zum Hauptinhalt
Im dicht besiedelten Singapur verbinden grüne Wände das Hotel Parkroyal on Pickering optisch mit einem nahegelegenen Park.

©  Woha/Garden City Mega City

Vertikale Gärten: Grüner wird’s immer

Lebende Wände sind eine neue Möglichkeit, Fassaden schön zu gestalten. Sie schlucken Lärm, Feinstaub und kühlen Gebäude.

Efeu, Wilder Wein und höchstens noch ein Knöterich: Die Welt der Fassadenbegrünung war lange von traditionellen Pflanzen und Methoden geprägt. In den vergangenen Jahren aber entwickelte sich die Technologie weiter. Neben den Kletterpflanzen gibt es jetzt immer mehr Möglichkeiten, Grün direkt in die Fassade zu integrieren.

Dem trägt die Forschungsgesellschaft Landschaftsentwicklung Landschaftsbau (FLL) Rechnung und überarbeitet aktuell ihre Richtlinie für die Fassadenbegrünung. Erstmals wird darin auch die gute Praxis für wandgebundene Systeme beschrieben. Bis Mitte Dezember hat die Fachwelt die Möglichkeit, zum sogenannten Gelbdruck der Richtlinie Stellung zu nehmen. Danach wird sie als Weißdruck in Kraft treten.

Die Richtlinie hat dann zwar keine Gesetzeskraft, „bekommt aber Verbindlichkeit, soweit in Verträgen auf sie Bezug genommen wird“, erklärt Professor Mehdi Mahabadi, der die Erarbeitung der Richtlinie geleitet hat. Mahabadi gerät ins Schwärmen, wenn er die neuen Möglichkeiten beschreibt, die grüne Fassaden heute bieten: „Sie sind so schön, dass sie teilweise zum Publikumsmagneten werden, etwa nahe dem Prado in Madrid“, sagt Mahabadi. Wie in einem Wald sprießt und grünt es üppig aus der Wand, die zu einem Kulturzentrum gehört.

In Deutschland bieten rund 30 Firmen eigene Systeme für Wandbegrünung

Dort war es wieder einmal der Botaniker und Gartenarchitekt Patrick Blanc, der den senkrechten Garten gestaltete. Der Mann mit der grün gefärbten Haarsträhne wurde international Vorreiter für Wandbegrünungen, indem er ein Verfahren des Amerikaners Stanley Hart White weiterentwickelte. Lange suchte Blanc nach einem geeigneten Substrat, um Pflanzen an einer Wand zu halten. Etabliert hat sich ein Aufbau aus einem Leichtmetallgerüst und Hartschaumplatten, auf denen Matten aus Acrylfasern befestigt sind. Darin werden die Pflanzen eingebettet. Ein automatisches Bewässerungssystem sorgt dafür, dass sie immer genug Feuchtigkeit bekommen.

Inzwischen gibt es in Deutschland rund 30 Firmen, die eigene Systeme für die Wandbegrünung anbieten. Sie lassen sich im Außen- und im Innenraum installieren. In Berlin kann man einen vertikalen Garten von Patrick Blanc im Kulturkaufhaus Dussmann erleben.

„Es gibt dafür weitgehend ausgereifte Systeme, in die sich sehr viele übliche Pflanzen einsetzen lassen“, sagt Mehdi Mahabadi. Dünnwandige Fassaden ließen sich am besten mit Moosen gestalten, so wie am Rathaus im isländischen Reykjavik, sagt der Experte. Hier ist die Fassade mit schwarzen Lavaplatten verkleidet, an denen ständig Wasser herunterläuft. Daran hat sich eine samtweiche Schicht aus Moosen und Flechten entwickelt.

Die Pflege bestimmt die Haltbarkeit

Was die Kosten betrifft, würde eine wandgebundene Begrünung umso preiswerter, je größer sie sei, sagt Manfred Köhler von der Hochschule Neubrandenburg. Er befasst sich seit vielen Jahren mit dem Thema und hat seine Erkenntnisse im Standardwerk „Bauwerksbegrünung“ zusammengefasst. Technisch seien viele Probleme von vertikalem Grün inzwischen gelöst, sagt Köhler. So kann Kalk die Ventile der Bewässerungen verstopfen, wogegen man Magnetventile aus dem Golfplatzbau einsetzt.

Die Haltbarkeit wird auch durch die Pflege bestimmt, sagt Mehdi Mahabadi. Ein bis zweimal im Jahr müssten kahle Stellen nachgepflanzt und Fremdaufwuchs entfernt werden – bei hohen Fassaden entweder durch Abseilen oder mit einem Kran.

Die vertikale Wiese. Begrünte Fassaden aus Singapur machen Schule. Im Bild die dortige School of the Arts.
Die vertikale Wiese. Begrünte Fassaden aus Singapur machen Schule. Im Bild die dortige School of the Arts.

©  Woha/Garden City Mega City

„Frost ist immer noch ein großes Problem“, sagt Manfred Köhler. Die Bewässerung müsse man deshalb im Winter abdrehen. „Das können Pflanzen gut vertragen, die im Herbst die Blätter abwerfen.“ 250 Pflanzenarten hat Köhler in einem Forschungsprojekt auf ihre Eignung für lebende Wände getestet und zehn absolut robuste Arten als Grundbepflanzung identifiziert, die auch Frostperioden überstehen.

Trotzdem müsse man mit einem jährlichen Austausch von Pflanzen rechnen. „Dafür kann der Dämmwert eines Gebäudes im Idealfall um bis zu 40 Prozent erhöht werden“, sagt Köhler, der den Weltkongress Gebäudegrün vom 20. bis 22. Juni 2017 in Berlin mitorganisiert. In Adlershof hat er ein Projekt begleitet, wo Kletterpflanzen wie ein grüner Vorhang das Physikgebäude der Humboldt-Universität verschatten.

Erwünschter Nebeneffekt: Die Luft wird besser

Nur wenige Standorte eignen sich gar nicht für vertikale Wände: „Schwierig zu bepflanzen sind ganz dunkle Ecken“, sagt Köhler. Grüne Wände im Innenraum seien meist einfacher zu bauen – vorausgesetzt die Beleuchtung stimmt. Dafür müssen dann die entsprechenden Lampen angebracht werden.

Erwünschter Nebeneffekt von grünen Wänden ist die Verbesserung der Luftqualität: „In großen Büroräumen wirken sie besser als eine technische Klimaanlage“, sagt Köhler und verweist auf Anbieter, die grüne Stellwände oder Wandmodule fix und fertig ins Haus liefern.

Auch dem Hitzestress in der Stadt können grüne Fassaden entgegenwirken. Sie schlucken Lärm und Feinstaub, kühlen ein Gebäude durch Verschattung und bieten Lebensräume für Tiere. Das gilt natürlich auch für die ganz traditionellen Begrünungen mit Kletterpflanzen.

Bis 14. Dezember kann man den Gelbdruck der FLL-Richtlinie für 7,50 Euro anfordern und Hinweise geben. Kontakt: FLL, Friedensplatz 4, 53111 Bonn, www.fll.de.

Zur Startseite