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Das war mal Berlins Altstadt. Um den Raum zwischen Fernsehturm und Spree wird seit Jahren gerungen.

© imago images / Panthermedia

Wie soll die Mitte der Stadt aussehen?: Stiftung Zukunft pocht auf ihre Vorschläge

Reurbanisieren oder nicht? Um das historische Zentrum Berlins wird seit Jahren gerungen. Die Stiftung Zukunft Berlin wünscht sich einen Platz der Demokratie.

Eine beliebte Frage bei Auswärtigen: „Wo ist eigentlich das Zentrum Berlins?“ Der Alexanderplatz? Liegt außerhalb der mittelalterlichen Stadtmauern, genau dort, wo einst die Menschen aus dem Königstor (heute fährt dort die S-Bahn) ins freie Umland drängten. Der Zoo? Entstand als Schwerpunkt des Berliner Westens erst im 19. Jahrhundert. Berlin hat viele Subzentren, was für eine Stadt dieser Größe nicht ungewöhnlich und in Paris oder London genauso ist. Ungewöhnlich aber, dass sie alle um eine leere Mitte tanzen, die niemand mehr kennt, die niemandem mehr etwas sagt. Es ist die riesige Freifläche zwischen Fernsehturm und Spreeufer, deren westlicher Teil, das Marx-Engels-Forum, aktuell noch als Containerabstellgelände für den Bau der U5 dient. Hier und parallel auf der Spreeinsel in Cölln begann die Besiedlungsgeschichte der einstigen Doppelstadt, was heute aber nicht mehr nachvollziehbar ist.

Und das, obwohl Berlins Altstadt den Zweiten Weltkrieg eigentlich leidlich gut überstanden hat, Fotografien zeigen, dass hier noch in den 1950er Jahren eine stattliche Zahl an Gebäuden stand. Der große Abbruch, die Freiräumung durch die DDR-Staatsführung begann erst in den 60er Jahren. Heute ist der Raum immer noch geprägt von Ideenlosigkeit, von Planschbrunnen zu Füßen des Fernsehturms, der verloren im Nichts hängenden Marienkirche und dem Neptunbrunnen, der ursprünglich woanders stand.

Seit 2015 sind Bürgerleitlinien entwickelt worden

Die dichte historische Bebauung der Vorkriegszeit wird nicht zurückkehren, so viel scheint klar. Unter Beteiligung vieler Initiativen und Einzelpersonen sind unter dem Motto „Alte Mitte – neue Liebe“ seit 2015 sogenannte Bürgerleitlinien entwickelt worden. Sie legen unter anderem fest, dass der Freiraum erhalten bleiben soll, als Ort für alle und als grüne Oase, nicht kommerziell, verkehrsberuhigt und deutlich leiser als heute. Es zeichnet sich ab, dass die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung wahrscheinlich im Sommer 2020 einen europaweiten Wettbewerb ausschreiben wird, der die Gestaltung der Freifläche zum Ziel hat. Aus diesem Anlass hat jetzt die Stiftung Zukunft Berlin, der die Mitte der Stadt seit Jahren ein Anliegen ist, noch einmal auf ihre bereits veröffentlichten Ideen und „Überlegungen“ (Stefan Richter, Geschäftsführender Vorstand) hingewiesen. Hintergrund ist die Befürchtung der Stiftung, dass Inhalte eine zu geringe Rolle bei dem kommenden Wettbewerb spielen könnten, dass viele Kernpunkte der Bürgerleitlinien schleichend ignoriert und letztlich nicht umgesetzt werden könnten.

Im Wesentlichen schlägt die Stiftung für das, was der Baseler Stadtplaner Urs Kohlbrenner auf der Pressekonferenz der Stiftung nur „Das große Feld“ nennt, zwei prägende Gestaltungsräume vor, mit der Spandauer Straße als „Scharnier“ dazwischen: einen „Platz der Demokratie“ direkt vor dem Roten Rathaus und einen im Moment noch mit dem Arbeitstitel „Weltgarten“ bezeichneten Park auf dem Marx-Engels-Forum. Außerdem fordert sie, die Fußanbindung zu den umliegenden Quartieren, etwa dem Klosterviertel, drastisch zu verbessern und einen starken Akzent auf die Historie des Ortes zu legen.

Für einen möglichen „Platz der Demokratie“ müsste der Neptunbrunnen verschwinden, der der Stiftung ein Dorn im Auge ist. Sein historischer Ort ist der Schlossplatz, der sich entgegen landläufiger Meinung nicht vor dem Hauptportal des Schlosses, sondern südlich davon befindet. Nach dem Vorbild des Vierströmebrunnens auf der Piazza Navona in Rom schuf ihn Reinhold Begas mit den Allegorien von Rhein, Elbe, Oder und Weichsel – den großen Flüssen Preußens. Als Symbol für die Demokratie wäre er also nicht gerade geeignet.

„Berlin hat keinen zentralen Platz“, meint Publizistin Lea Rosh, ebenfalls Mitglied der Stiftung. Gendarmenmarkt oder Alexanderplatz seien für Demonstrationen ungeeignet, der Pariser Platz beschränkt auf Kundgebungen mit bundesweiter oder globaler Ausstrahlung. „Wir schlagen einen Platz für die Berlinerinnen und Berliner vor“, sagt Stefan Richter.

Ein Platz definiert sich durch seine Randbebauung

Wie der genau aussehen soll, wie daraus ein urbaner Ort werden kann, das bleibt bislang im Ungefähren. Ein Platz ist ja erst mal nur die Abwesenheit von etwas. Wo man auch hinschaut, egal ob Boxhagener Platz, Viktoria-Luise-Platz, Place des Vosges in Paris oder natürlich auch Piazza Navona: Die „Möblierung“ ist bei funktionierenden Plätzen eher zweitrangig. Was sie brauchen, ist eine Randbebauung, eine Fassung, und zwar eine möglichst kleinteilige. Was dann aber ja doch wieder auf eine Besiedlung des Areals hinausliefe. Am Kulturforum kann man, wie der Publizist Falk Jaeger erklärt, wunderbar studieren, dass eine Freifläche allein noch kein Wert an sich sei.

Den „Weltgarten“ sieht die Stiftung als notwendiges Pendant zum Humboldt-Forum, wo gerade die Erforschung, die „Vermessung“ der Welt Thema sei. Hier, wo ja auch bisher schon ein Wäldchen mit zum Teil Spontanvegetation wächst, sollen nach den Vorstellungen der Stiftung Pflanzen angesiedelt werden, die die Vielfalt der Flora auf der Erde symbolisieren, sogar ein Stück Amazonas-Regenwald kann sich Stefan Richter hier vorstellen, außerdem Pflanzen, die mit der Geschichte Berlins zu tun haben, die zum Beispiel die Hugenotten mitgebracht hatten. Die unmittelbare Nähe zur Spree liefert das Thema: Klimawandel, die zunehmende Wasserknappheit der Berliner und Brandenburger Böden, Dürresommer und Starkregen – all das soll hier zur Sprache kommen.

Die Anbindung und Vernetzung dieser beiden neuen Räume, „Platz der Demokratie“ und „Weltgarten“, an die umliegenden Stadtviertel ist zentrales Thema für die Stiftung. Bisher liegt „Das große Feld“ nämlich wie eine gigantische Barriere mitten im Berliner Zentrum, zu Fuß nur mühsam zu erreichen, eingehegt von Karl-Liebknecht- und Grunerstraße. Diese autobahnähnliche Magistrale allerdings wird jetzt endlich zurückgebaut und teilweise verschwenkt, sie soll künftig einen Knick machen und eng hinter dem Roten Rathaus entlang führen. Auf der frei gewordenen Fläche wird das historische Viertel um den Jüdenhof wieder entstehen, was auch das Klosterviertel um die Parochialkirche – der einzige in seiner Struktur noch weitgehend original erhaltene Bereich der früheren Altstadt – enger an den Raum rund um den Fernsehturm anbinden wird. Allerdings nur dann, wenn auch die Trennwirkung der großen Plattenbauten an der Rathausstraße aufgehoben wird, sprich: das Erdgeschoss wieder zum Durchgangsraum wird, wie es zu DDR–Zeiten der Fall war. Dazu müssten allerdings Gewerberäume verschwinden, deshalb sieht Rainer Boldt, früher Vorstand der AG Friedrichstraße, hierfür wenig Chancen. Dass Boldt kein Freund der Straßenbahn ist, macht er auf der Pressekonferenz ebenfalls mehr als deutlich: Ein Unding sei es, die Tram künftig vom Alexanderplatz über die Rathausstraße verlängern zu wollen. „Das zerstört an dieser Stelle die Möglichkeit zur Versammlung und jegliche Aufenthaltsqualität“, sagt er. Die Barriere der Straßenbahn in der Karl-Liebknecht-Straße, die dort ein eigenes Gleisbett hat, sei Warnung genug. Problem: Sowohl die Verlängerung der Straßenbahn als auch die Nichtverlegung des Neptunbrunnens sind offenbar „gesetzt“, also nicht mehr Gegenstand der Diskussion.

Die Achse Fernsehturm-Humboldtforum ernst nehmen

Die Stiftung möchte auch den historischen Charakter des „Großen Feldes“ stärker herausstellen. Dazu gehört etwa, die Achse vom Fernsehturm zum Humboldt-Forum ernst zu nehmen und nicht zu verbauen. Die Rathausstraße könnte eine Art Geschichtsmeile werden, mit dem Neptunbrunnen, der dann wieder „Schlossbrunnen“ heißt, als Schlusspunkt. „Außerdem befand sich hier das Zentrum der Berliner Aufklärung, daran muss unbedingt erinnert werden“, sagt Lea Rosh. Im Haus Spandauer Straße 5 – das nicht mehr existiert – seien sich etwa Moses Mendelssohn und Gotthold Ephraim Lessing regelmäßig begegnet.

Die Eigentumsverhältnisse in dieser einst dicht besiedelten Gegend sind übrigens laut Stiftung kein Problem. Die DDR hat großflächig enteignet, heute sei der gesamte Raum im Besitz des Landes. Und als solcher eine Kostbarkeit, die Berlin weltweit einzigartig machen würde.

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