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Verborgenes Varietétheater in Berlin Mitte: Von Tauben und Täubchen

Aus der Ruine der „Kolibri-Festsäle“ in der Gartenstraße soll eine neue „Location“ gemacht werden.

Mitte ist stets für eine Überraschung gut. Am Donnerstag wurde ein völlig in Vergessenheit geratenes Varietétheater und Ballhaus ins Licht der Öffentlichkeit gerückt (der Tagesspiegel berichtete). Nach über sechzig Jahren soll hier wieder eine Veranstaltungsstätte entstehen. Die „Kolibri-Festsäle und Kabarett“ waren im Unterhaltungsgetriebe der Goldenen Zwanziger Jahre eine feste Größe. Das alte Ballhaus liegt unscheinbar in einem dreistöckigen Hinterhaus der Gartenstraße und ist komplett ruiniert. Jahrzehntelang wurde dem Betrachter an diesem Ort nur Müll vorgeführt: Der Bau diente nach dem Zweiten Weltkrieg als Bauschutt- und Müllhalde.

Dirk Moritz hat das ehemalige Wirtshausensemble entdeckt. Der Projektentwickler stammt aus Prenzlauer Berg. Im November 2008 wollte er mit seiner damals 9-jährigen Tochter im gleich nebenan gelegenen Stadtbad Mitte Schwimmen gehen. Dort irgendetwas zog ihn durch die dunkle Einfahrt des Hinterhofes, wie in ein magisches Theater: Die Stahltür stand gerade offen, erzählt er. „Sieben oder acht Fahrzeuge standen im Halbdunkel und es lag hier jede Menge Müll – ich hatte das Gefühl, etwas stimmt mit dem Haus nicht.“

Vom Hausmeister bekam er nach langem Bitten und Drängen die Schlüssel – „für zehn Minuten“. Er schloss auf und sah zunächst eine geköpfte Taube. „Hier habe ich mir fast in die Hose gemacht“, sagte Moritz am Donnerstag im Erdgeschoss der Gartenstraße 6, wo einst die Küche des Restaurationsbetriebes untergebracht war. Zwei Stockwerke höher fand er die zu Boden gefallene Kreuzgewölbedecke des Saales. Sie lag dort hingestreckt wie die „Titanic“ auf dem Meeresgrund: Schaurig-schön.

Dirk Moritz, der Projektentwickler aus Prenzlauer Berg, hat das alte Ballhaus durch Zufall entdeckt.
Dirk Moritz, der Projektentwickler aus Prenzlauer Berg, hat das alte Ballhaus durch Zufall entdeckt.

© Promo

Moritz nahm die Verhandlungen mit den Vorbesitzern auf – eine Erbengemeinschaft aus Tschechien, die ihr Eigentum aufgrund der politischen Verhältnisse nie in Augenschein genommen hatte. Er schloss mit den Besitzern eine Vereinbarung ab und beräumte das Objekt von dreißig Tonnen Schutt und Müll – „laut Lieferschein“. Moritz stellte angesichts der Ornamente, der Stuckreliefs und des Küchenaufzugs fest: „Das war keine Kirche, das war keine Synagoge, das war ein Ballhaus.“

Dicke Männer kamen mit noch dickeren Frauen

Gruss aus "Fritz Schmidt's Restaurant und Festsäle". Im Theater-Saal werden die Tische für die Gäste gedeckt.
Gruss aus "Fritz Schmidt's Restaurant und Festsäle". Im Theater-Saal werden die Tische für die Gäste gedeckt.

© Archiv Berlin Mitte

Gebaut hatte die Vergnügungsstätte der Berliner Unternehmer und Baumeister Oscar Garbe, der an verschiedenen prominenten Berliner Immobilien wie zum Beispiel der Samariterkirche oder dem Ullsteinhaus in der Kochstraße entscheidenden Anteil hatte. Er plante und erbaute das Haus mit 1200 Quadratmeter Nutzfläche im Jahr 1905. Noch im selben Jahr etablierte sich hier „Fritz Schmidt’s Restaurant und Festsäle“ in der Berliner Ballhausgesellschaft. Noch heute sind aus dieser Zeit einige Lokale erhalten, wie beispielsweise „Clärchens Ballhaus,“ unweit der Gartenstraße gelegen.

Die Grundbucheintragungen des Saalbetriebes strotzten jedenfalls vor Hypothekeneintragungen: Es wurde kräftig expandiert, in der Tanzsälen steppte in dieser Gegend buchstäblich der Bär. Oder, um es mit den Worten von Dirk Moritz zu sagen: „Hierher kamen viele dicke Männer mit noch dickeren Frauen.“ Ab dem Jahr 1934 gibt es nach seinen Angaben allerdings keine Hinweise mehr auf einen Gastronomiebetrieb; der Theatersaal geriet vollkommen in Vergessenheit. Unter Schutt und Gerümpel blieb das Gelände seit den 1940er Jahren fast gänzlich vor der Öffentlichkeit verborgen.

Parkett, Bestuhlung und Treppengeländer waren beizeiten verheizt worden. Eine zu DDR-Zeiten hier ansässige Schlosserei nutzte vor allem noch das Erdgeschoss. Auch nach der Wende blieb das Ballhaus mit seiner eingestürzten Decke aus Gips im Verborgenen: Das Sanierungsgebiet Rosenthaler Vorstadt endete rund 100 Meter vor dem Saal, wie der Historiker Lutz Mauersberger (Berlin Mitte Archiv) berichtet.

Und so blieb es Dirk Moritz vorbehalten, das Objekt neu zu entdecken. 2008 war er hier vor allem auf rund 300 lebende und viele tote Tauben gestoßen – ein sicheres Indiz dafür, dass in diesem Objekt mit Taubenzecken zu rechnen war. Und so kamen die Müllentsorger mit Atemgeräten; sie trugen luftundurchlässige Spezialanzüge. Taubenzeckenplagen wurden von der DDR totgeschwiegen. In Leipzig hatten die Plagegeister, deren Biss für Menschen tödlich sein kann, ganze Straßenzüge befallen.

Dem Entwickler wäre es am liebsten, wenn sich „sein“ Projekt unter dem Projektnamen „Secret Garden“ in Richtung Galerie oder Veranstaltungsstätte mit temporärem Wohnen entwickeln würde. Ein zirka 3,8 mal 3 Meter breites Wandgemälde auf Leinen, das in der Ruine gefunden wurde, soll demnächst von Studenten einer Universität saniert werden. Gebaut werden soll ab Ende des Jahres. Es wird zu prüfen sein, ob nicht auch die Zwischendecken ausgetauscht werden müssen – die finanziellen Dimensionen des Projektes dürften beachtliche Ausmaße erreichen.

Und so ist es verständlich, das Moritz zur Eigentümerstruktur „noch nichts sagen“ möchte. Offenbar werden noch Investoren im In- und Ausland gesucht. Er habe sich das Hinterhaus zunächst von den tschechischen Besitzern „gesichert“. Es sei nicht mehr in deren Händen. Der Projektentwickler bekam die Möglichkeit, das Grundstück zu teilen; das Vorderhaus gehört nach wie vor den tschechischen Erben. Ganz dringend sucht Moritz nun noch Fotoaufnahmen von der Außenfassade – dafür würde er wohl Einiges geben. Sie würden die Vermarktung erleichtern. Alte Programmhefte könnten wohl auch nicht schaden.

CHRONIK

1904

Planung und Errichtung des Saalgebäudes durch die renommierte Baufirma Oscar Garbe.

1905

Inbetriebnahme des Tanzsaalbetriebs unter „Fritz Schmidt’s Restaurant und Festsäle“.

1919

Der Betrieb läuft nun unter „Kolibri-Festsäle“ mit zusätzlichem Kabarettprogramm.

1934

Keine nachweisliche gastronomische Nutzung mehr.

1955

Die Bauschlosserei Gerhard Kniebusch  bezieht Keller, EG und obere Etage.

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