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Hotels als Notunterkunft. Hier kommen die ersten 50 Flüchtlinge aus der Ukraine mit einem Bus im Rottenburger Hotel Convita an (Kreis Tübingen). Die Initiative #touristikhilft (www.touristik-hilft.de) unterstützt Flüchtlinge mit Unterkünften und mehr. Hinter der Initiative stehen deutsche Reiseverbände und Touristiker (HSMA, VIR, ASR, Dt. Ferienhausverband, DRV).

© IMAGO/ULMER Pressebildagentur

Wohnungsneubau: Es wird mehr brauchen

Die Prognosen und Ziele der Bundes- und Berlins Landesregierung sind angesichts der Flüchtlingsströme bereits überholt

Die Zahl der in Deutschland ankommenden Flüchtlinge aus der Ukraine nimmt auch dreieinhalb Wochen nach Kriegsbeginn weiter zu. „Für Unterbringung und Integration müssen etwa 1000 Euro pro Person und Monat angesetzt werden“, sagte der Verbandshauptgeschäftsführer des Deutschen Städte- und Gemeindebundes, Gerd Landsberg, einem Pressebericht zufolge. „Wir stehen vor riesigen Herausforderungen bei der Unterbringung und Versorgung“ Der Deutsche Städte- und Gemeindebund rechnet mit Milliardenkosten durch Flüchtlinge aus der Ukraine.

Die Immobilienwirtschaft rechnet mit einem kurzfristigen Bedarf von Hunderttausenden Wohnungen in Deutschland. Das zeigt eine Analyse, die der Spitzenverband Zentraler Immobilien-Ausschuss (ZIA) in dieser Woche in Berlin vorlegte. Demnach dürfte die Zahl der Flüchtenden aus dem Kriegsland im günstigsten Szenario bei mindestens 310000 liegen, was 120000 zusätzlichen Wohnungen entspreche. Im mittleren Szenario müsse sich Deutschland auf etwa 810000 Flüchtende und einen Bedarf an 310000 Wohnungen einstellen, wie das Forschungsinstitut Empirica für den ZIA berechnete. Im Maximalfall seien es bis zu 1,29 Millionen Menschen aus der Ukraine und 500000 zusätzliche Wohnungen.

Hundertausende Wohnungen werden kurzfristig benötigt

Seit Beginn des russischen Angriffs sind bereits fast 220000 Menschen aus der Ukraine nach Deutschland eingereist und dabei registriert worden, teilte die Bundesregierung am Sonntag mit. Die meisten Flüchtlinge sind Frauen und Kinder. Erfasst werden allerdings nur Geflüchtete, die von der Bundespolizei festgestellt werden, etwa an der österreichisch-bayerischen Grenze, an Bahnhöfen oder in Zügen. Da es keine Registrierungspflicht gebe, könne die Zahl aber noch höher sein, sagt Regierungssprecher Steffen Hebestreit. „Da kommt einiges auf uns zu“, ergänzte er.

Berlin wird den größten Bevölkerungszuwachs haben

„Berlin wird – unabhängig von der Verteilung über den Königsteiner Schlüssel – am Ende vielleicht mit Hamburg und München den größten Bevölkerungszuwachs durch die Geflüchteten aus der Ukraine haben“, sagte dem Tagesspiegel Susanne Klabe, Geschäftsführerin des Landesverbands Berlin-Brandenburg des Bundesverbands Freier Immobilien- und Wohnungsunternehmen (BFW). Sie verwies auf die rechtlich verbriefte Bewegungsfreiheit für die Ankommenden, die sogenannten Drittstaatsangehörigen (Personen aus einem Land außerhalb der EU), in Deutschland: „Selbst, wenn die Menschen für die Erstaufnahme auf das Bundesgebiet verteilt werden, Berlin wird Anziehungspunkt bleiben, die Menschen werden dahin gehen, wo sie ihrer Heimat nah sind“, sagte Klabe auf Anfrage: „Viele Freunde und Familienangehörige sind im Nachbarland Polen ansässig oder angekommen. Die Menschen werden dahin gehen, wo es eine große ukrainische Community mit ihren Netzwerken gibt. Damit liegt Berlin ganz vorne.“

Bei der Bewältigung der humanitären Krise spielt die Immobilienwirtschaft in der Flüchtlingswelle eine Schlüsselrolle. In der Hauptstadt bieten mehrere Unternehmen kostenfrei Zimmer an. So öffneten der Serviced-Apartments-Anbieter limehome, die Immobilienentwicklungsgesellschaft Native Capital und Mount Real Estate Capital Partners ein ehemaliges Hotel mit 50 Zimmern in der Stresemannstraße 36 in Berlin für Geflüchtete. Das kostenfreie Angebot mit einer Kapazität von neunzig Personen pro Nacht startete am 11. März. Es handelt sich um eine kurzfristige Zwischennutzung, bevor das Gebäude im Frühjahr 2022 umfassend renoviert wird. Die Aktion ist derzeit bis zum 31. März begrenzt.

Das alte Rewari-Hotel in der Berliner Stresemannstraße. Bis zum 31. März werden hier Flüchtlinge untergebracht. Der zukünftige Betreiber limehome, der sich im Moment auch mit Personal vor Ort engagiert, ist Teil der Initiative everybedhelps und wird auch nach dem Ende der Aktion in der Stresemannstraße freie Zimmer im Rahmen des normalen limehome-Angebots an Geflüchtete zur Verfügung stellen.
Das alte Rewari-Hotel in der Berliner Stresemannstraße. Bis zum 31. März werden hier Flüchtlinge untergebracht. Der zukünftige Betreiber limehome, der sich im Moment auch mit Personal vor Ort engagiert, ist Teil der Initiative everybedhelps und wird auch nach dem Ende der Aktion in der Stresemannstraße freie Zimmer im Rahmen des normalen limehome-Angebots an Geflüchtete zur Verfügung stellen.

© limehome/Feldhoff & Cie. GmbH

Der zukünftige Betreiber limehome, der sich im Moment auch mit Personal vor Ort engagiert, sei Teil der Initiative everybedhelps und werde auch nach dem Ende der Aktion in der Stresemannstraße freie Zimmer im Rahmen des normalen limehome-Angebots an Geflüchtete zur Verfügung stellen, sagte Volker Binnenböse, Sprecher der Initiative. Am Mittwoch waren 36 Zimmer mit 65 Erwachsenen und 14 Kindern im Alter von 1 bis 85 Jahren belegt. Die Projektpartner werden unterstützt durch die Lebensmittelkette Edeka, die Rechtsanwaltskanzlei GSK Stockmann hilft bei der rechtlichen und vertraglichen Umsetzung; der Rotary Club Berlin leistet tatkräftige Hilfe vor Ort.

In Berlin wurde innerhalb von fünf Tagen das Upstalsboom Hotel Friedrichshain reaktiviert

Seit Anfang des Monats kommen Geflüchtete auch im Upstalsboom Hotel Friedrichshain unter, das in die Insolvenz ging. Hier wurde innerhalb von fünf Tagen Platz für rund 300 Menschen in einem still gelegten Hotel geschaffen. Kathrin Weidemeier, Geschäftsführerin des Unionshilfswerks, ist Mitinitiatorin dieses Projekts. Sie wurde am 1. März Hannah Kreinsen von der Senatsverwaltung für Integration, Arbeit und Soziales kontaktiert. Kreinsen, zuständig für Wohnungslosenhilfe und -politik, fragte, ob das Unionshilfswerk bei der Reaktivierung des Hotels unterstützen könne. Im Gegenzug sicherte Kreinsen unkomplizierte, finanzielle Unterstützung zu. Mark Seibert, verantwortlich für den Krisenstab K1 bei der Senatsverwaltung, nahm dann Kontakt zu der Primus Immobilien AG auf, der Inhaberin des Gebäudekomplexes.

Das Unionhilfswerk trommelte 50 Freiwillige zusammen - sie bezogen 270 Betten

Ursprünglich sollten Teile des ehemaligen Hotels ab Ende April bis Ende August für die Kältehilfe der Berliner Stadtmission und die andere Hälfte als Quarantänestation für Obdachlose bereitgestellt werden, betrieben vom Unionshilfswerk. Primus-Vorstand Sebastian Fischer und Projektmanager Kevin Fiedler (Primus Immobilien AG) wurden abends mit dem geänderten Konzept konfrontiert. Anderthalb Stunden später sagten sie zu. Fischer aktivierte die zuständige Verwaltungsgesellschaft IWS, um die technische Infrastruktur wieder in Gang zu setzen. Zeitgleich schaltete sich die Berliner Stadtmission ein. Clemens Müller, Unionshilfswerk, startet einen Aufruf, dem eine Stunde später bereits fünfzig Freiwillige folgten. Gemeinsam bezogen sie noch vor Mitternacht 270 Betten, organisierten Lebensmittel, Sicherheitspersonal sowie eine Brandwache.

Auf sieben Stockwerken gibt es zwei Quarantäneebenen

Von den sieben Stockwerken sind zwei als Quarantänestationen vorgesehen. Dort werden mit Corona Infizierte mit vier Mahlzeiten am Tag versorgt. Aktuell handeln alle Beteiligten noch in einem vertragslosen Raum auf eigenes finanzielles Risiko. Auch der Status der Unterkunft und der Geflüchteten ist noch ungeklärt. Offen zudem, wie und wo es mit den Geflüchteten weitergeht. „Warum soll ich denn Deutsch lernen? Wir fahren doch bald wieder nach Hause“, zitiert Anna Vaskova, russischstämmige Grundschullehrerin in Berlin, einen kleinen Jungen, dem sie täglich in kurzen Unterrichtseinheiten in einem kleinen Spielzimmer etwas Normalität bietet. Seine Mutter hätte es bisher nicht übers Herz gebracht, ihrem Sohn die Wahrheit zu sagen.

Das Upstalsboom Hotel Friedrichshain ist jetzt eine Flüchtlingsunterkunft. Der Geschäftsbetrieb wurde Ende September 2020 wegen Insolvenz der Betreiber endgültig eingestellt.
Das Upstalsboom Hotel Friedrichshain ist jetzt eine Flüchtlingsunterkunft. Der Geschäftsbetrieb wurde Ende September 2020 wegen Insolvenz der Betreiber endgültig eingestellt.

© Primus Immobilien AG

Über die Buchungsplattform #HospitalityHelps bieten Hotelgruppen wie Accor, Hilton, IHG und Marriott sowie unabhängige Hotels Zimmer für Flüchtlinge an. Sie sind für weitere Betreiber offen, und bitten Hoteliers sich bei ihnen zu melden. In Berlin stellten das Hilton 118, das Marriot 57, die Dorinthotels 37, Accor 21, IHG 14, Radisson 13 und unabhängige Hotel 98 Zimmer zur Verfügung (Stand: Mittwochabend).

Die Erstunterbringung und -versorgung ist indes das eine, die Unterbringung in einer Wohnung das andere. Muss die Bundesrepublik Deutschland, muss Berlin die Neubauziele korrigieren? Die so genannten Immobilienweisen glauben ohnehin nicht, dass die Bundesregierung das Neubauziel von 400000 Wohnungen pro Jahr schaffen wird. Und ob es Rot-Grün-Rot gelingt, in der Bundeshauptstadt bis 2030 rund 200000 Wohnungen zu bauen, darf mit Blick auf die seit Jahren rückläufige Zahl an Baugenehmigungen ebenfalls bezweifelt werden.

Deutschland muss beim Bauen schneller werden

„Richtig Alarm machen wir aber nicht“, sagt Harald Simons, Vorstandsmitglied beim Forschungsinstitut empirica AG. „Jetzt eine Diskussion über Zielzahlen zu machen, bringt nichts. Denn wir erreichen sowieso die 400000 Neuwohnungen nicht. Wir müssen es in irgendeiner Form hinbekommen, dass wir beim Bauen schneller werden“, sagt er. Das Problem bestehe darin, dass diese Erkenntnis nicht neu sei „und es gelingt uns trotzdem nicht“.

Simons, als „Immobilienweiser“ einer der profiliertesten Immobilienexperten Deutschlands, glaubt, dass die Ukrainer die angespannten Wohnungsmärkte überproportional verlassen – wie zuvor auch die syrischen Flüchtlinge – und dorthin gehen, wo sie eine Wohnung finden. Denn Arbeit bekämen sie überall. In der mittleren Frist sollten keine „Baracken“ zur Unterbringung gebaut werden. Es seien gut ausgebildete Doppelverdienerhaushalte zu erwarten. Die Frauenerwerbsquote sei „gigantisch“, so Simons. Und diese Flüchtlinge wollten eine ordentliche Wohnung oder ein Haus beziehen. „Die kriegsbedingte zusätzliche Wohnungsnachfrage dürfte sich – vor dem Hintergrund der erwarteten schnellen Integration in den Arbeitsmarkt, der hohen Erwerbsbeteiligung der Frauen und des hohen Kinder- bzw. Familienanteils an den Flüchtlingen – auf größere, familiengerechte Wohnungen im mittleren Standard konzentrieren.", heißt es in dem Gutachten von empirica für den ZIA.

Auch der BBU Verband Berlin-Brandenburgischer Wohnungsunternehmen e. V. konstatiert, dass es zu wenig Wohnungen in den Ballungsräumen gibt. „Entweder man verteilt die Flüchtlinge oder man baut verstärkt in den Ballungsräumen“, sagt BBU-Sprecher David Eberhart: „Schwierig zu sagen, wie viele hierbleiben und wie viele weiterziehen.“

Berlins Stadtentwicklungssenat plant keinen Runden Tisch zur Unterbringung von Flüchtlingen

Berlins Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Wohnen hält es noch für zu früh für Prognosen, zu früh für ein mögliches Update der Neubauziele. „Wir unterstützen die Senatsverwaltung für Integration, Arbeit und Soziales beim Thema Unterbringung durch Begleitung in Bauaufsichts- und Planungsrechtsfragen, der Prüfung von Grundstücken für Unterbringungsmöglichkeiten und bauen in enger Abstimmung mit dem BBU ein Portal für Angebote der Wohnungsunternehmen für diesen Zweck auf“, sagt eine Sprecherin. Ein Runden Tisch mit Vertretern der Immobilienwirtschaft ist zu diesem Thema nicht geplant: „Bitte wenden Sie sich an die zuständige Senatsverwaltung für Integration, Arbeit und Soziales.“

Der BFW verweist auf den Rückstau: Schon vor Beginn der Flüchtlingsbewegung gab es zu wenig Wohnungen

Der Berliner Landesband des BFW weist darauf hin, dass die Zahl der tatsächlich benötigten Wohnungen bereits ohne den Überfall auf die Ukraine und den Beginn der Flüchtlingsströme umstritten gewesen sei. Durch die Pandemie habe sich für Berlin über die letzten zwei Jahre kein klares Bild ergeben. „Wir waren der Auffassung, dass es nicht allein auf die Zahl der Dazukommenden ankommt, sondern auf den Rückstau fehlender Wohnungen, der ohne zusätzlich wachsende Bevölkerung besteht“, sagt Susanne Klabe. Wesentlich für die Beurteilung sei zunächst die Einschätzung, wie viele Wohnungen angesichts der bisherigen Bevölkerungsentwicklung fehlen, wie die nächste Bevölkerungsprognose ohne den Effekt aussieht, der durch die Geflüchteten entsteht. Doch die Geschäftsführerin glaubt: „Die ursprünglich für Berlin in Ansatz gebrachten 200000 Wohnungen in den kommenden Jahren werden nicht reichen. Es wird mehr brauchen. Es braucht Wohnungen für alle, die hier Wurzeln geschlagen haben oder schlagen wollen und das nicht im Berliner, nicht im Schneckentempo.“

ZIA und GdW fordern Flüchtlingsgipfel auf Bundesebene

Axel Gedaschko, Präsident des Spitzenverbandes der Wohnungswirtschaft GdW, hält die Zuwanderung für den entscheidenden Faktor für den Neubaubedarf. „Je nachdem, wie lange der Krieg in der Ukraine anhält, wie sich die Situation generell weiterentwickelt und wie viele Geflüchtete dauerhaft in Deutschland bleiben werden, müssen in den kommenden Jahren also wohl mindestens 400000 neue Wohnungen jährlich gebaut werden, im Zweifel sogar mehr. Auf Bundesebene sollte es zügig einen Flüchtlingsgipfel geben.“ Auch der ZIA forderte Olaf Scholz als Bundeskanzler angesichts der dramatischen Flüchtlingszahlen auf, einen Flüchtlingsgipfel zur Aufnahme und Versorgung der Geflüchteten einzuberufen – unter Beteiligung des Bundes, der Länder und Gemeinden sowie der Wirtschaft und Hilfsorganisationen. Mitarbeit: Pascal Vent

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