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Wirtschaft: In den mitteleuropäischen Staaten wird eine Mischung von staatlicher und privater Vorsorge angestrebt

Seit Jahrzehnten waren die Arbeitnehmer im kommunistischen Osten an die staatliche Oberhand gewohnt: Ihre Bezüge im Alter waren nicht üppig, dafür aber so gut wie sicher. Mit der neuen Zeit jedoch begann in den meisten Rentenkassen der Reformländer bald ein Loch zu klaffen, das alljährlich vom Staat gefüllt werden muss.

Seit Jahrzehnten waren die Arbeitnehmer im kommunistischen Osten an die staatliche Oberhand gewohnt: Ihre Bezüge im Alter waren nicht üppig, dafür aber so gut wie sicher. Mit der neuen Zeit jedoch begann in den meisten Rentenkassen der Reformländer bald ein Loch zu klaffen, das alljährlich vom Staat gefüllt werden muss. Der Mut zu einer grundlegenden Reform des Rentensystems stieg mit dem wachsenden Defizit. Als faszinierend empfand man in den Reformüberlegungen vor allem die Erfahrungen aus Chile. Dort sind die Arbeitnehmer gesetzlich verpflichtet, zehn Prozent ihres Einkommens in privaten Rentenfonds zu sparen. Schenkt man den Meldungen aus dem lateinamerikanischen Land Glauben, vermehrten die Chilenen ihre künftige Rente seitdem jährlich um elf Prozent, verschonten ihre Arbeitgeber vor zusätzlichen Lohnkosten und verhalfen ihrer Wirtschaft zu einem relativ hoch entwickelten Kapitalmarkt.

Dennoch will man in Mittelosteuropa nicht ganz auf den Staat verzichten. Den ersten Schritt taten 1998 die Ungarn, als sie die Möglichkeit schufen, die gesetzlichen Rentenabgaben zu spalten. Den größeren Teil müssen die Arbeitnehmer sowie die Arbeitgeber zwar nach wie vor an die staatliche Rentenkasse abführen, einen geringeren Prozentsatz aber dürfen sie fortan in den Rentenfonds kapitalisieren. Das Lizenzverfahren war streng und es zeigte sich, dass die Rentenfonds der Bankhäuser durch ihre Erfahrung im Finanzgeschäft auf solchen Märkten im Vorteil sind. Einzelne Unternehmen dagegen waren mit der Schaffung eigener Rentenfonds oft überfordert.

Wer nach dem 30. 6. 1998 zu arbeiten anfing und nicht älter als 42 Jahre war, ist verpflichtet, sich einen Rentenfonds aussuchen. Alle anderen Arbeitnehmer hatten bis zum 1. 9. 1999 die Wahl. Insgesamt nutzten rund 850 000 ungarische Arbeitnehmer die neue Möglichkeit. Laut Experten jedoch hatten die meisten Menschen kaum ausreichende Informationen über diese Neuerung. Es wird gar vermutet, dass der Informationsfluss absichtlich auf Sparflamme gehalten wurde, denn man braucht zur Zeit offensichtlich jedes Forint in der staatlichen Rentenversicherung. Daher wurden frühere Versprechungen, den Anteil der privaten Pflichtversicherung schrittweise zu erhöhen, vorerst auf Eis gelegt.

Außer diesen zwei noch sehr ungleichen Säulen der ungarischen Rentenreform gibt es neben der klassischen Lebensversicherung in Ungarn seit 1993 auch die freiwillige Rentenversicherung auf Gegenseitigkeit. Diese Fonds sind gemeinnützige Organisationen, derer Eigentum den Mitgliedern gehört. Über ihre Tätigkeit jedoch wacht das Finanzministerium. 1997 gab es in Ungarn 190 solcher Rentenfonds. Ihre Möglichkeiten nutzten für ihre private Zusatz-Altersvorsorge rund 675 000 Menschen. Bis zu diesem Jahr durften sich ebenfalls die polnischen Arbeitnehmer unter 50 Jahren für einen der zwei Dutzend privaten Rentenfonds entscheiden. Künftig soll dort allerdings die Hälfte ihrer Rentenabgaben kapitalisiert werden.

Ein wichtiges Argument für die privaten Rentenfonds, die für alle polnische Arbeitnehmer unter 30 Jahren obligatorisch sind, war jedoch die Tatsache, daß die dort eingesparten Einlagen im Gegensatz zu der staatlichen Rente vererbt werden. Die besser Verdienenden dürften dennoch auf eine freiwillige Altersvorsorge zurückgreifen, weil die maximal erreichbare Rente in Polen derzeit bei etwa 60 Prozent des zweiundhalbfachen Durchschnittsverdienstes liegt. In der Tschechischen Republik machen die staatlichen Renten dagegen nur 45 Prozent des Durchschnittslohnes der fünf besten Verdienstjahre im letzten Jahrzehnt des individuellen Arbeitslebens aus. Das ist wohl auch der Grund, warum auf eine tiefgreifende Reform des Rentensystems bislang verzichtet werden konnte. Formell fließen die Rentenabgaben (19,5 Prozent aus dem jeweiligen Grundgehalt von Arbeitgebern und 6,5 Prozent von den Arbeitnehmern) sogar direkt in den Staatshaushalt. Erst in letzter Zeit werden sie auf einem eigenen Konto geführt. Die Schaffung einer staatlichen Sozialversicherungsanstalt wird erwogen.

Das Defizit auf dem staatlichen Rentenkonto glaubt man in Tschechien mittelfristig mit dem Abschaffen der relativ großen Anzahl der Frühpensionierungen und einem Anheben des Rentenalters auffangen zu können. Die einstige Altersgrenze für die Pensionierung, die bei Männern bei 60 und bei Frauen, abgestuft nach der Kinderzahl, zwischen 52 und 57 Jahren lag, wird in Tschechien seit der Wende schrittweise erhöht mit dem Ziel, im Jahre 2007 bei den Männer 62 und bei kinderlosen Frauen 61 Jahre zu erreichen. Das freiwillige Sparen für das Alter versucht der tschechische Staat seit 1994 mit staatlichen Zuschüssen für regelmäßige Beiträge in die privaten Rentenfonds anzukurbeln. Allerdings wurde der Ruf der Investmentfonds im Zuge der Kuponprivatisierung stark beschädigt. Daher versucht der Staat mit Sonderauflagen, das Risiko der Rentenfonds zu verringern. In der Slowakei schuf man zwar bereits eine staatliche Sozialversicherungsanstalt; dem Rentensystem selbst aber stehen gründliche Aufräumungsarbeiten erst bevor. Werden die Gesetzesvorlagen vom Parlament verabschiedet, haben auch die slowakischen Versicherungsnehmer künftig die Aussicht, dass ein Teil ihrer Rente in den privaten Rentenfonds kapitalisiert wird. Mit dem Ziel, den staatlichen Anteil innerhalb der nächsten zehn Jahre zugunsten der Privatfonds abzuschaffen. Damit würde die Slowakei dem chilenischen Beispiel am weitesten folgen.

Ludmilla Rakusan

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