

Abschließende Antworten auf diese Frage von einem zweitägigem Symposium zu verlangen, das wäre wohl zuviel des Guten.Doch die präzisen Fragen der Börsen-Analysten sowie manchein herausragender Vortrag machten die Veranstaltung des DVFAs in Frankfurt am Main durchaus lehrreich."Die richtige Bewertung soll keine Geheimwissenschaft sein, ihr sollte eine nachvollziehbare Methode zugrunde liegen", so Heinz Rehkugler.Der Leiter der Deutschen Immobilien Akademie vom Ring Deutscher Makler (RDM) beschwichtigte mit diesen Worten die Kontroverse um das "Net asset value".Dieses NAV soll am Ende einer "Wertermittlung" stehen.Das Ziel: den um Sondereinflüsse bereinigten, "echten inneren Wert" einer börsennotierten Gesellschaft ermitteln, damit Analysten eine solide Kauf- oder Verkaufsempfehlung der untersuchten Aktie geben können.

Sondereinflüsse sind beispielsweise einmalige Erlöse durch den Verkauf von Grundeigentum.Weil diese nicht wiederholbar sind, verschleiern sie das tatsächliche, nachhaltig zu erwirtschaftende Ergebnis.Mit solchen außerordentlichen Erträgen glich etwa der Getränkekonzern Brau und Brunnen einige Jahre seine Bilanz aus und verdeckte so Verluste im Kerngeschäft, dem Verkauf von Bier und Softdrinks.Daß ein solcher Verkauf von Tafelsilber an die "Substanz" des Unternehmens geht, liegt auf der Hand.

Warum sind bei der Ermittlung des NAVs aber auch "Rückstellungen" für Risiken zu berücksichtigen? Weil der Unternehmer, wenn er sie wieder auflöst, darauf Steuern zahlen muß.Das verringert den "Wert" der Gesellschaft aus Analystensicht.Im Umkehrschluß gilt: Hohe "Verlustvorträge" sind positiv für den aktuellen Gesellschaftswert.Denn wer noch solche Abschreibungen aus Vorjahren hat, "darf" im laufenden Jahr Gewinne machen, ohne daß der Fiskus davon gleich die Hälfte für staatliche Aufgaben einbehielte.Mit höheren, nicht versteuerbaren Gewinnen kann die Gesellschaft dann mehr Geld an ihre Aktionäre ausschütten oder den Überschuß in neue Projekte investieren.In beiden Fällen profitieren die Aktionäre, sei es in bar durch die höhere Dividende, sei es als Option auf die Zukunft: Weil sinnvolle Investitionen neue oder zusätzliche Erträge versprechen.

An diesem Blick in die Zukunft ist es den Analysten natürlich gelegen, wenn sie den echten Wert einer AG suchen.Dabei kommt dem Management der AG eine Schlüsselstellung zu.Am Rande des Symposiums war zu hören, daß die US-Amerikaner das Ziel einer um Sonderfaktoren bereinigten Notierung von AGs längst erreicht hätten."Die Bilanzierung ist transparent, das honoriert der Markt mit einem Aufschlag von fünf Prozent auf den NAV, und damit begnügt sich das Management", so ein Unternehmer.Hierzulande stehen die Dinge dagegen Kopf: Immobilien-AGs, die an die Börse streben, müssen mit einem Abschlag von 20 bis 50 Prozent ihres Wertes rechnen.Dies stellte Christian Schulz-Wulkow von Arthur Anders Immobilien fest am Beginn des wohl besten Vortrages.

Der pauschale Abschlag vom AG-Wert verhindere, daß sich mehr große Immobiliengesellschaften an der Börse kapitalisieren.Sie warteten eher auf "strategische Investoren", die sich durch einen Unternehmenskauf Marktanteile oder Know-How für das eigene Geschäft sicherten.Das ließen sie sich bisweilen einiges kosten.So sprachen die Experten hinter vorgehaltener Hand von gerade mal fünf bis sechs "echten Immobilien-AGs" in Deutschland - obwohl formal zehn mal so viele Unternehmen als AGs firmieren.Doch bei den meisten Immobilien-AGs könne keine Rede von einem echten Aktien-Handel sein.

Dieses ernüchternde Ergebnis hat aus Sicht der Experten allerdings auch hausgemachte Ursachen.Zum Vorschein kamen sie mit dem Auftritt des Analysten Dieter Thomaschowski.Er mühte sich zwar redlich, die positiven Lagen ausgewählter Immobilien der Aktiengesellschaft Hamborner hervorzuheben.Doch dabei präsentierte er nur einzelne Objekte und lobte deren Qualität mit Gemeinplätzen des Branchenjargons: "Die Immobilie hat viele Parkplätze und einen U-Bahn-Anschluß".Damit überzeugte er das kritische Auditorium nicht.Die meisten Analysten geben keine Kaufempfehlung an ihre Kunden weiter, ohne eine detaillierte Übersicht der Immobilien im Grundeigentum der AG.Dabei wollen sie auch den Kaufpreis und den Mieterlös der Bauten wissen.Auf Grundlage dieser Zahlen können sie die Glaubwürdigkeit von Bilanzen überprüfen.

Eine derart transparente, im Wettbewerb der Kapitalanlageangebote zeitgemäße Bilanzierung leisten aber heute nicht einmal die offenen Immobilienfonds.Dabei stehen sie unter der Knute des Kreditwesengesetzes und damit in der Pflicht, genau Rechenschaft abzulegen.Allerdings wies der Fondsexperte Stefan Loipfinger in einer vielzitierten Analyse jüngst erneut auf die Publikationsdefizite hin.Die Offenen Immobilienfonds erreichen auch mit ihren Ausschüttungen eher die Renditen festverzinslicher Schuldverschreibungen der Öffentlichen Hand.Damit liegen die Fonds mit ihrer Rendite hinter den Immobilien-AGs.Letztere können mit ihrem Ergebnis wiederum nicht mit Standardwerten aus dem Dax mithalten - geschweige denn mit risikoreicheren Emissionen auf dem neuen Markt.Von den Immobilien-AGs gelang lediglich die IVG in den MDax.Daß die Gesellschaft aufgenommen wurde, liegt nicht allein an Größe oder Erfolg, sondern auch daran, daß der MDax eine für die deutsche Wirtschaft repräsentative Branchenmischung auflistet - da gehört die IVG als größte Gewerbe-Immobilien-AG Deutschlands hinein.

Das zweite Hindernis bei der Schaffung transparenter US-amerikanischer Verhältnisse in Deutschland ist die komplizierte Wertermittlung von Immobilien hierzulande.Die für ihre Bürokratie berüchtigte Bundesrepublik setzt auf eine Kombination von zwei Verfahren: dem Sachwert und dem Vergleichswert.In den USA dagegen einigen sich Käufer und Verkäufer auf einen Preis nach einem scharfen Blick auf den Ertrag, der durch die Vermietung eines Wohn- oder Geschäftshauses zu erwirtschaften ist.

Wie Anderson-Mann Schulz-Wulkow zeigte, prüfen die deutschen Gutachter zunächst anhand des Bodenatlasses, zu welchen Preisen andere Immobilien in vergleichbarer Lage den Eigentümer wechselten.Dann ermitteln sie den Sachwert des Baus, wobei sie "Minderungen" abziehen, wenn das Haus alt ist oder Mängel aufweist.Das Problem der ersten Methode liegt darin, daß der Vergleichswert abgeleitet ist aus Verkäufen vergangener Jahre.Das ist besonders bei den typischen "Schweinezyklen" am Immobilienmarkt problematisch: Wenn, wie in Berlin geschehen, die Preise einbrechen, dann ist mit einem Vergleichswert aus der Vergangenheit nichts anzufangen.Diese Tatsache führte dazu, daß der Oberste Gutachter beim Senat für Bauen, Wohnen und Verkehr, Dietrich Ribbert, einen Arbeitskreis aus Maklern, Gutachtern und Grundeigentümern zusammenrufen mußte.Diese Expertenrunde korrigierte dann mit ihrem aktuellen Marktwissen die Vergleichspreise.

Die Kritik an diesem umständlichen deutschen Sonderweg ebbt nicht ab.Besonders laut bringen ihn internationale Experten zum Vortrag, sind sie doch mit den einfachen Ertragswertberechnungen anglo-sächsischer Provenienz vertraut.Hier setzen sich Verkäufer und Käufer mit ihren jeweiligen Beratern an einen Tisch und legen die Erträge der Immobilie offen.Von den Mieteinnahmen ziehen sie Verwaltungskosten und Erhaltungsrücklagen ab.Von diesem Reinertrag rechnen sie einen Liegenschaftszins ab und setzen dann den in der Immobilienwirtschaft üblichen Multiplikator (oft das 12- bis 16-fache) an.Dieser Vervielfältiger gibt Auskunft über die Rendite für das "Betongold".Allgemeinverständlich ausgedrückt: Eine Rendite von fünf Prozent ist dann erzielt, wenn der Eigentümer nach 20 Jahren (Multiplikator) durch die Mieteinnahmen sein Kapital refinanziert hat (5 mal 20 ergibt 100).

Nicht nur die Wertermittlung, auch das Steuerrecht verdunkelt in Deutschland die Dinge: Bei Immobilien geht der Fiskus einen Sonderweg und verlangt die Trennung von Grundstückswert und Gebäudewert.Dann setzt sie eine "Abschreibung des Gebäudewertes" voraus.Die Gilde der Steuerberater und Wirtschaftsprüfer dankt es dem Staat, für die Analysten bedeutet dies aber ein weiterer Stolperstein bei der Ermittlung des tatsächlichen Wertes eines Immobilien-Portfolios.Problematisch auch: Der Abschreibungssatz trägt nicht angemessen der "Halbwertzeiten" spezifischer Bauten Rechnung, etwa wenn man einen Billigbau auf der grünen Wiese mit einem restaurierten Baudenkmal in bester Innenstadtlage vergleicht.Der vom Fiskus angesetzte Abschreibungssatz hat auch mit dem Wirtschaftsgut, wenn dieses auf der Folie des Marktes abgelesen wird, wenig zu tun: Der Wiederverkaufswert wird wesentlich durch Mieterträge dank guter oder schlechter Lage bestimmt und nicht durch den Substanzwert.

Wie einfach ist dagegen das britische Bilanzierungsrecht in diesem Punkt: Jedes Jahr erfolgt eine neue Wertermittlung der Immobilien auf Grundlage aktueller Mieterträge.Sind sie gesunken, dann korrigieren die Prüfer auch den "Sachwert" der Immobilie.Steigen die Erträge dagegen, dann weist die AG-Bilanz eine "Wert-Reserve" aus.Gebucht, aber nicht wirksam, wirkt sich die "Reserve" erst bei einem Weiterverkauf der Immobilie zu diesem erhöhten Betrag auf die Ermittlung des NAVs der AG positiv aus.

Dieses Verfahren macht die komplizierte Gegenrechnung von Abschreibungen, Risikorücklagen und "stillen Reserven" überflüssig.Diese ist lediglich bei deutschen AGs üblich.Und das Rechenverfahren erschwert deshalb die Ermittlung des AG-Wertes zusätzlich, weil Rücklagen als "totes Kapital" zunächst steuerfrei sind.Löst die Geschäftsführung sie auf, dann droht eine Versteuerung.Wie aber sollen diese Faktoren bei der Ermittlung des echten, inneren Wertes der AG einfließen? Diese Frage blieb weitgehend unbeantwortet.

Immerhin in einem Punkt herrschte Einigkeit: Die deutsche Seele hinterläßt auf dem Feld der Ökonomie Spuren.Am Biertisch flachsten die Teilnehmer: Während im anglo-sächsischen Ausland alle Werte im Fluß sind und der Fluß im Markt mündet, suchen die germanischen Prüfer nach "ewigen" Sachwerten, die den "vergänglichen" Marktwerten trotzen - und verdunkeln sich so den Blick auf die (un-)erträgliche Leichtigkeit des (bilanziellen) Seins.

DVFA-Symposium

Drei Aktiengesellschaften stellten sich auf dem DVFA-Symposium den Fragen der Analysten.Beim Hamburger Bauverein fiel seit dem Börsengang der Aktienkurs von 29 DM auf 22 DM.Das Problem aus Vorstandssicht ist weniger eine falsche Bewertung als die problematische Beteiligung der Wünsche AG.Wünsche zieht sich aufs Kerngeschäft Textil zurück und will ihre Bauverein-Anteile veräußern.Von einer stabilen und paßgerechten Eigentümerstruktur aber hängt die "Phantasie" ab, die Marktteilnehmer zum Aktienkauf einer Aktie bewegen.Andere Kritikpunkte finden Analysten bei der Wiener CA Immo AG.Diese Gesellschaft läßt zwar keinen Wunsch offen bei der Publizierung ihrer Ergebnisse - jede Immobilie ist einzeln gelistet mit Kaufpreis und Ertrag -, doch alle Objekte sind mit Eigenkapital finanziert.Das Urteil der Analysten: Kein Leverage-Effekt.Der Hintergrund: angesichts der niedrigen Kapitalmarktzinsen verbessert sich das Ergebnis für Aktionäre , wenn eine Immobilien-AG seine Objekten zu weiten Teilen mit Fremdkapital finanziert.Denn beim Einsatz von Eigenkapital sind die Kosten viel größer und damit die Gewinne kleiner: Eigenkapital kostet den Marktzins zuzüglich der vom Anleger verlangten Rendite zuzüglich Risikodiskont.Bei der IVG ist dieses Verhältnis von Fremdkapital zu Eigenkapital angemessen, hier aber sehen Analysten ein Problem in der 40prozentigen Beteiligung der WCM-AG.Die WCM ist ebenfalls eine Immobiliengesellschaft, so daß Interessenkonflikte drohen."Nicht transparent", so das Analystenurteil auch beim IVG-Verhältnis zur Beteiligungsgesellschaft Botag.Der Anteil des Berliner Traditionsunternehmens am Gesamtergebnis der IVG fließe nicht spezifiziert in die Rubrik IVG-Beteiligungen ein. ball

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