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In Istanbul ist 40 Prozent der türkischen Wirtschaftskraft konzentriert.

© DPA

In der Rezession: Aktionsplan soll türkische Wirtschaft stabilisieren

Die Türkei steckt in der Rezession. Erdogans Wirtschaftsminister will den Banken mit fünf Milliarden Dollar helfen. Unklar ist, woher das Geld kommen soll.

Angesichts der schlechten Wirtschaftslage in der Türkei und politischen Turbulenzen nach den Einbußen für die Partei AKP von Präsident Recep Tayyip Erdogan bei den jüngsten Kommunalwahlen will die Regierung mit einem Reformprogramm bei Investoren um Vertrauen werben.

Finanzminister und Erdogan-Schwiegersohn Berat Albayrak stellte am Mittwoch einen seit langem erwarteten Plan vor, der unter anderem eine Stärkung des Bankensektors vorsieht. Beobachter sprachen von positiven Ansätzen, vermissten aber konkrete Details. Zudem hält die politische Unsicherheit im Land an, weil Erdogan die Niederlage der AKP in der Metropole Istanbul nicht anerkennen will.

Die Türkei steckt in einer Rezession. Nach einem Rückgang der wirtschaftlichen Leistung um 1,6 Prozent im dritten Quartal 2018 schrumpfte die Wirtschaft im vierten Quartal um 2,4 Prozent. Das sind die schlechtesten Zahlen seit vielen Jahren. Die Inlandsnachfrage ist eingebrochen, die Türkische Lira hat im vergangenen Jahr stark an Wert verloren, die Inflation bleibt mit knapp 20 Prozent hoch, und auch die Arbeitslosigkeit bereitet mit rund zwölf Prozent Sorge. Der Internationale Währungsfonds (IWF) erwartet, dass die türkische Wirtschaftskraft in diesem Jahr um 2,5 Prozent zurückgeht.

Kursverfall der Lira

Der starke Kursverfall der Türkischen Lira macht vielen Unternehmen und Banken zu schaffen, die unter der Last sehr teuer gewordener Schulden in Dollar oder Euro stöhnen. Albayrak will deshalb staatlichen Banken mit Staatsanleihen in Höhe von rund fünf Milliarden Dollar helfen; auch private Banken sollten im Bedarfsfall Unterstützung erhalten.

Bis zu den nächsten Wahlen 2023 werde die Türkei eine Phase wirtschaftlicher Strukturreformen erleben, sagte Albayrak. Er kündigte auch Änderungen des Steuersystems an. Initiativen in der Agrarpolitik sollen die Inflation im Lebensmittelsektor bremsen. Bei alledem werde die Regierung weiter Haushaltsdisziplin wahren, sagte der Minister.

Die Reaktionen auf Albayraks Auftritt waren verhalten. Der türkische Wirtschaftsjournalist Baris Soydan sagte der Nachrichtenplattform T24, Albayrak habe zwar ein Programm vorgelegt, aber nicht gesagt, wie es finanziert werden solle. Cristian Maggio, Experte für Schwellenländer bei TD Securities in London, sagte der Nachrichtenagentur Reuters, Albayraks Versprechen der Ausgabendisziplin widerspreche seiner Ankündigung, den Banken mit staatlichen Mitteln zu helfen.

Andere Fachleute kritisierten, Albayrak sei sehr vage geblieben. Der Wirtschaftsexperte Timothy Ash sprach auf Twitter von einigen positiven Signalen. Doch habe Albayrak zu wenig Details genannt. Auch stelle sich die Frage, ob der Minister genug getan habe, um die Flucht vieler türkischer Sparer und Investoren aus der Lira in Währungen wie den US-Dollar aufzuhalten. Die Abwendung der Türken von der eigenen Währung hatte in den vergangenen Wochen zu einem neuen Tief der Lira beigetragen.

Anleger werden deshalb vor allem auf die Umsetzung von Albayraks Zusagen und die politische Lage schauen. Erdogan hatte unmittelbar nach der Kommunalwahl vom 31. März Wirtschaftsreformen angekündigt. Allerdings steht der Präsident dabei vor einem Problem. Reformen zur Reparatur des türkischen Wirtschaftsmotors könnten seine eigene Macht einschränken. So fordert der Wirtschaftsverband Tüsiad nicht nur, der Staat müsse sparen und in Zukunftstechnologien investieren. Der Rechtsstaat solle auch die Unabhängigkeit öffentlicher Institutionen, die Grundrechte der Bürger und die Regeln des freien Marktes stärken.

Risiko Neuwahl

Wenn Erdogan ein solches Programm auf den Weg bringen sollte, müsste er sich zum Beispiel aus der Arbeit der Zentralbank heraushalten. 2018 hatte der Staatschef die Währungshüter mit Forderungen nach Zinssenkungen unter Druck gesetzt und damit Investoren verunsichert. Wenn Erdogan die Wirtschaft nicht in den Griff bekomme, stehe die AKP am Anfang ihres Abstiegs, sagt Gönül Tol, Türkei-Expertin am Nahost-Zentrum in Washington, unserer Zeitung in Istanbul.

Derzeit denkt Erdogan über eine Wiederholung der Kommunalwahl in Istanbul nach. Die Wahl im März hatte der AKP eine historische Niederlage in der Stadt eingebracht, in der Erdogan vor 25Jahren seine politische Karriere begann. Istanbul ist nicht nur politisch, sondern auch wirtschaftlich von großer Bedeutung: Die Stadt am Bosporus ist der Standort von 40 Prozent der türkischen Wirtschaftskraft – und bot der AKP bisher viele Möglichkeiten, Posten und Wohltaten an Gefolgsleute und regierungsnahe Unternehmen zu verteilen.

Sollte die AKP eine neue Abstimmung durchsetzen, wäre das für die Wirtschaft hoch riskant. So würde das Land in dem dann anstehenden Wahlkampf wertvolle Zeit verschenken, die für Reformen gebraucht wird. Zudem seien bei einer Neuwahl negative Reaktionen der Märkte sowie Skepsis von USA und EU zu erwarten, sagte der türkische Wirtschaftsexperte Emre Deliveli unserer Zeitung in Istanbul.

Auch das internationale Umfeld ist für die Türkei schwierig. In den Beziehungen zu den USA droht eine neue Krise, weil Erdogans Regierung gegen den Willen der USA ein russisches Raketenabwehrsystem kaufen will. Im US-Senat wird außerdem derzeit wegen der Inhaftierung amerikanischer Staatsbürger und Konsulatsmitarbeiter in der Türkei über Sanktionen gegen türkische Regierungsvertreter debattiert.

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