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Wachstumsmotor. Zu den großen Berliner Industriebetrieben gehört das Daimler-Benz-Werk in Marienfelde, das Antriebe für die Autos der Konzerns produziert.

© Kai-Uwe Heinrich

Industriestadt Berlin: Vollbeschäftigung in der Denkfabrik

Senat und Wirtschaft entdecken die Industriepolitik. Ein von mehreren Institutionen ausgearbeiteter Masterplan mit 34 Projekten soll die Kräfte bündeln und der Hauptstadt zu mehr Industriejobs verhelfen.

Einst war Berlin die größte Industriestadt zwischen Paris und Moskau, vor 100 Jahren arbeiteten etwa 600 000 Menschen im verarbeitenden Gewerbe. Davon ist die Stadt heute weit entfernt, aber mit dem „Masterplan Industriestadt Berlin 2010-2020“ wollen die Landesregierung und Wirtschaftsvertreter einen neuen Aufschwung einleiten. Am Dienstag stimmte der Senat der Vorlage von Wirtschaftssenator Harald Wolf (Linke) zu. Laut Studien bräuchte Berlin 90 000 Industriearbeitsplätze mehr, um das Niveau vergleichbarer Großstädte zu erreichen. Dies gilt als besonders wichtig, weil erfahrungsgemäß jede industrielle Arbeitsstelle zwei bis drei Jobs im Dienstleistungssektor und weiteren Branchen schafft.

Senator Wolf will sich nicht darauf festlegen, wie viele zusätzliche Arbeitsplätze durch den Masterplan entstehen könnten. Als Ziel nennt er „ein industrielles Wachstum über dem Bundesdurchschnitt“. Diese Entwicklung zeichne sich bereits seit Jahren ab, allerdings ausgehend von einer niedrigen Grundlage.

Der Abstieg der Industriemetropole habe bereits kurz nach dem Zweiten Weltkrieg begonnen und sich nach der deutschen Einheit massiv fortgesetzt, heißt es im Masterplan. Seit 2003 sei die „Bruttowertschöpfung“ der Industrie aber wieder gewachsen. 2009 gab es wegen der Wirtschaftskrise zwar einen Rückgang, immerhin fiel dieser aber geringer aus als deutschlandweit.

An der Erarbeitung des Masterplan waren diverse Institutionen der Wirtschaft beteiligt – darunter die Industrie- und Handelskammer (IHK), die Handwerkskammer, die Vereinigung der Unternehmensverbände in Berlin und Brandenburg (UVB) und einige Fachverbände. Als Arbeitnehmervertreter wirkten der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB), die Industriegewerkschaft Metall und die Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie mit. Federführend für den Senat ist die Wirtschaftsverwaltung und deren „Netzwerk Industriepolitik“. Mit im Boot ist auch der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD), der seit März einen „Steuerungskreis Industriepolitik“ mit Wirtschafts- und Gewerkschaftsvertretern leitet. Am heutigen Donnerstag trifft sich dieses Gremium zu seiner zweiten Sitzung; eines der Hauptthemen ist der Fachkräftemangel durch den demographischen Wandel.

34 Projekte, die in zahlreiche Unterpunkte gegliedert sind, ergeben zusammen das neue Industriekonzept. Zum Bereich „Rahmenbedingungen“ gehört zum Beispiel die Nachnutzung des Flughafens Tegel als Industriestandort. Etwa 200 Hektar könnten dort der Industrie und Forschung dienen, heißt es. Mit der IHK Berlin ist sich der Senat darin grundsätzlich einig.

Die Berliner Verwaltung müsse sich offener für die Wünsche und Probleme von Unternehmern zeigen, betonte Wolf, es handele sich um eine „Querschnittsaufgabe“ für alle Ressorts. Um dies den Behördenmitarbeitern zu verdeutlichen, seien unter anderem Seminare geplant. Noch attestieren die Autoren des Masterplans der Verwaltung einigen „Nachholbedarf“ bei Bearbeitungszeiten und dem „Verständnis für Unternehmensbelange“. Studien und Umfragen unter Unternehmen hätten gezeigt, dass „die Dienstleistungsorientierung von Verwaltung und Servicepartnern in Berlin als ausbaufähig bewertet wird“, lautet die diplomatisch anmutende Formulierung.

Das Senatspapier nennt weitere Probleme, die gelöst werden müssten. So fehle eine „systematische Erfassung“ aller verfügbaren Industrieflächen. Außerdem würden Landesbürgschaften im Vergleich zu anderen Branchen zu selten an die Industrie vergeben. Es mangele aber auch an privatem Beteiligungskapital. Die großenteils kleinen bis mittelständischen Betriebe seien darauf „stärker angewiesen als Städte mit zahlreichen Großkonzernen, die beispielsweise Auftragsforschungen finanzieren“. Die Firmen wiederum schöpften noch nicht alle Chancen des „Wissens- und Technologietransfers“ aus, die zahlreichen Möglichkeiten der Zusammenarbeit mit den Hochschulen und Forschungsinstituten würden zu wenig genutzt.

Auch die Stadtmarketing-Kampagne „be Berlin“ soll bald die vorhandene Industrie präsentieren und mit den guten Standortbedingungen für Unternehmen werben. International sei das Image Berlins zurzeit geprägt durch „Kreativität und Kultur“, das multikulturelle Miteinander und das viele Grün im Stadtbild, urteilt die Wirtschaftsverwaltung. Davon profitiere vor allem die Tourismusbranche. Jetzt gehe es auch darum, die Hauptstadt auch als „Standort moderner, innovativer und nachhaltiger Industrie“ bekannt zu machen, heißt es in einer Erklärung der Industrie- und Handelskammer.

Die am Masterplan beteiligten Institutionen loben die Initiative und unterstreichen deren Bedeutung. Die Industrie „bestimmt den Pulsschlag des Wirtschaftsstandortes“, sagte IHK-Hauptgeschäftsführer Jan Eder, die Stadt brauche „nichts dringender“ als zusätzliche Industriejobs. Christian Hoßbach, Vize-Vorsitzender des DGB in Berlin und Brandenburg, hofft auf „neue qualifizierte, interessante und gut bezahlte Arbeitsplätze für Männer und Frauen“. In allen Statements wird betont, dass die Beteiligten an einem Strang ziehen müssten und die Industriepolitik nur als gemeinsame Aufgabe funktioniere. Offenbar gab es hier bisher Defizite.

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