zum Hauptinhalt
Die Flucht der Wilhelmstraße versetzten Planer zu DDR-Zeiten 22 Meter nach hinten. Auf der westlichen Seite wurden Bäume gepflanzt.

© Kitty Kleist-Heinrich

WBS 70: Wilhelmstraße wird jetzt wirklich ein Museum

Bezirksverordnete in Mitte beschließen eine Erhaltungssatzung für den Bereich um die Plattenbauten. Jede Änderung ist damit zustimmungspflichtig.

Das Wohngebiet westlich der Wilhelmstraße zwischen Voßstraße und Behrenstraße wird in seiner „städtebaulichen Eigenart“ erhalten. Dies sieht eine Verordnung vor, die am Donnerstag in der Bezirksverordnetenversammlung Mitte beschlossen wurde. Damit gilt ein weitreichender Bestandsschutz für das Plattenbau-Ensemble mit gut 1000 Wohnungen.

Um das von Spöttern als „DDR-Plattenmuseum“ bezeichnete Areal gab es lange Auseinandersetzungen. Seit geraumer Zeit kursierten Abrissüberlegungen. Grundlage für die Erhaltungsverordnung ist eine städtebauliche Expertise über die „Schutzwürdigkeit der städtebaulichen Eigenart“ des Gebiets. In einer Studie hatte die Planungsgruppe Werkstadt mit Sitz in Friedrichshain festgestellt, das Gebiet Wilhelmstraße zwischen Behrenstraße und Voßstraße dokumentiere „anhand seiner Entstehungsgeschichte und als städtebauliches Ensemble die Entwicklung des Städtebaus in der DDR-Zeit“.

Zur Bauweise mit Plattenmodulen heißt es in der von Christina Lindemann und Elfi Czaika angefertigten Expertise: „Die bauzeitliche Bedeutung besteht insbesondere in der Anwendung eines vorgefertigten seriellen Gebäudetypus für die städtebauliche Struktur eines Wohngebietes in der Innenstadt und in der bedarfsgerechten Versorgung mit sozialer Infrastruktur, Läden, Gastronomie und Dienstleistungen.“ Die Planungsgruppe Werkstadt war vom Bezirksamt mit der Untersuchung beauftragt worden.

In besonderen Fällen sind Ausnahmen möglich

Das Wohngebiet zwischen Holocaust-Mahnmal und der heutigen Wilhelmstraße gilt als wichtiges Beispiel für den Einsatz von Betonplatten der weiterentwickelten Wohnungsbauserie 70, abgekürzt WBS 70. Seit Beginn der 80er Jahre arbeiteten die DDR-Planer verstärkt an Modifikationen, „um dieses Vorfertigungssystem flexibler und in der bebauten Struktur der Innenstadt anwenden zu können“, schreiben Lindemann und Czaika. Mit einzelnen Segmenten, die in unterschiedlicher Weise kombinierbar waren, sollten größere Gestaltungsspielräume geschaffen werden.

Die Neubebauung der damaligen Otto-Grotewohl-Straße wurde ab 1984 geplant. Ab 1987 wurde sie als Boulevard angelegt. Dabei verschob man die alte Bauflucht an der westlichen Seite um 22 Meter und schuf Raum für eine doppelte Baumreihe, ein Novum in der historischen Wilhelmstraße, die ab 1735 eine wichtige Achse der barocken Stadterweiterung in der Friedrichstadt war und den Mehringplatz im Süden mit dem Pariser Platz im Norden verband.

Mit einer besonderen Verordnung können nach dem Baugesetzbuch bestimmte Gebiete zur Erhaltung der städtebaulichen Eigenart festgelegt werden, „in denen der Rückbau, die Änderung, die Nutzungsänderung oder die Errichtung baulicher Anlagen der Genehmigung“ bedürfen. Dies bezieht sich zum Beispiel auch auf Wärmedämmungen oder den Austausch von Fenstern. Ohne die Genehmigung der Bezirksbehörden kann ein Eigentümer nicht in die bauliche Struktur der Siedlung eingreifen.

Allerdings sind in besonderen Fällen auch Ausnahmen, selbst Abrisse, möglich und zwar dann, wie Mittes Baustadtrat Carsten Spallek sagt, „wenn nachgewiesen wird, dass das Gebäude nicht wirtschaftlich betrieben werden kann“.

Spatzen und Fledermäuse verhinderten den Abriss

Für einen solchen Fall wäre aber mit langwierigen juristischen Auseinandersetzungen zu rechnen, wie dies beim Block Wilhelmstraße 56 bis 59 der Fall war. Dort hatte das Oberverwaltungsgericht 2007 zugunsten der Eigentümer Teile eines Bebauungsplanes, der den Bestand sichern sollte, für nichtig erklärt. Für diesen auf der östlichen Seite an der Wilhelmstraße gelegenen Block bleibt die Erhaltungssatzung deshalb ohne Bedeutung.

Der Abriss sollte schon 2015 beginnen, doch kam es zu Verzögerungen, weil, wie Umweltstadträtin Sabine Weißler kürzlich mitteilte, „geltende Bestimmungen des Artenschutzes ungenügend bei der Planung und Vorbereitung des Vorhabens berücksichtigt worden sind“. Im leerstehenden Gebäude waren Nistplätze von Spatzen und Fledermäusen entdeckt worden. Da der Haussperling erfahrungsgemäß Mitte September seine Brutstätten verlässt, können die leer gezogenen Häuser ab Herbst 2016 geschliffen werden.

Der Block an der östlichen Seite der Wilhelmstraße zwischen Behrenstraße und Französischer Straße soll abgerissen werden.
Der Block an der östlichen Seite der Wilhelmstraße zwischen Behrenstraße und Französischer Straße soll abgerissen werden.

© IMAGO

Gegen Ende vergangenen Jahres sind die letzten Mieter mit hohen finanziellen Abfindungen aus ihren Wohnungen ausgezogen. Für sie fand sich zum Teil Ersatz auf der gegenüber liegenden Straßenseite. Dadurch, dass sich diese Häuser nun im Erhaltungsgebiet befinden, müssen diese Mieter in nächster Zeit nicht mit einem erneuten Umzug rechnen.

Die Eigentümer der Gebäude halten sich schon seit Längerem bedeckt. Anfragen des Tagesspiegels zur Zukunft des Areals blieben unbeantwortet. Ursprünglich gehörten die Blöcke zwischen Voß- und Behrenstraße der städtischen Wohnungsbaugesellschaft Mitte. Die trennte sich 2003 von den Beständen, nachdem sie in finanzielle Schwierigkeiten geraten war.

Die Häuser mit der auffälligen Formenvielfalt und der dunkel rötlichen Farbgebung machen einen sanierungsbedürftigen Eindruck. Neben einem erheblichen Leerstand sind viele Ferienwohnungen festzustellen. Falls die Wohnanlage wieder stärker von Mietern genutzt werden sollte, wäre das ein Erfolg für den Senat: Die Innenstadt würde um eine stattliche Zahl preiswerter Wohnungen bereichert, die Verdrängung von Normalverdienern aus der Wilhelmstraße wäre gestoppt.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false