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De Groene Kaap des Rotterdamer Architekturbüros Massa, das Koos Kok gegründet hat. Die Dachgartenlandschaft, die scheinbar ebenerdig liegt, hat das Büro LOLA geschaffen. Aber unter den Gärten befinden sich drei Stockwerke Parkhaus.

© Rolf Brockschmidt

Zukunft auf den Dächern Rotterdams: Grün liegt in der Luft

Rotterdam hat seine Dächer als zweite Ebene der Stadt entdeckt - für Gärten, Spaziergänge und ein nachhaltiges Wassermanagement.

Gepflegte Backsteinhäuser, zwei Stockwerke hoch, rote Haustüren, davor eine kleine Terrasse und eine Gartenlandschaft, durch die sich entlang des Weges ein türkisfarbenes Rohr schlängelt, in das manchmal eine Sitzfläche integriert ist. Das Rohr führt wie ein Ariadnefaden durch den Gemeinschaftsgarten, der von vier unterschiedlich hohen Wohntürmen, ebenfalls in Backsteinoptik, gesäumt wird.

Hier handelt es sich nicht um eine Vorstadtidylle, sondern um ein ambitioniertes Wohnungsbauprojekt in Katendrecht, einer ehemaligen Hafenhalbinsel im Süden Rotterdams im Bezirk Feijenoord, jenseits der Maas, wo vor dem Krieg chinesische Schauerleute und Hafenarbeiter wohnten. 1940 wurde das Quartier bis auf den dreieckigen Deliplein, an dem heute kleine Geschäfte und Restaurants liegen, von der deutschen Luftwaffe bombardiert. Bis zu Beginn der neunziger Jahre war Katendrecht ein Viertel mit einem schlechten Ruf. „Traust Du dich, am Kap zu wohnen?“, lautete ein Spruch in der Stadt. Doch Rotterdam unternimmt seit 2007 einiges, um die Aufenthaltsqualität zu verbessern.

De Groene Kaap am Maashafen in Katendrecht, Rotterdam. Den Backsteinbauten sieht man von der Straßenseite ihre Dachgartenlandschaft nicht an.
De Groene Kaap am Maashafen in Katendrecht, Rotterdam. Den Backsteinbauten sieht man von der Straßenseite ihre Dachgartenlandschaft nicht an.

© Ossip van Duivenbode

Dazu gehören auch Grünflächen. Aber die Stadt wächst und wächst, und der Raum wird immer knapper. Seit 2008 hat die Stadtverwaltung deshalb die Dächer als zweite Ebene der Stadt entdeckt. Das oben beschriebene Projekt „De Groene Kaap“ (Das Grüne Kap) mit über 400 Miet- und Eigentumswohnungen des Architektenbüros Massa und LOLA Landscape Architects hat vor sechs Jahren den Raum am Maashafen zugewiesen bekommen, um hier mehr als nur ein Wohnungsbauprojekt zu planen. Koos Kok, der Gründer von Massa, erzählt, er habe von Anfang an die Dächer mit in die Planung einbezogen.

De Groene Kaap, ein Bauprojekt auf Katendrecht im ehemaligen Hafengebiet von Rotterdam am Maashafen. Ein öffentlicher Weg führt durch die Gärten auf dem Parkhaus und über einige Dächer.
De Groene Kaap, ein Bauprojekt auf Katendrecht im ehemaligen Hafengebiet von Rotterdam am Maashafen. Ein öffentlicher Weg führt durch die Gärten auf dem Parkhaus und über einige Dächer.

© Rolf Brockschmidt

Von der Straße aus ist davon nicht viel zu sehen. Die vier Wohntürme und die flacheren Verbindungsbauten aus dunklem Backstein ähneln vom Äußeren her dem ebenfalls preisgekrönten Projekt „Little C“ am Coolhaven. Zwischen „De Groene Kaap“ und dem nächsten Wohnturm liegt der Astana-Plein, ein quadratischer grüner Platz mit einer Bronzeskulptur in der Mitte. Genau gegenüber dieses kleinen Parks führt eine breite Treppe durch ein Gebäude des „Groene Kaap“ in eine Gartenlandschaft im Innern des Wohnblockes mit einem Pfad und Treppen, die langsam ansteigen.

Schon nach wenigen Metern vergisst man, wo man sich befindet. Folgt man dem Pfad vorbei an den Häusern mit den roten Türen, überquert man eine Brücke, die durch das Haus in den nächsten Innengarten führt. Und plötzlich merkt man, dass man sich im dritten Stock befindet. Die Gartenlandschaft wurde auf das mehrgeschossige Parkhaus gebaut, an dessen Rand Familienwohnungen errichtet wurden, so dass es unsichtbar bleibt. Unterirdische Tiefgaragen boten sich im Hafengebiet nicht an, da Rotterdam sowieso schon unter dem Meeresspiegel liegt und dieser steigt.

Streit um den öffentlichen Zugang

Die von LOLA entworfene Dachlandschaft zieht sich in einem Rundweg über den Gebäudekomplex. Eigentlich sollte dieser Weg öffentlich zugänglich sein, das war das Versprechen der Investoren an die Stadt, als Ergänzung zum schicken Deliplein. Doch da immer wieder Fahrräder gestohlen wurden, schloss man auf Beschwerden von Wohnungseigentümern die Tore, die eigentlich von 7 bis 22 Uhr offen sein sollten. Die Diskussion darüber hält in der Stadtgesellschaft an.

Man merkt nicht mehr, dass man eigentlich auf dem Dach eines Parkhauses steht. De Groene Kaap, Rotterdam-Katendrecht. Rechts vorne ein "Insektenhotel" aus Altholz-
Man merkt nicht mehr, dass man eigentlich auf dem Dach eines Parkhauses steht. De Groene Kaap, Rotterdam-Katendrecht. Rechts vorne ein "Insektenhotel" aus Altholz-

© Ossip van Duivenbode

Das zeigt die Fragilität dieses Projektes, das Privates und Semiöffentliches miteinander in Einklang bringen sollte. Die Gartenlandschaft mit über 84 europäischen Pflanzen und „Insektenhotels“ aus totem Holz ist gut für die Biodiversität und das Wassermanagement. Unter der Sedimentschicht liegen Kisten, die etwa bei plötzlichem Starkregen das Wasser erst sammeln, um es dann an das Grundwasser oder an die Pflanzen abzugeben. Insofern dienen die Dächer nicht nur der Erholung, der Biodiversität und dem Stadtklima, sie tragen auch zum Wassermanagement bei. Damit kombinieren diese Dächer drei Funktionen, die die Verwaltung in einem Katalog festgelegt hat.

Brücken verbinden die öffentlichen Dachgärten von De Groene Kaap. Der Kreis im Vordergrund ist das "Insektenhotel". Auf dem hinteren Gebäude ist ein öffentlicher Gemüsegarten für die Bewohner angelegt, um den sie sich selber kümmern müssen.
Brücken verbinden die öffentlichen Dachgärten von De Groene Kaap. Der Kreis im Vordergrund ist das "Insektenhotel". Auf dem hinteren Gebäude ist ein öffentlicher Gemüsegarten für die Bewohner angelegt, um den sie sich selber kümmern müssen.

© Ossip van Duivenbode

„Wir haben 18,5 Quadratkilometer Flachdachfläche in Rotterdam, bedingt durch die Kriegszerstörungen und den modernistischen, schnellen Wiederaufbau“, erzählt Paul van Roosmalen, Projektmanager für multifunktionale Dächer in der Abteilung Stadtentwicklung. Rotterdam leistet sich als einzige Gemeinde der Niederlande eine Abteilung für das Dachmanagement. Die Stadt grenzt direkt an Schiedam und Barendrecht, so kann sich Rotterdam nicht ins Umland ausdehnen, die Skyline zeigt, wohin die Reise geht: Wohntürme schießen in die Höhe. „Die Dächer der bestehenden Gebäude werden noch nicht genügend genutzt“, sagt van Roosmalen, „dabei sind sie einfach freier Raum“.

Der Mehrwert der Dächer liegt in der gemischten Nutzung

Dächer bieten Raum für eine gemischte Nutzung: Energiegewinnung, Wohnen, Erholung, Natur, Wasser. „Wenn man dieses Potenzial kombiniert, erhöht sich der Wert des Daches.“ Eine Anfrage eines Investors läuft, der zehn Jahre die Errichtung von kleinen Häusern auf dem Dach eines Bürogebäudes genehmigt haben möchte. Dabei seien viele komplizierte Fragen zu klären wie etwa die der Sicherheit, des Zugangs, der Isolierung etc. Nicht jedes Dach eigne sich für die Begrünung, da Insekten nur eine bestimmte Flughöhe hätten, nach drei bis vier Stockwerken sei dann Schluss.

Der Rooftopwalk ermöglichte es, einen Monat lang vom Dach des Welthandelszentrums zum Kaufhaus De Bijenkorf über eine Brücke in 30 Meter Höhe zu gelangen. Diese Brücke über die Coolsingel, Rotterdams Hauptgeschäftsstraße, half, das Thema Dach ins Bewusstsein der Menschen zu bringen.
Der Rooftopwalk ermöglichte es, einen Monat lang vom Dach des Welthandelszentrums zum Kaufhaus De Bijenkorf über eine Brücke in 30 Meter Höhe zu gelangen. Diese Brücke über die Coolsingel, Rotterdams Hauptgeschäftsstraße, half, das Thema Dach ins Bewusstsein der Menschen zu bringen.

© AFP

Aber auf hohen Gebäuden könne man das Regenwasser sammeln und kontrolliert abgeben. Dabei ließe sich durch die Fallhöhe noch Energie gewinnen. Das hört sich utopisch an, doch als Koos Kok begann, das „Groene Kaap“ zu planen, war er der Erste, der Dächer in die Gestaltung mit einbezog. Heute sei das ein Trend, sagt er, dabei werde allerdings auch viel Greenwashing betrieben – mit Grünflächen, die im Entwurf schön aussähen, aber dann nicht realisiert würden.

Die Notwendigkeit einer Küche stellt auch niemand in Frage

Die Bewirtschaftung des Daches kostet Geld, doch sie kann den Wert des Hauses steigern, auch für die Gesellschaft, ist van Roosmalen überzeugt. „Wir müssen neu denken. Bei der Planung einer Küche im Haus fragt auch niemand, ob sich das rechnet“, sagt er. Die Gemeinde könne stimulieren und Anreize schaffen: „Tu etwas mit deinem Dach!“

Himmlisches Vergnügen. Beim Rooftop Walk lernt man, dass Bäume extraklein für die Dächer gezüchtet werden, wie hier in der Ausstellung auf dem Kaufhaus De Bijenkorf an der Coolsingel zu sehen ist.
Himmlisches Vergnügen. Beim Rooftop Walk lernt man, dass Bäume extraklein für die Dächer gezüchtet werden, wie hier in der Ausstellung auf dem Kaufhaus De Bijenkorf an der Coolsingel zu sehen ist.

© Rolf Brockschmidt

Das Festival der Rotterdamer Dachtage, das seit 2015 existiert, ist so eine Gelegenheit. Zurzeit verbindet eine temporäre Brücke über die dicht befahrene Coolsingel in 30 Meter Höhe das Welthandelszentrum mit dem Kaufhaus de Bijenkorf, auf dessen Dach eine Ausstellung zur Dachnutzung stattfindet. Von hier oben schaut man auf die Flachdächer der Fußgängerzone Lijnbaan, nur zwei Stockwerke hoch. Sie schreien praktisch mit ihrer schwarzen Dachpappe nach Dachbegrünung als Oase der Ruhe und Erholung fern vom Lärm der Einkaufsstraße. „Mit solchen Aktionen stimuliert man die Dachnutzung“, sagt Léon van Geest, Direktor der Stiftung Rotterdamer Dakendagen. An drei Tagen können sich auch Hausbesitzer auf 50 Dächern in der Stadt informieren. Das Interesse bei Privatbesitzern sei groß, sagt van Geest. Bei den bestehenden Bauten müsse man den Investor überzeugen, aber der sei in erster Linie an der Rendite interessiert. Und eine Dachnutzung kostet. Aber bei Renovierungsarbeiten könne sich eine Aufrüstung lohnen. [rotterdamarchitectuurmaand.nl].

Dachgemälde von Leon Keer auf einem zweistöckigen Flachbau in der Lijnbaan, der Fußgängerzone. Die Dachpappe auf den Flachbauten lässt die Temperaturen im Sommer erahnen. Hier könnte eine grüne Ebene Abhilfe schaffen.
Dachgemälde von Leon Keer auf einem zweistöckigen Flachbau in der Lijnbaan, der Fußgängerzone. Die Dachpappe auf den Flachbauten lässt die Temperaturen im Sommer erahnen. Hier könnte eine grüne Ebene Abhilfe schaffen.

© Rolf Brockschmidt

Das ist im Fall von „De Doelen“ passiert, Rotterdams Konzert- und Kongresszentrum von 1966, eine Ikone des Wiederaufbaus der zerstörten Stadt und Nationaldenkmal. Auf zwei Seiten wird das Dach begrünt, das Regenwasser wird mit dem sogenannten Polderdak-System in acht Zentimeter hohen Kisten unter der Sedimentschicht erst einmal gesammelt und dient je nach Lage der Bewässerung der Pflanzen oder dem Wassermanagement bei Starkregen. Ein automatisches Schleusensystem ist mit der Wettervorhersage verbunden und lässt 24 Stunden vor dem Starkregen das Wasser in den Boden laufen. So sind die Kisten dann bereit, das Regenwasser aufzunehmen.

Tagsüber Konzerte auf den Fluchtwegen

Die Fluchtwege, die über das Dach führen, können nun mit ansprechender grüner Umgebung außerhalb von Veranstaltungen als Fläche für kleine Konzerte genutzt werden und damit auch ein neues Publikum anziehen, glaubt Martin van Lent, Programmmanager für das Dach bei „De Doelen“. Das sei mit dem Denkmalschutz nicht ganz einfach gewesen, aber wenn man alle an einen Tisch setze, funktioniere das trotzdem. Auch hier kombiniert das neue Dach drei Funktionen: Nachhaltigkeit, Wassermanagement und Soziales.

Auf dem Dach des Konzerthauses und Kongresszentrums" De Doelen". Auf der Fluchtwegfläche können bald tagsüber Konzerte veranstaltet werden. Das Grün wird künftig etwas höher sein als der Boden - wegen des Denkmalschutzes. Unter dem Sediment befinden sich die intelligenten Wasserspeicher.
Auf dem Dach des Konzerthauses und Kongresszentrums" De Doelen". Auf der Fluchtwegfläche können bald tagsüber Konzerte veranstaltet werden. Das Grün wird künftig etwas höher sein als der Boden - wegen des Denkmalschutzes. Unter dem Sediment befinden sich die intelligenten Wasserspeicher.

© Rolf Brockschmidt

Bei privaten Neubauten werde das Dach jetzt immer öfter gleich in die Gestaltung mit einbezogen, sagt Koos Kok von Massa. „Es muss ein angenehmer Raum sein, der neu entsteht. Es reicht nicht, ein paar Pflanzenkübel auf das Dach zu setzen“, sagt Kok. „Es muss ein Raum entstehen, der Verbindungen zur Außenwelt schafft und in dem ich mich gerne aufhalte. Das soziale Funktionieren muss mitgedacht werden“, so Kok. Und vielleicht öffnen sich auch wieder die Tore am „Groene Kaap“ für alle.

Der Rotterdam Rooftop Walk findet bis zum 28. Juni im Rahmen des Rotterdamer Architekturmonats statt.

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