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Der Wohnungsbau in Deutschland zieht an. Doch von seinem Höchststand in den 90er Jahren, der die 700 000er-Marke überschritt, ist er immer noch weit entfernt.

© dpa

Wohnungsmarkt in Berlin: Zurück in die Zukunft

Experten fordern zeitgemäße Art des sozialen Wohnungsbaus – ohne die Fehler früherer Zeiten zu begehen.

Berlin wächst. Seit 2005 nimmt die Bevölkerung der Hauptstadt kontinuierlich zu. Zum einen durch Zuwanderung aus dem gesamten Bundesgebiet – nicht nur aus Schwaben – sowie aus dem europäischen Ausland. Zum anderen ist seit 2007 ein organisches Wachstum durch die Umkehrung des Geburtendefizits zu verzeichnen. Vor allem 2011 ist die Zahl der Haushalte nach Angaben des aktuellen Wohnungsmarktberichts der IBB geradezu sprunghaft angestiegen: Der Wanderungsüberschuss war doppelt so hoch wie im Vorjahr. Auch 2012 hatte Berlin einen Wanderungsgewinn von mehr als 27 000 Menschen zu verzeichnen.

Die Konsequenzen für den Wohnungsmarkt sind in allen Bezirken spürbar. Denn mit dem Bevölkerungswachstum steigt auch die Nachfrage vor allem nach bezahlbarem Wohnraum. Grund dafür ist nach Einschätzung der IBB der verstärkte Zuzug von einkommenschwachen Wirtschaftsmigranten aus Süd- und Osteuropa sowie die anhaltend hohe Berliner Sockelarbeitslosigkeit, die von den positiven Entwicklungen am Arbeitsmarkt unberührt bleibt. Kombiniert mit der steten Zunahme von Singlehaushalten sowohl jüngerer als auch älterer Menschen mit geringem Einkommen und der niedrigen Neubautätigkeit im Mietsektor erhöhen diese Faktoren den Druck auf den ohnehin schon angespannten Wohnungsmarkt, insbesondere im Bereich der Sozialwohnungen. Zumal aufgrund der schlechten Haushaltslage die öffentliche Förderung für den Sozialen Wohnungsbau 2003 in Berlin gestrichen wurde.

Dass das Thema jetzt in Anbetracht rasant steigender Mieten in Ballungsräumen und Universitätsstädten nicht nur in Berlin, sondern bundesweit eine politische Renaissance feiert, ist angesichts der anstehenden Bundestagswahl nicht überraschend. Sowohl SPD- als auch CDU-Politiker sprechen davon, mehr Geld in den Neubau zu investieren. Dabei schien die Idee des staatlich geförderten Wohnraums aufgrund hoher Belastungen für öffentliche Haushalte und sozialer Probleme in der Realisierung längst ein Konzept der Vergangenheit zu sein.

„In der aktuellen Diskussion werden versorgungspolitische und soziale Ziele vermischt“, sagt Reiner Wild, Geschäftsführer des Berliner Mietervereins. „Notwendig ist jedoch eine klare Ziel- und Prioritätensetzung.“ Dabei sei über die Angebotsausweitung durch Neubauten kein nachhaltiger Effekt auf das Mietpreisniveau zu erzielen, weil der Anteil öffentlich geförderter Neubauten mit Preis- und Belegungsbindungen aufgrund beschränkter finanzieller Ressourcen von Kommunen und Ländern marginal sei. Ohne Zwang werde zudem nur ein sehr kleiner Teil privater Neubauinvestoren wegen der Bindungen öffentliche Fördermittel in Anspruch nehmen.

„Wir müssen auf die Tube drücken“

So nimmt in Berlin seit Jahren die Zahl der öffentlich geförderten Wohnungen stetig ab. Mittlerweile wird laut einer aktuellen Studie des Pestel-Instituts im Auftrag der Wohnungsbau-Initiative nur noch ein Drittel des Bedarfs von 641 000 Sozialwohnungen gedeckt. „Anstatt in preisgünstigen Neubau für einen möglichen zukünftigen Bedarf zu investieren, sollte man jetzt in der angespannten Situation die sozialen Aufgaben genauer betrachten“, sagt Wild und bezieht sich auf ein Positionspapier, das er gemeinsam mit Armin Hentschel vom Institut für Soziale Stadtentwicklung verfasst hat und das dieser Zeitung exklusiv vorliegt.

Darin rufen die beiden Experten unter anderem dazu auf, staatliche Finanzierungshilfen nicht in erster Linie einzusetzen, um „das Angebot an Neubauwohnungen auszuweiten; sie sollen vielmehr den preis- und belegungsgebundenen Sektor vergrößern“. Ein Standpunkt, den auch David Eberhart, Sprecher des Verbands Berlin- Brandenburgischer Wohnungsunternehmen, vertritt. „Neubau wirkt immer zeitversetzt“, sagt er. „Und da wir gerade die Spitze der prognostizierten Zuwanderung bis 2025 erreichen, stellt der Einkauf von Belegungsbindungen durch die Bezirke eine kurzfristige und zielgenauere Lösung dar.“

Zwar baut die Degewo derzeit in Marienfelde 52 neue Wohnungen und plant mittelfristig 1500 in verschiedenen Quartieren, darunter am Tempelhofer Feld, um „aktuellen Engpässen entgegenzuwirken und steigende Mieten abzufedern“, wie Degewo-Vorstandsmitglied Frank Bielka sagt. Aber das wird nicht reichen. Und da private Großvermieter momentan keine Neubaupläne haben und sich eher abwartend verhalten, „müssen wir jetzt auf die Tube drücken“, wie Eberhart meint.

Außerdem, so Reiner Wild, sei der Bedarf an bezahlbarem Wohnraum innerhalb des S-Bahnrings besonders groß. Er schlägt als einen Schritt im Rahmen des „neuen sozialen Wohnungsbaus“ vor, dass Investoren, die innerhalb des S-Bahnrings Wohnungen im Bestand haben und außerhalb des Rings bauen, sich auf eine Mietpreisbindung für den Bestand einlassen, während der Neubau davon befreit werden kann. Auch seien für die notwendige Belebung des Neubaus nichtmonetäre Hilfen nötig, die möglicherweise besser griffen und deutlich zielführender seien, etwa Flächensteckbriefe, aktive Investorenbewerbung durch die Kommunen, An- und Weiterverkauf von Grundstücken im Rahmen städtischer oder landeseigener Wohnungsbaufonds oder städtebauliche Verträge.

Das Prinzip der neuen Förderung müsse auf jeden Fall „der Tausch von staatlichen Hilfen gegen soziale Preis- und Belegungskonzepte sein, die ebenso im Bestand wie im Neubau verankert werden können“, sagen Wild und Hentschel. Zudem müsse sichergestellt werden, „dass Mietpreisbindungen flexibel an die Einkommensentwicklung des Nutzerhaushalts angepasst werden“, um eine Diskussion um Fehlbelegungen zu vermeiden. Klar sei auch – da sind sich alle Experten einig –, dass sozialer Wohnungsbau keine zeitlich begrenzte Aufgabe sei.

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