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Schräge Atelierfenster sollten viel Licht, aber keine direkte Sonne einlassen.

© Sven Darmer

Zu Besuch in Hans Scharouns Atelier am Tag des offenen Denkmals: Wallfahrt zur Berliner Moderne

Architekturfans können am kommenden Wochenende einen Blick in das frühere Atelier von Hans Scharoun erhaschen.

Der Ruf lässt etwas zu wünschen übrig. Charlottenburg-Nord gehört zu den Ortsteilen Berlins, die als weniger schick gelten. Um es freundlich auszudrücken. Gerecht ist dieses Urteil allerdings nur bedingt – und trifft schon gar nicht auf den Bereich westlich des Kurt-Schumacher-Damms zu. Denn die Großsiedlung Siemensstadt, die östliche Erweiterung der Spandauer Siemensstadt, ist Unesco-Welterbe. Gewissermaßen ein Freilichtmuseum, gebaut Ende der 1920er Jahre.

Die meisten Bewohner ahnen, dass sie zum bundesweiten „Tag des offenen Denkmals“ am 10. September wieder mit einer Invasion Architekturinteressierter rechnen müssen. Ein ähnlicher Magnet wie die „Berliner Moderne“ dürfte gleich nebenan ein Kleinod sein, das im Verborgenen schlummert: die letzte Adresse von Hans Scharoun und seiner Frau Margit von Plato am Heilmannring. Im Gegensatz zu vielen Architekten hatte Scharoun (1893–1972) die Eigenart, in genau dem Umfeld wohnen zu wollen, das unter seiner Federführung entstanden war. Er lebte vielerorts statt in standesgemäßen Villen lieber in den von ihm entworfenen Häusern und mit den Menschen, für die seine Wohnungen gedacht waren.

„Scharouns Maxime, vom Arbeiter bis zum Professor alle unter einem Dach‘ hat sich zumindest hier nicht umsetzen lassen“, sagt Christian Fessel. „Scharoun dürfte seinerzeit der einzige Professor im Haus gewesen sein.“ Fessel, hauptberuflich Fotograf, leitet als Kundiger in Sachen Baugeschichte die „Welterbe-Infostation“ am Goebelplatz, die die Eigentümerin Deutsche Wohnen SE für die Siedlung mit 1370 überwiegend Zweieinhalbzimmerwohnungen eingerichtet hat. Gleichzeitig besitzt Fessel Schlüsselgewalt über Scharouns letztes Atelier in der benachbarten Großsiedlung Charlottenburg-Nord (Bauzeit: 1956–61, 1806 Wohneinheiten in drei- bis achtgeschossigen Bauten), die heute angegraut und weniger gepflegt erscheint, aber ebenfalls auf der Denkmalliste steht.

Das hölzerne Bücherregal stammt noch aus dem Scharoun’schen Haushalt.
Das hölzerne Bücherregal stammt noch aus dem Scharoun’schen Haushalt.

© Sven Darmer/p.a./akg-images

Tatsächlich, das Klingeltableau am Heilmannring 66A zeigt für das achte Geschoss an: „Prof. Scharoun/v. Plato“. Die frühere Wohnung im siebten Geschoss des grau verputzten Hauses sowie das gleich daneben gelegene Büro gab die Modejournalistin Margit von Plato nach dem Tod ihres Mannes 1972 auf. Sie ließ die Wendeltreppe in das auf dem Dach gelegene Atelier entfernen, baute auf der dann geschlossenen Treppenöffnung ein Bad, richtete sich eine Küche ein. Sie lebte hier bis 1985 in zwei Zimmern.

Von der Dachterrasse aus bietet sich ein fantastischer Weitblick in alle Himmelsrichtungen. Vermutlich unverbaubar, doch man weiß heute ja nie. Wie in drei weiteren Künstlerapartments der Siedlung hat Hans Scharoun gen Norden deckenhohe, leicht schräge Atelierfenster eingebaut, die viel Licht, doch keine direkte Sonneneinstrahlung zulassen. Die Bauart der Fenster erinnert stark an die Berliner Philharmonie, die im Oktober 1963 fertiggestellt wurde und das wohl bekannteste Bauwerk Scharouns sein dürfte. „Nach dem Tod von Frau Scharoun war die Wohnung zwei Jahre lang vermietet“, weiß Christian Fessel zu berichten. Anschließend diente sie als Quartier für Gäste der Eigentümergesellschaft, wird heute jedoch allein als ein Stück Original-Scharoun gehütet. Daran soll auch nicht gerüttelt werden, wie Mira Schnittger von der Deutsche Wohnen versichert.

Mit dem Gerücht, die Wohnung sei „original erhalten“, muss in Bezug auf die Einrichtung allerdings aufgeräumt werden. Außer einem weitgehend leeren Bücherregal samt schwarzem Wählscheibentelefon und einer Vitrine mit einem Sammelsurium an Gläsern ist nichts aus dem Scharoun’schen Haushalt erhalten. Tische, Stühle im Eiermann-Design, der Schreibtisch vor einem gen Süden gerichteten Fenster – alles Deko sozusagen.

Hans Scharoun wohl bekanntestes Bauwerk ist die Berliner Philharmonie.
Hans Scharoun wohl bekanntestes Bauwerk ist die Berliner Philharmonie.

© picture alliance / akg-images

Doch die Bewunderer des großen Architekten pilgern ja auch keineswegs in das lichtdurchflutete Penthaus, um sich an irgendwelchen Devotionalien zu ergötzen. „Viele kommen nur, um die Atmosphäre aufzunehmen, vielleicht etwas vom Geist des Meisters zu erhaschen“, sagt Fessel. „Ich habe Gruppen von Studenten erlebt, die hier stundenlang saßen, mal angeregt über Scharoun und sein Werk sprachen, dann wieder lange nichts sagten, um den Raum auf sich wirken zu lassen oder den Blick auf die grüne Siedlung zu genießen.“

Die Arbeit an der Großsiedlung Siemensstadt (Beiname: „Ringsiedlung“) hatte sich Hans Scharoun Ende der 1920er Jahre noch mit anderen Größen seiner Zunft wie Walter Gropius, Otto Bartning oder Hugo Häring teilen müssen. Sie alle gehörten der Architektengemeinschaft „Der Ring“ an, hielten die Formsprache des Historismus für überkommen und hatten sich „Neues Bauen“ zum Ziel gesetzt.

Beim Bau der Großsiedlung Charlottenburg-Nord hatte dann Scharoun planerisch und gestalterisch das Zepter in der Hand. Die Monotonie des Zeilenbaus in der „Ringsiedlung“ überwand er durch die Gruppierung verschieden hoher und verschiedenartig zusammengesetzter Trakte zu „Wohngehöften“. Individuelle Ausgestaltung und die Beschränkung auf jeweils 310 Wohneinheiten sollten den Bewohnern ein „Kiez-Gefühl“ vermitteln. Zwischen den Häusern viel Grün, relative Weite, Luft zum Atmen. Die Idee dahinter: Aufenthaltsqualität für die Mieter. Das Unwort „Verdichtung“ existierte im Sprachschatz der damaligen Planer offenbar noch nicht.

Heute ist vieles im Atelier nur Deko, passt aber wunderbar in die Zeit.
Heute ist vieles im Atelier nur Deko, passt aber wunderbar in die Zeit.

© Sven Darmer

Bei Scharoun und seinen Mitstreitern orientierte sich die Gestaltung des sozialen Lebensraums stets an der jeweiligen Zeit. Auch das zeigt sich bei der Verwirklichung der „Ringsiedlung“. Ende der 1920er Jahre spielte das Auto überhaupt keine Rolle für potenzielle Mieter, Platz dafür war nicht vorgesehen. Anders bei den Scharoun-Bauten am Heilmannring 30 Jahre später: Garagen und Stellplätze für Mieter, ja sogar an straßenseitige Besucherparkplätze wurde gedacht. Autogerecht eben. Gleichzeitig erstaunlich ruhig. Nicht unbedingt hip, gewiss, dafür aber sehr grün. Und sehenswert.

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