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Wirtschaft: "In fünf Jahren wollen wir so groß sein wie SAP"

Herr Schambach, Ihr Unternehmen entwickelt Software zum Einkaufen im Internet. Wann waren Sie zum letzten Mal im Cyberspace shoppen?

Herr Schambach, Ihr Unternehmen entwickelt Software zum Einkaufen im Internet. Wann waren Sie zum letzten Mal im Cyberspace shoppen?

Vorgestern. Ich habe für meinen Sohn bei "Toys-R-Us" ein Geburtstagsgeschenk ge-kauft.

Warum bummeln Sie nicht wie andere durch Geschäfte und probieren die Modelleisenbahn für Ihren Sohn selbst aus?

Von Zeit zu Zeit mache ich das auch. Aber grundsätzlich sehe ich nicht ein, warum ich sinnlos Zeit in Geschäften vergeuden soll, wenn ich ganz einfach per Mausklick bestellen kann. Der Händler liefert mir die Ware nicht nur nett verpackt an die Haustür. Am Schirm habe ich vorher auch Informationen abgerufen, wo ich die Modelleisenbahn meiner Wahl am billigsten bekomme. So viel Markttransparenz für Kunden kann nur das Internet schaffen. Das ist doch Klasse, oder?

Wenn Ihre Prognosen zutreffen und sich diese Art des Einkaufens auf breiter Ebene durchsetzt, stehen den Einzelhändlern noch schlimmere Zeiten bevor.

E-commerce wird den Einzelhandel nicht töten. Es ist vielmehr eine Chance für die Händler: Denn nur im Internet wird es künftig Wachstum für den Handel geben. Aber nicht alle Waren eignen sich zum Internetshopping. Bei Büchern, CDs und Computern funktioniert das schon sehr gut. Ob man Kleider oder Parfüm im Net erfolgreich handeln kann, bezweifele ich allerdings.

Ihre Aktionäre werden solche Zweifel nicht gern hören.

Sie dürfen das nicht so eng sehen. Das wirklich spannende am e-commerce ist nicht der Verkauf vom Händler zum Kunden. Die wirklichen Wachstumspotentiale liegen im Verhältnis von Unternehmen untereinander. Sehen sie doch mal, welche unglaublichen Produktivitätssprünge den Unternehmen durch die Automatisierung ihrer internen Abläufe, etwa mit SAP, gelungen sind. Nur im Außenverhältnis läuft alles noch wie vor hundert Jahren. Da werden Angebote eingeholt, Bestellungen ausgelöst und Rechnungen verschickt. Das kostet Geld und Zeit. Die nächste Revolution steht allein aus Kostengründen schon vor der Tür - und sie wird e-commerce heißen. Wenn ein Unternehmer einen Zulieferer sucht, klickt er sich in den Rechner ein, hat den gesamten Marktüberblick und ordert gleich beim Hersteller. Wer in zehn Jahren noch etwas verkaufen will, muß im Netz sein.

Was macht Sie so sicher, daß die Entwicklung wirklich in diese Richtung geht?

Der zunehmende Konkurrenzkampf. Bis Sie heute Ihre Produkte beim Kunden haben, sind schon 30 bis 40 Prozent der Kosten in Distribution und Lagerhaltung geflossen. Wer diesen Kostenblock auf drei Prozent herunterdrücken kann und diesen Vorteil auf den Preis legt, hat das beste Verkaufsargument. Langfristig wird die völlige Automatisierung der externen Geschäftsprozesse die Produktivität der Hersteller erhöhen. Wer keine Logistikabteilungen mehr beschäftigen muß, spart Kosten und erhöht seine Marktchancen.

Bisher scheinen Ihre Aktionäre das ja zu glauben. Seit sie vor einem Jahr an den Neuen Markt gegangen sind, hat der Kurs kräftig zugelegt. Wie geht es weiter?

Mit unseren Softwarelösungen für den elektronischen Handel haben wir uns im internationalen Markt zwar gut positioniert. Doch das reicht noch lange nicht. Wir werden in den nächsten Jahren noch schneller wachsen müssen, um in diesem sich rasant verändernden Markt bestehen zu können - nicht nur intern, sondern auch durch Zukäufe von Wettbewerbern. Nur der Schnellste kann überleben.

Sie verdienen immer noch kein Geld. Wie lange dauert es, bis der Schnellste selbst zum Übernahmekandidaten wird?

Risiko ist eine sehr persönliche Größe. Ich weiß, daß unser Markt sehr stark wachsen wird, und ich weiß auch, daß wir es schaffen werden. Der größte Teil unserer Aktionäre sind institutionelle Anleger. Die beobachten und analysieren den Markt sehr genau und teilen unsere Visionen. Daß wir bis jetzt keine Gewinne in der Jahresbilanz ausweisen, ist nebensächlich. Wir müssen sehr schnell in die Märkte investieren, das kostet Geld. Und solange die Kosten langsamer steigen als der Umsatz, stimmt die Richtung. Wir sind im vergangenen Jahr um 250 Prozent gewachsen, der Markt nur um 20 Prozent. Daß wir das fortsetzen, ist wichtig, und nicht, ob wir nun im ersten oder vierten Quartal 2000 erste Gewinne aufzeigen. Ich will, daß wir in fünf oder zehn Jahren dort sind, wo SAP heute ist.

Intershop wird von einem sehr jungen Team geführt, das jetzt auf der ganzen Welt gleichzeitig viele Menschen einstellen und in sinnvollen Strukturen beschäftigen muß. Können Sie das?

Ich gebe zu, das ist ein größeres Problem, als wir am Anfang gedacht haben. Wir handhaben das sehr pragmatisch. Jeder bekommt hier sehr viel Verantwortung. Die muß er dann auch wirklich übernehmen, mit allen Konsequenzen. Dafür bezahlen wir die Leute auch sehr gut. Klar, daß wir Fehler machen. So haben wir beispielsweise festgestellt, daß wir Streit nicht per e-mail austragen dürfen. Auch, wenn das zwischen den Standorten in Europa, Asien und Amerika eigentlich ganz bequem ist. Aber Positionen, die man einmal aufgeschrieben hat, nimmt man nicht so leicht zurück. Beim persönlichen Gespräch per Videokonferenz geht das leichter.

Obwohl Intershop seine Software in Jena entwickelt, sitzt die Unternehmensführung in San Francisco. Taugen die Deutschen nur zur Denkarbeit aber nicht für Visionen?

Da ist was dran. Deutschland ist noch immer voller Bedenkenträger, die Leute fürchten bei neuen Entwicklungen immer erst mal die negativen Begleiterscheinungen. Nur eins wollen sie nicht wahrhaben. Während die Amerikaner Vollbeschäftigung haben, sitzen hier Millionen im Arbeitsamt.

Treten wir denn wirklich immer noch auf der Stelle?

Nein, es hat sich hier viel getan. Strukturell sind alle Mechanismen vorhanden, die in den USA zu dem High-tech-Boom geführt haben, der Amerika jetzt ernährt. Wenn ich noch daran denke, daß hier in Deutschland niemand in Software investieren wollte, als Intershop vor fünf Jahren Risikokapital gesucht hat. Heute haben auch die Letzten kapiert, daß Deutschland mit Maschinen und Kohle keinen Blumentopf mehr gewinnen kann. Ich schätze, in ein paar Jahren wird es eine ganze Menge kleine deutsche High-tech-Firmen geben, die international erfolgreich sind.

Die aktuellen Debatten um das deutsche Sozialsystem und die Zukunft der Tarifparteien zeigen, daß sich die Deutschen sehr schwer damit tun, ihre gesellschaftlichen Strukturen den neuen Wirtschaftsstrukturen anzupassen.

In dieser Beziehung bin ich wahrscheinlich schon sehr veramerikanisiert. Es ist schlimm, wie undemokratisch das ist, was hier abläuft. Ständig maßt sich der Staat an, die Lebensführung der Leute bestimmen zu wollen. Es ist absurd, daß man hier darüber diskutiert, ob der Staat Aufgaben wie die Müllabfuhr an Private abgeben sollte. Alles, was die Steuerzahler nicht bezahlen müssen, senkt die Steuern.

Die Deutschen glauben an das soziale Netz, das die Gemeinschaft trägt.

Für mich sind das Krücken, um die bestehenden Verhältnisse noch ein bißchen zu bewahren. Mir kommen die gering bezahlten Botenjungen in San Francisco glücklicher vor als manche gut bezahlten Arbeitslosen in Deutschland. In den vergangenen zehn Jahren hat Ostdeutschland, wirtschaftlich einen wirklich großen Schritt gemacht. Was die Neuordnung von eigener Verantwortung nach dem Sozialismus betrifft, hat sich allerdings kaum was bewegt.

Sind Sie nicht ein wenig ungeduldig?

Ich bin ja noch nicht einmal dreißig Jahre alt. Aber ich habe keine Lust, brav die Erfahrung des Alters zu respektieren. Ich messe die Dinge an ihren Ergebnissen. Die Amis haben Vollbeschäftigung. Also müssen sie etwas richtig machen. Und die Intershop-Aktie brummt: Wir können also als Manager auch nicht so schlecht sein.

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