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Wirtschaft: In der Sperrzone

Die Bekämpfung von Tauben ist oft heikel. Einige Mittel sind tödlich. Nun gibt es Neues

Die Landung vor Augen, breiten die grauen „Ratten der Lüfte“ ihre Flügel aus und lassen sich gerne gurrend im Gebälk von S- und U-Bahnhöfen nieder: Vogelscheuchen gibt es in der Großstadt schließlich kaum und wenn, dann haben sie kein feindliches Gefieder. Es gibt Netze, es gibt Stahl-Spikes, es gibt Gitter und es gibt Spanndrähte. Doch wie wenig dies alles – auch in der Kombination der Mittel – gelegentlich funktioniert, ist zum Beispiel auf dem S-Bahnhof Pankow-Heinersdorf zu besichtigen. Hier werden alle Vergrämungsmaßnahmen ad absurdum geführt, weil die über dem S-Bahnhof verlaufende Brücke einer Schnellstraße für verwilderte Haustauben schon das ist, was Berlins neuer Airport für Menschen erst noch werden soll: Ein Großflughafen mit mehreren Landebahnen. Straßentauben sind für viele eine eklige Plage. Kürzlich wurde sogar ein Prozess darüber geführt, ob sie Ungeziefer seien, lebend gefangen, getötet und verfüttert werden dürften. Die Angelegenheit ist noch nicht letztinstanzlich entschieden. Es geht dem klagenden Falkner um Kopf und Kragen. Nach Schätzungen des Naturschutzbundes Deutschland leben weltweit 500 Millionen Tauben in den Städten. In einer Stadt wie München sind es etwa 40000 Tauben. „Zirka zwölf Kilogramm Nasskot verursacht eine Taube im Jahr“, sagt dazu Burkhard Ahlert, Sprecher der Deutschen Bahn AG Berlin/Brandenburg. Das ergibt zum Beispiel in München eine Menge von 480 Tonnen. „Zigtausende an Euros“ würden jährlich allein für die Beseitigung von Verunreinigungen ausgegeben, sagt Bahn-Sprecher Ahlert. Die Vergrämung einer S- oder U-Bahnhalle allein kostet 10 000 Euro und mehr. Die Tauben – sie scheinen auf Berlin zu fliegen. Hilft denn gar nichts?

Ortswechsel: Stadtbahnhaltestelle „Baumwall“ in Hamburg, ganz in der Nähe der Landungsbrücken. Dies ist die Station, die die Besucher die Elbphilharmonie einmal nutzen werden, sofern sie mit öffentlichen Verkehrsmitteln anreisen. Hier darf es, hier muss es fein zugehen. Und siehe da: Die einzige Taube, die sich beim Ortstermin morgens in dieser Halle zeigt, geht wie die Reisenden zu Fuß über den Bahnsteig in Richtung Ausgang. Fliegen ist hier zwar nicht verboten, aber das Landen ist offenbar unmöglich: In einem Pilotprojekt wurde diese Station mit neuartigen Plastikstreifen des Multitechnologiekonzerns 3M („Post-IT“) vergrämt. Erfolgreich, wie es scheint. Und wie so vieles, was 3M produziert, werden sie einfach aufgeklebt. Die Idee dazu hatte Jürgen Peters, 3M-Ingenieur. Immer wieder setzten sich verwilderte Haustauben auf die Schaukel seiner Kinder und hinterließen dort ihre Spuren. Damit ging es Jürgen Peters wie vielen anderen Gartenfans in Deutschland, die über Taubenkot stöhnen. Eines seiner Kinder sagte schließlich zu ihm: „Papa, Du bist doch Erfinder, mach’ doch etwas, damit die Tauben unsere Schaukel in Ruhe lassen.“ Peters, Anwendungstechniker für Klebebänder, dachte an eine stabile, spitze und quasi unsichtbare Folie, die Tauben vom Landen auf Gebäuden und Fassaden abhalten sollte. Und sie sollte für jedermann leicht anzubringen sein. Herausgekommen ist eine speziell gestanzte, kaum sichtbare Folie. Beim Aufbauen stellen sich die gestanzten Spitzen, die die Tauben gar nicht mögen, nach oben. Das Produkt kann über das Internet geordert werden; billig ist es nicht. Rund zehn Euro kostet der laufende Meter. Taubenstopp- Streifen sind biegbar und damit flexibel einsetzbar – zudem in der Länge variabel. Sie sind leicht zu verarbeiten, weil sie nicht gesägt und durchbohrt werden müssen. Der Aufwand beim Zuschnitt ist also deutlich geringer als zum Beispiel bei Spikes, den Stiften aus Stahl. „Ich bin ja nun keine Taube, aber durch die Plastikspitzen werden sie bei jedem Anflugswinkel immer irgendwie gepiekst“, sagt Axel Dollase, Fachbereichsleiter Technische Dienstleistung, der für das Unternehmen Tereg Gebäudedienste im Auftrag des Hamburger Verkehrsverbundes arbeitet. Außerdem sei die Folie ein sehr unsicherer Untergrund. Er gibt nach. Und so etwas mögen Tauben auch gar nicht. Seit fast einem Jahr ist der 3M-Taubenstopp nun in der Stadtbahn-Halle montiert. „Der Kunststoff zersetzt sich nicht und bleibt elastisch, das Material ist UV-beständig und in der Breite variierbar“, sagt Dollase. Der Untergrund müsse natürlich fettfrei sein, wenn die Streifen aufgeklebt werden. Extreme Temperaturen, wie sie unter Dächern herrschen können, machen dem Produkt nichts aus: Der Kunststoff – Polycarbonat – wird im Automobilbau eingesetzt; die meisten Scheinwerfergläser werden daraus hergestellt.

„Die Tauben sind schlau, die darf man nicht unterschätzen“, sagt 3M-MarketingMann Carsten Jansen beim Ortstermin in Hamburg. Natürlich ist er stolz auf diese Innovation. Tauben würden sich oft absichtlich in Spikes werfen, um diese zu verbiegen und dann ausgerechnet dort ihre Nester zu bauen. Von Vogelattrappen im Falkendesign, die sich womöglich auch noch drehen, rät Jansen wohl nicht nur aus eigenem Unternehmensinteresse ab: „Nach ein paar Tagen fahren Tauben auf denen mit Sicherheit Karussell.“

Auch Tierschützer meinen, dass die Zahl der Stadttauben reduziert werden sollte. Aber natürlich mit den richtigen Mitteln. Umstritten ist zum Beispiel die Idee, ihr Leben in die Krallen von Greifvögeln zu legen. Stefan Klippstein, Sprecher der Aktionsgemeinschaft Berliner Taubenschützer (und Tierpfleger), präferiert Tauben-Verschläge. Und er ist dafür, Gitter statt der bisher üblichen Netze zu installieren. Zum einen werden die Netze häufig im Zuge von Instandsetzungsarbeiten an Versorgungsleitungen durchtrennt und damit unwirksam. Zum anderen verheddern sich Tauben häufig darin und kommen so elend zu Tode. Drähte hält Klippstein für tierschutzkonform, doch hier hat die Bahn beobachtet, „dass die Tauben offenbar immer längere Beine haben und sich auf einem Fuß zwischen die Drähte stellen“. Im Übrigen sei dem Taubenproblem nicht durch Abwehrmaßnahmen beizukommen. Der Bestand müsse reduziert werden, sagt Klippstein, zum Beispiel durch den Austausch der gelegten gegen Gips-Eier. Rund 70 Bahnhöfe hat Klippstein aktuell in Berlin aufgrund von Missständen im Visier und Anzeigen bei den Veterinärämtern erstattet. Es gibt in Berlin zu viele Tauben, offenbar auch zu viele tote.  In den S-Bahn-Stationen Bellevue, Neukölln und Schöneberg sind indes nicht tote Tauben, sondern Menschen das Problem. Hier werden Tauben mit einer Tierliebe gefüttert, wie sie bisher nur Eisbär Knut erfahren hat.

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