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Menschenleer. Wie hier in Mecklenburg-Vorpommern sieht es in vielen Regionen Deutschlands aus.

© picture alliance / dpa

Infrastruktur: Mehr Mut zur Lücke

Ganze Regionen verlieren zunehmend Einwohner. Was bleibt, sind Straßen, die niemand braucht, oder Schulen ohne Schüler. Doch für Deutschland kann der Wandel auch eine Chance sein, meinen Forscher.

Die alten Höfe: verlassen, die Schule: geschlossen, die Hauptstraße: ein Schlagloch. Wer hier noch wohnt, wird zu den Letzten gehören, bevor das Dorf von der Landkarte verschwindet. So düster dieses Szenario wirkt, in einigen Regionen Deutschlands ist es die Realität, sagt Reiner Klingholz, Leiter des Berlin-Instituts für Bevölkerung und Entwicklung. Und so düster ist es auch gar nicht, sondern es bietet Chancen für Deutschland, wie Klaus Töpfer, Chef des von ihm gegründeten Nachhaltigkeits-Instituts IASS in Potsdam und früherer Umweltminister, sagte. Angesichts der demografischen Veränderung und der Landflucht fordern die beiden Institute in der Studie „Vielfalt statt Gleichwertigkeit“ ein gesellschaftliches Umdenken.

„In letzter Konsequenz setzen wir uns für die Abschaffung der Gleichwertigkeit im Grundgesetz ein“, sagt Klingholz. Es gehe darum, die Entvölkerung von Dörfern oder Landstrichen zu enttabuisieren. In der frühen Bundesrepublik sei der Wunsch nach Gleichwertigkeit „ebenso nachvollziehbar wie umsetzbar“ gewesen: Es ging um Wiederaufbau in Jahren des „ungebremsten Wachstums“.

Heutzutage hingegen sorgen nach Ansicht der Wissenschaftler vor allem drei Faktoren dafür, dass die Landbevölkerung abnimmt. Zum einen gebe es dort weniger Kinder, zum anderen zu wenige Jobs und zum dritten ein so hohes Bildungsniveau, dass es die jungen Menschen in die Ballungsräume ziehe. „So wird das Leben auf dem Land zusehends unattraktiver“, sagt Klingholz. Allerdings mit der Einschränkung, dass nicht alle ländlichen Regionen betroffen seien. Während wirtschaftlich prosperierende Gegenden etwa in Süddeutschland teilweise Zuwächse verzeichneten, verlören Teile Ostdeutschlands jährlich rund ein Prozent ihrer Bevölkerung.

Aufzuhalten sei es nicht, aber besser zu gestalten. „Alles ist hierzulande auf Wachstum ausgerichtet, aber wir haben keine Strategie fürs Schrumpfen“, sagt Klingholz. Es gehe darum, die Folgen des demografischen Wandels zu meistern, ohne zusätzliche ökonomische und ökologische Kosten zu verursachen. Dazu gehöre auch der Mut, Infrastruktur aufzugeben.

Herkömmliche Kläranlagen seien erst ab einem gewissen Wasserdurchlauf sinnvoll: Zu wenig Abwasser verursacht zu hohe Kosten. Kleinkläranlagen wären eine Lösung. Auf dem Land sind Straßen pro Kopf wesentlich länger als in der Stadt – die Kosten pro Kopf dementsprechend höher. Ein Rückbau hier und da könne viel Geld sparen und bedeute nur kurze Umwege. Bei Schulen komme es nicht auf die Gebäudegröße, sondern die Qualität der Bildung an. Es müsse Öffnungsklauseln und neue Standards etwa bei der Vergabe von Subventionen geben. „Ob ein Dorf erhalten wird, muss sich vor Ort entscheiden“, sagt Klingholz.

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