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Der Streit um den Abriss der Plattenbauten in der Wilhelmstraße 56–59 könnte ein Fall für die Gerichte werden.

© Doris Spiekermann-Klaas

Wilhelmstraße: Eigentümer lässt am Plattenbau die Fassade fallen

„Rückbaumaßnahmen“: In der Wilhelmstraße 56–59 wird es langsam ungemütlich. Der Streit zwischen Eigentümer und Mietern um den geplanten Abriss des Plattenensembles geht in die nächste Runde.

Im Hof stehen drei Schuttcontainer. Arbeiter stemmen im Hinterhof Fassadenplatten ab und beseitigen Dämmmaterial aus Styropor: Der Streit zwischen Eigentümer und Mietern um den geplanten Abriss des Plattenensembles Wilhelmstraße 56 bis 59 in Mitte geht in die nächste Runde. Die Arbeiten auf der Gebäuderückseite haben bei der Bürgerinitiative Wilhelmstraße in dieser Woche neue Befürchtungen ausgelöst: „Die willkürliche Zerstörung geht weiter und dient wohl der Einschüchterung und Vertreibung“, sagte Daniel Dagan, Vorsitzender der Bürgerinitiative, auf Anfrage. Angesichts der seiner Ansicht nach „rechtswidrigen Aktivitäten“ bat er den Baustadtrat von Mitte, Carsten Spallek, um eine sofortige Intervention.

Der Bezirkspolitiker schaltete unterdessen die Bauaufsicht ein, die sich beim Eigentümer des Gebäudes über die Hintergründe erkundigte. Spallek zum Ergebnis dieser Gespräche: „Das Telefonat mit dem Eigentümer ergab, dass die Verkleidung nur zur Gefahrenabwehr demontiert wurde.“ Die Fliesen sollten keinen „vollflächigen Verbund mit dem Untergrund“ mehr gehabt haben. „Die Bauaufsicht hat keine rechtliche Handhabe, gegen diese Maßnahme tätig zu werden.“

Auch dem Tagesspiegel teilte die Eigentümergesellschaft Wilhelmstraße 56–59 Immobilienentwicklungs GmbH auf Anfrage mit, dass die Arbeiten an der Fassade der Gefahrenabwehr dienten. Dies sei den Mietern schon Anfang April 2015 mitgeteilt worden. Für den 15. April waren Wohnungsbesichtigungen angekündigt worden. Dabei sollte der Zustand der Fenster, der Elektroinstallationen und der Sicherungskästen sowie der Be- und Entwässerung geprüft werden.

Mieter und Eigentümer streiten seit Januar

Zugleich kündigten die Eigentümer an, bei den Besichtigungsterminen über Rückbaumaßnahmen zur Gefahrenabwehr in der Zeit vom 16. April bis voraussichtlich 25. Juni zu informieren. In einer weiteren Mitteilung wurde der 23. April als Beginn der Rückbaumaßnahme genannt. Die Bewohner wurden darauf hingewiesen, Pkws und Motorräder von diesem Zeitpunkt an nicht mehr auf dem Grundstück abzustellen.

Nach Einschätzung des Sprechers der Bürgerinitiative arbeitet der Eigentümer mit vorgeschobenen Argumenten, um Fakten zu schaffen: „Nirgendwo in der Wohnanlage lösen sich die Kacheln von selbst, nirgendwo muss man angeblich ,Gefahren‘ abwehren“, sagt Dagan.

In einem weiteren Schreiben hatte der Eigentümer darüber informiert, dass am 21. April Dachziegel vom Anwesen Wilhelmstraße 59 heruntergefallen seien. „Um die dadurch möglicherweise auch in der Zukunft entstehenden Gefahren für die Sicherheit der Bewohner und Dritter umgehend zu beseitigen, werden wir unverzüglich entsprechende Erkundungs-, Sicherungs- und geeignete Gefahrenabwehrmaßnahmen ergreifen“, teilte der Geschäftsführer der Eigentümerseite, Oliver von Sachs, den Mietern mit.

Zwischen der Bürgerinitiative und der Eigentümergesellschaft, der seit Januar 2015 der Wohnblock Wilhelmstraße 56–59 gehört, gibt es einen grundsätzlichen Streit. Während die einen das Gebäude in zentraler Lage nahe dem Brandenburger Tor als Mietshaus erhalten wollen, planen die Investoren den Abriss und unter dem Namen „Palais Berlin“ einen Neubau im gehobenen Standard. Vertrackt wird das Ganze, weil die noch in dem Komplex wohnenden Mieter weitreichenden Kündigungsschutz genießen. Andererseits sind Abriss und Neubau behördlich genehmigt.

Der Eigentümer steht für Gespräche gern zur Verfügung

Vor dieser Gemengelage gab es am 28. April eine Bürgerversammlung. „Auch wenn die kontroverse Debatte keine Annäherung der Positionen brachte, wurde sie von allen Bürgern einhellig als ein guter Anfang begrüßt“, teilte die Bürgerinitiative im Anschluss mit. Auch die Eigentümer zeigten sich zufrieden mit dem Dialog.

Bei den inhaltlichen Aussagen jedoch lagen und liegen beide Seiten weit auseinander. Während die Eigentümergesellschaft erklärte, dass mit mehr als der Hälfte der 36 verbliebenen Mietparteien Aufhebungsvereinbarungen über die Mietverträge geschlossen werden konnten, teilte die Bürgerinitiative mit: „Die Entmietung durch finanzielle Anreize hat keine Chance. Fakt ist, dass die Mehrzahl der Bewohner bleiben und bereit sind, dem permanenten Druck durch die Eigentümer standzuhalten.“

Die Eigentümer betonen immer wieder, dass sie auf Information, Gespräche und Dialog setzen und Abfindungsregelungen anbieten. Diese lägen weit über marktüblichen Summen und würden sogar den Kauf einer Eigentumswohnung ermöglichen. Oliver von Sachs gegenüber dem Tagesspiegel: „Wir sind an fairen Lösungen interessiert und stehen den 14 verbliebenen Mietern zu weiteren Gesprächen gern zur Verfügung.“

Ursprünglich gab es in dem Komplex Wilhelmstraße 56–59 rund 100 Mietwohnungen, gebaut in der Wendezeit um 1990 im DDR-typischen Plattendesign. Das gesamte Ensemble Wilhelmstraße und Umgebung umfasst weitere rund 900 Wohnungen in diesem Stil, die anderen Eigentümern gehören. Nach Ansicht der Bürgerinitiative sollte diese Siedlung „als architektonische und urbane Einheit“ erhalten werden. Dort gibt es allerdings neben der Nutzung als Ferienwohnungen auch größeren Leerstand.

Der Streit wird seit Jahren erbittert geführt. Mit Parolen wie „Kein DDR-Plattenmuseum zwischen Pariser Platz und Gendarmenmarkt“ ziehen Kritiker ins Feld. Bewohner wie Daniel Dagan betonen: „Kein einziges Haus in unserem Bauensemble wird abgerissen“.

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