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Immobilien: Verfall in bester Lage

SED-Größen hatten hier einmal ihre Büros. Heute steht die Immobilien-Perle am Prenzlauer Tor leer – und mögliche Investoren verzweifeln, weil sich nichts tut

Wenn Häuser Geschichten erzählen könnten – dieses hier böte Stoff für einen ganzen Roman. Der Anfang ist hoffnungsvoll, in der Mitte geht es dramatisch drunter und drüber, dann schlägt die Stunde null, ein neues Kapitel beginnt. Höhen gibt es und Tiefen, bis zum Absturz, dem ein kurzer neuer Aufschwung folgt – und dann zieht Stillstand ein, ja, Agonie. So ist es bis zum heutigen Tag. Steine werden grau, Historie verkommt – und alle sehen ratlos zu: Der Bezirk. Die Stadt. Und das an einer markanten Ecke, an der Grenze zum Bezirk Mitte, am Einfallstor in die City-Ost, eine Busstation vom Alexanderplatz entfernt.

Hier steht das wuchtige, architektonisch ungewöhnliche, siebengeschossige grau-braune Haus an der Ecke Torstraße/Prenzlauer Allee. Es ist gewissermaßen die moderne Variante vom alten, nicht mehr existenten Prenzlauer Tor mit der Adresse Torstraße 1. Der Putzbau mit seiner zweigeschossigen Sockelzone aus Naturstein, den klaren Linien und den gerundeten, erkerartigen Vorsprüngen war 1928 als Stahlskelettbau im Stil der Neuen Sachlichkeit errichtet worden. Die jüdischen Kaufmänner Hermann Golluber und Hugo Halle wollten am Rand des Scheunenviertels ein Warenhaus, in dem auch ärmere Leute „auf Pump“ einkaufen konnten. Ganz oben bot ein Dachterrassen-Restaurant einen exquisiten Blick auf das Häusergewirr von Prenzlauer Berg. Das „Kaufhaus Jonas“ genannte Haus, damals Lothringer Straße 1, ging allerdings bald nach 1933 in „arische“ Hände über, die alten Besitzer verließen Deutschland, die neuen bauten das Kaufhaus um und vermieteten bzw. verkauften es an die NSDAP, die hier die Leitung ihrer Hitler-Jugend unter Baldur von Schirach einmarschieren ließ, bis alles in Scherben fiel.

Nach 1946 wird das Gebäude zum „Zentralhaus der Einheit“, dem Sitz des Zentralkomitees der gerade aus SPD und KPD gebildeten SED: Die beiden Parteichefs Wilhelm Pieck (KPD) und Otto Grotewohl von der SPD haben hier ihre Büros, das von Pieck ist lange „Traditionskabinett“ und kommt nach der Wende ins Deutsche Historische Museum. Zwei Gedenktafeln am Eingang erinnern daran, dass Pieck und Grotewohl von hier aus als Vorsitzende des ZK der SED die DDR dirigierten. Am 17. Juni 1953 protestieren erboste Arbeiter vor dem Parteihaus und fordern freie Wahlen und den Rücktritt der Regierung, dessen prominenteste Mitglieder nach Karlshorst in die Obhut ihrer sowjetischen Freunde geflüchtet sind. Noch zu seinen Lebzeiten erhält die Straße, an der das Parteihaus liegt, den Namen Wilhelm Pieck. Die fünfziger Jahre sind eine Zeit stalinistischer Drangsal in dem jungen Staat DDR. Alle Maßnahmen, die schließlich zum Volksaufstand am 17. Juni führen, sind in dem Klotz Wilhelm-Pieck-Straße 1 geplant und gelenkt worden – ebenso die Kollektivierung der Landwirtschaft, die Schauprozesse gegen angebliche Volksverräter, Abweichler, Saboteure und Intellektuelle, die nicht im Strom mit der harten stalinistischen Parteilinie schwimmen wollten. Ende der fünfziger Jahre zieht die SED-Führung samt Zentralkomitee in das große Gebäude der früheren Reichsbank am Werderschen Markt, das Haus am Prenzlauer Tor wird zum „Marx-Engels-Lenin-Stalin-Institut“, dann „Institut für Marximus-Leninismus“ und schließlich „Institut für die Geschichte der Arbeiterbewegung“.

Nach der Wende kommt ganz neues Leben ins Haus. Alte und junge Leute gehen mit den ersten Laptops oder mit Kassettenrecordern über die breiten Treppen und Flure in einstige Seminarräume und Sitzungssäle und studieren die spannenden Akten aus den Archiven der Parteien und Massenorganisationen der gerade verschwundenen DDR. Aus allen Parteizentralen und vom Gewerkschaftsbund sind die einst sorgsam gehüteten Dokumente in diesem Haus zusammengefasst worden – Historiker, Buchautoren, Journalisten und interessierte Mitbürger stürzen sich auf die Protokolle des SED-Politbüros, Briefe an die Staatsmächtigen und was sonst noch in Panzerschränken mit dem Vermerk „Streng vertraulich“ verschlossen war. Ein Staat gibt seine Geheimnisse preis – jetzt, da er kein Staat mehr ist, dürfen alle alles wissen. In einem Vorraum war damals eine kuriose Austellung mit Briefen an die Parteiführung aufgebaut: Da versucht der Bürgermeister von Ahrenshoop (vergeblich), dem nackten Künstlervolk das FKK-Baden am prominenten Ostseestrand auszutreiben, und eine alte Genossin aus Dresden beschwert sich beim ZK der SED über die Unmoral von Paul und Paula in dem gleichnamigen DEFA-Film: „So sind unsere Menschen nicht! Der Film muss sofort verboten werden!“

1995 zieht die „Stiftung Archiv der Parteien und Massenorganisationen der DDR im Bundesarchiv“ mit all ihren Papieren nach Lichterfelde. Seitdem steht das Haus leer. In der Torstraße 1 beginnt das neue Kapitel: Jeder fragt sich, was mit dem allen Baukörpern der Umgebung architektonisch überlegenen Gebäude eigentlich geschehen könnte (oder müsste). Und es beginnt ein zähes Ringen um eine Immobilie in bester Lage und um ihren Preis. Die Erben der einstigen Besitzer möchten ihr Wertobjekt so gut wie möglich verkaufen, an Interessenten, so heißt es, sei kein Mangel, an Einigkeit über den Preis aber schon.

Einer der interessierten Investoren war Hargen M. Bartels, Architekt und Chef des Immobilienunternehmens R.E.M.M. Sein neues „Imperium“, die Backfabrik, dieses moderne Medien- und Geschäftszentrum, liegt auf dem früheren Aschinger- und Bako-Gelände direkt neben dem Kaufhaus John. Es hätte sich angeboten, den Altbau zu sanieren und in die Backfabrik-Architektur zu integrieren. Aber die Eigentümerstruktur bei dem ehemaligen jüdischen Kaufhaus sei ausgesprochen unübersichtlich, sagt Bartels in einem Interview, es handele sich um ältere Herrschaften, die sich über fünf Länder auf drei Kontinenten verteilen. Die Rechtsvertretung wechselt häufig, was die Gespräche nicht erleichtert, „aber die Kaufpreise, die uns bislang genannt wurden, liegen deutlich über dem, was wir für wirtschaftlich vertretbar halten“.

Längst hat Hargen Bartels das Weite gesucht, zumal „der imposante Eckbau“, wie Berlins oberster Denkmalschützer Jörg Haspel betont, ein eingetragenes Baudenkmal mit einem interessanten historischen Baustil ist. „Zur Wiedergewinnung des Hauses muss man viel Geld in die Hand nehmen“, sagt der Denkmalchef und findet es schade, dass das so trostlos wie einzigartig herumsteht – vielleicht bekäme die ganze Gegend neue Impulse, wenn sich hier etwas etabliert. Und was? „Büronutzung ist möglich, aber man könnte sich auch ein Hotel vorstellen.“ Die Politik hatte im Mai 2006 eine andere Idee und wollte in der einstigen SED-Zentrale ein nationales „Forum zur Aufarbeitung der SED-Diktatur“ installieren. Woher will sie die fünf bis zehn Millionen Euro nehmen, die allein als Kaufsumme kursieren, vom Ausbau der Räume ganz zu schweigen? Da müsste schon ein Mäzen kommen und das Ganze der Stadt schenken, sagt Baustadtrat Michail Nelken vom zuständigen Bezirk Pankow. Dort gibt es bislang weder Bauanfrage noch Bauantrag als Voraussetzungen für eine Baugenehmigung. Auch der PDS-Politiker kann sich Hotel mit Schwimmbad vorstellen, einen Fachmarkt könne man auschließen und die Genehmigung für ein Bordell versagen, „das ist für ein Mischgebiet nicht zulässig“.

Unsere Odyssee in Sachen Kaufhaus John strandet in Hamburg bei den Anwälten der Erbengemeinschaft. Die dürfen oder wollen ebensowenig reden wie die Berliner Immobilienvermarkter. Dabei flüstert man uns aus der Branche zu, dass es zur Zeit abschließende Verhandlungen mit Investoren gibt – die Vorbereitungen für eine umgehende Restaurierung des Objekts sollen laufen. Wir sind gespannt. Vielleicht wird alles gut, und am Ende hat sich jeder, den es angeht, an jene zwei Worte erinnert, die so schlicht sind wie wahr: Eigentum verpflichtet!

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