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Wirtschaft: In der Schwebe

Bisher fährt der Transrapid nur an zwei Orten in der ganzen Welt – in China und im Emsland. Doch die Hersteller hoffen auf neue Aufträge

Lathen/Berlin - Die Zukunft beginnt mit einem Rumpeln. Dann vibriert die Metallwand kurz, und hinter den Fenstern fängt es an zu rauschen. „Jetzt hat der Computer die Regie übernommen, wir schweben“, sagt Jörg Metzner. Draußen huschen schon die winterlich kargen Bäume vorbei, erst langsam, dann immer schneller, und Metzner mahnt per Mikrofon, man solle sich gut festhalten, jetzt komme eine Weiche. Dann bittet er noch einmal um Verständnis. „Wir fahren heute ausnahmsweise nur 395 Kilometer pro Stunde, etwas weniger als sonst.“

Jörg Metzner ist Ingenieur bei einem der umstrittensten und prestigeträchtigsten Projekte der deutschen Wirtschaft: dem Transrapid. Den einen gilt die schnelle Magnetbahn als High-Tech schlechthin, als Ausweis höchster deutscher Konstrukteurskunst. Für die anderen ist er ein Zug, der seine Zukunft bereits hinter sich hat, ein Untoter der deutschen Verkehrspolitik, der Milliarden verschlingt. Einzig in Schanghai schwebt der Transrapid seit 2003 im Alltagsverkehr, die Chinesen wollen in Kürze entscheiden, ob sie die Strecke verlängern. Wenn es nach dem bayerischen Ministerpräsidenten Edmund Stoiber (CSU) geht, bekommt auch München bald grünes Licht für eine Magnetbahn, vom Hauptbahnhof zum Flughafen. Berlin würde in jedem Fall profitieren. Bei neuen Aufträgen würden zusätzliche, hoch qualifizierte Leute eingestellt, verspricht der Elektrokonzern – ein Hoffnungsschimmer für die von der Industriekrise gebeutelte Stadt.

Vorerst schafft der Transrapid aber nur Arbeit auf der Teststrecke im Emsland, zwischen Meppen, Leer und der holländischen Grenze. Zum Beispiel für Metzner, den Technik-Chef der Anlage. „Hier wächst die Zukunft“, behauptet die Gemeinde Lathen. „Weltweit bekannt“ sei das 10 500-Seelen-Örtchen dank des Transrapid geworden. Anfang der achtziger Jahre schwebte der Zug erstmals durch die weiten Felder. Wer heute eine Runde drehen möchte, muss 18 Euro für einen „Boarding Pass“ auf den Tisch legen. Touristen können nach überstandener Fahrt beim Gastwirt am Ort ein „Schwebebahnmenü“ ordern – Braten, Salzkartoffeln mit Soße und wahlweise Pfirsich oder Birne als Nachtisch. Die Teststrecke windet sich größtenteils auf 13 Meter hohen Stelzen durch die Felder und Wiesen. Obwohl sie 31,5 Kilometer lang ist, passiert man rechts und links keine zehn Häuser, im Sommer grasen Kühe unter der Trasse. Im Jahr kommen 60 000 Leute.

Heute, an einem trüben Wintertag, will nur eine kleine Rentnergruppe mitfahren. Von außen und innen sieht der Transrapid aus wie ein ICE, nur die Gepäckablade fehlt. Räder und einen Motor hat er nicht, Magnete treiben ihn an und halten ihn in der Schwebe, die in dem Fahrweg aus Beton stecken. Entgleisen ist unmöglich, sagt Metzner, und auch der Verschleiß sei viel geringer als bei der alten Bahn mit Rad und Schiene.

Der Transrapid macht Tempo: 450 km/h hat er im Emsland bereits geschafft, bei mehr Anlauf wären 500 drin. Ein ICE kommt auf maximal 330 km/h. Ausgedacht hat sich das Magnetzug-Prinzip Hermann Kemper, der nicht weit von Lathen entfernt geboren wurde. Er hat das Prinzip schon 1933 zum Patent angemeldet, wollte aber eigentlich Züge in Vakuumröhren herumsausen lassen – mit 1000 Kilometern und mehr pro Stunde.

Leise, Energie sparend, pfeilschnell – diese Eigenschaften faszinieren deutsche Politiker seit Jahren. Auf vielen Strecken wollten sie den Zug bereits flitzen sehen, versprachen den Wählern Arbeitsplätze und sich selbst Ruhm: im Ruhrgebiet, zwischen Hamburg und Berlin, in den Niederlanden, neuerdings von Nordrhein-Westfalen nach Belgien oder in den USA. Immer scheiterte es am Geld oder an den fehlenden Fahrgästen. „Wir brauchen endlich eine Anwendungsstrecke in Deutschland“, drängen deshalb Transrapid-Lobbyisten wie Hans-Jürgen Petersen. Er ist Chef der Vermarktungsfirma, die die Hersteller Siemens und Thyssen-Krupp gegründet haben.

Bislang kann er nur die kurze Strecke in Schanghai vorweisen. Angeblich soll aber schon in diesem Jahr mit der Verlängerung der Strecke bis ins 170 Kilometer entfernte Hangzhou begonnen werden, meldete am Samstag die staatliche Nachrichtenagentur Xinhua unter Berufung auf chinesische Parlamentsabgeordnete. Dabei werde „einige Technologie“ aus Deutschland zum Einsatz kommen, der Großteil aber in China produziert werden. Das Projekt werde rund 3,6 Milliarden Euro kosten. Für einen Schock sorgten jüngst Meldungen, die Chinesen arbeiteten bereits an einem eigenen Transrapid – und kopierten womöglich eifrig die deutschen Systeme. „Das hat schon für Nervosität gesorgt“, gibt Petersen zu.

Bayerns Ministerpräsident Stoiber nutzt die Gelegenheit, um auf eine rasche Entscheidung über seine Transrapid-Strecke zu drängen. Sein Problem: Die Münchener sind dagegen, und das Geld reicht nicht. Immerhin hat es der Zug bis in den Koalitionsvertrag geschafft. Der Bund will maximal 550 Millionen Euro zuschießen, zu rechnen ist aber mit Kosten von mindestens 1,8 Milliarden Euro. Bis 2007 läuft das Planungsverfahren, danach muss die Finanzierung stehen. „Wenn er das Ding unbedingt will, muss er halt noch einmal in die Kasse greifen“, sagen Verkehrspolitiker von der CSU.

Die Teststrecke im Emsland ist ungefähr so lang wie die Entfernung vom Münchener Hauptbahnhof ins Erdinger Moos. Die S-Bahn zuckelt heute in 45 Minuten, der Transrapid würde nur zehn brauchen. „Boah, geht das ab“, haben die Magnetbahn-Leute auf T-Shirts gedruckt, die im Besucherzentrum in Lathen zu kaufen sind. Technikchef Metzner spricht lieber vom „Flug in Höhe null“, als die grüne Digitalanzeige hinter ihm rasch über die 200-km/h-Grenze springt. In kaum zwei Minuten ist Tempo 300 erreicht. Als der Zug in den engen Kurven auf 230 abbremsen muss, schauen die Fahrgäste beinahe gelangweilt aus dem Fenster. Oder sie gehen in den hinteren Teil des Zuges, der ein Labor ist, und starren auf Monitore. Schließlich wird in Lathen immer noch geprobt und getestet – bald soll die neunte Version des Transrapid gebaut werden, die für München vorgesehen ist.

Die Sektionen, wie die Transrapid-Leute die einzelnen Waggons nennen, würden in Kassel gebaut. Bei Siemens in Berlin arbeiten die Ingenieure daran, die Computer von Zug, Antrieb und Leittechnik aufeinander abzustimmen. In einer renovierten Fabriketage in Treptow tüfteln 50 Ingenieure an der Technik. Der Transrapid kann ohne Lokführer fahren, für die Überwachung sorgt die Leitzentrale – dafür muss zum Beispiel die passende Software geschrieben werden. Am meisten Arbeit gäbe es, wenn die Entscheidungen für München und für die Verlängerung der China-Strecke parallel kämen, sagt Transrapid-Chef Petersen.

Für die Rentnergruppe im Emsland ist China weit weg. Am Ende, nach drei durchschwebten Runden, kommt der Zug am Bahnsteig zum Stillstand. Die Fahrgäste sind zufrieden. Sie klatschen wie nach der Landung im Ferienflieger.

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