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Für das Vorkaufsrecht. Mieter demonstrierten im Juni dafür, dass Bezirke der „Deutsche Wohnen“ zuvorkommen.

© Florian Boillot

Umwandlungsverbot: Berlin bleibt doch Berlin

Der Bezirk Mitte möchte keine energetischen Sanierungen im Milieuschutzgebiet und kauft ein sanierungsbedürftiges Haus.

Sie haben es wieder getan, dieses Mal in Mitte. Das Bezirksamt beschloss am 23. Juni die Vorlage Nr. 1145: „Ausübung des Vorkaufsrechts gemäß Paragraf 24, Absatz 1 Satz 1 Baugesetzbuch (BauGB) für das Grundstück Waldenserstr. 9 im Sozialen Erhaltungsgebiet „Waldstraße“.“ Kaufen wollte und will die Skjerven Group, die in Berlin bei der Umwandlung in Wohnungs- und Teileigentum aktiv ist. Sie gehört nach landläufiger Auffassung von Rot-Rot-Grün zu den Immobilienhaien, die Berlin zum Fressen gern haben.

In diesem Falle allerdings wäre Immobilienunternehmer Einar Skjerven gar nicht auf der ihm gemäßen Stromlinie unterwegs gewesen. Denn in Erhaltungsgebieten bedarf die Umwandlung von Miet- in Eigentumswohnungen der Zustimmung des Bezirks („Genehmigungsvorbehalt“). Und das Umwandlungsverbot in den Milieuschutzgebieten soll bis 2025 in Kraft bleiben. Für ganz Berlin gilt zudem eine Kündigungssperrfrist von zehn Jahren nach Umwandlung einer Mietwohnung in eine Eigentumswohnung und anschließender Veräußerung.

Auch Modernisierungsbegehren sind Grenzen gesetzt. Nicht genehmigt werden zum Beispiel Grundrissänderungen zur Schaffung großzügiger Wohnungsgrundrisse, die Zusammenlegung von Wohnungen oder der Einbau eines Badezimmers mit getrennter Dusche und Wanne.

Zu den genehmigungspflichtige „allgemein üblichen“ Maßnahmen gehören allerdings nach Paragraf 172 BauGB der Ersteinbau einer Sammelheizung (incl. Wasserversorgung) oder der Einbau von Doppel- bzw. Isolierglasfenstern. Diese Beispiele werden vom Berliner Mieterverein genannt, der die Interessen seiner Mitglieder – wie stets – fest im Blick hat. Doch der Bezirk befürchtet eben dies: Dass Skjerven auf die Idee kommen könnten, allgemein Übliches zu schaffen. Es sei eine „erhebliche Kostensteigerung“ für die bisherigen Mieter möglich, wenn dass vorhandene Potential für Modernisierungsmaßnahmen genutzt werde: energetische Modernisierung durch Austausch der Fenster und Anbringen einer Wärmedämmung, Einrichtung einer Warmwasserversorgung, Einbau hochwertiger Böden, Modernisierung von Bädern, Anbau von Aufzügen und Balkone, „auf die der Erwerber nach Paragraf 172 Abs. 4 Satz 3 BauGB teilweise einen Rechtsanspruch hat“. Damit diese Ansprüche gar nicht erst entstehen, wird das Vorkaufsrecht ausgeübt – ganz im Sinne der Gesetzgeber?

Der Bezirk verweist zur Untermauerung des Vorkaufsbegehrens auf den Umstand, dass Skjerven keine Abwendungsvereinbarung unterschrieben habe, die die Ausübung des Vorkaufsrechts entkräftigen könnte: Der Käufer kann die Ausübung des Vorkaufsrechts durch den Bezirk abwenden, wenn er sich dazu verpflichtet, das Kaufgrundstück entsprechend den Zielen der Erhaltungsverordnung zu nutzen.

Abwendungsvereinbarung bleibt ohne Unterschrift

Warum unterschreibt Skjerven nicht einfach? „Herr Skjerven möchte keine über die gesetzlichen Regelungen hinausgehende Erklärung unterschreiben. Die Häuser befinden sich in einem Milieuschutzgebiet, so dass die Mieter auf absehbare Zeit vor Modernisierungen und durch den Mietendeckel vor Mieterhöhungen geschützt sind“, lässt er über einen Sprecher ausrichten. Auch dies noch: „Herr Skjerven verpflichtet sich ausdrücklich, nichts zu unternehmen, was die wirtschaftliche und soziale Situation der Mieterin den besagten Häusern beeinträchtigt – und natürlich auch zur Einhaltung aller gesetzlichen Vorschriften.“ Die Begründung der Vorlage beruhe im Wesentlichen auf Hörensagen, sagt Skjerven.

Tatsächlich beruft sich Bezirksstadtrat Ephraim Gothe (SPD), Leiter der Abteilung Stadtentwicklung, Soziales und Gesundheit, in seinem Antrag auch auf Tagesspiegel-Artikel aus dem Jahr 2015, in den Skjerven Umwandlungsverbote grundsätzlich ablehnt.

Ist das Vorgehen des Bezirks nun nachvollziehbar, wenn Gothe gleichzeitig zu Protokoll gibt, dass die Nettokaltmiete von 24 Prozent der vermieteten Wohnungen im Objekt noch nicht die durchschnittliche Gebietsmiete um mehr als 10 Prozent übersteigt. Und: „Über die Hälfte der Nettokaltmieten der vermieteten Wohnungen im Objekt (27 von 51 Wohneinheiten, 4 Wohneinheiten leer) übersteigt noch nicht die anhand des Berliner Mietspiegels ermittelte Miete um mehr als zehn Prozent“, hat Gothe zudem errechnet. Gibt es dennoch Handlungsbedarf?

Rechtsanwältin Evelyn Paetsch sieht den Bezirk Mitte in einer Stellungnahme für den Verein Wohneigentum auf Abwegen. „Die Genehmigung einer im Milieuschutzgebiet beantragten Modernisierung darf nicht mit der Begründung verweigert werden, die Miete inklusive Modernisierungsumlage überschreite die „Verordnungsmiete“. Sämtliche Versuche, die im Ergebnis dazu führen sollen, eine Modernisierung mit Mietobergrenzen zu „deckeln", sind rechtswidrige Umgehungen des Gesetzes“, so Paetsch, die für die Kanzlei Stassen LLP arbeitet. Sie ist auf Architekten-, Bau- und Immobilienrecht spezialisiert.

Der Ankauf "heruntergerockter" Häuser ist inzwischen ein Geschäftsmodell

Auch ihr Kollege Jan Kehrberg von der Rechtsanwaltskanzlei GSK Stockmann hat Zweifel, ob das Vorgehen des Bezirks Mitte sinnvoll ist. „Das tragende Argument ist hier der Schutz der Mieterinnen und Mieter vor den Kosten einer energetischen Sanierung“, sagt Kehrberg: „Das steht im Widerspruch zu den Zielen, die sich das Land Berlin, die Bundesrepublik und die gesamte EU setzen aber ein Berliner Bezirksamt zieht nicht mit. Die Wertung, dass der Klimaschutz Belastungen rechtfertigt, die durch die Gemeinschaft getragen werden müssen und am Ende auch von den Mieterinnen und Mieter an die steht dem Bezirksamt Mitte von Berlin nicht zu. Diese Wertung ist längst getroffen und anders ausgegangen.“

Wie Ausübung des Vorkaufsrechts in diesem Fall ausgeht, war bis zum Redaktionsschluss am 2. Juli 2020 noch nicht entschieden. „Das überteuerte Verkaufen runtergerockter Wohnhäuser an das Land Berlin ist mittlerweile ein Geschäftsmodell geworden“, sagt ein Insider, der ungenannt bleiben möchte, der Redaktion aber namentlich bekannt ist. Immer wieder lehnen landeseigene Wohnungsbaugesellschaften den Einstieg in das Vorkaufsrecht ab: Die Vorhaben scheinen ihnen oft wirtschaftlich nicht tragfähig zu sein. So ist es einem Bericht der Tageszeitung taz zufolge wohl auch hier. Die landeseigene Degewo könnte sich verrechnet haben, heißt es.

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