zum Hauptinhalt

Wirtschaft: Initiative für Beschäftigung: Generalprobe für den Job

Im vergangenen Semester hat Sebastian Hennig zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen. Er bekam einen Einblick in die Praxis und einen Schein in Theorie.

Im vergangenen Semester hat Sebastian Hennig zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen. Er bekam einen Einblick in die Praxis und einen Schein in Theorie. Hennig studiert im sechsten Semester Wirtschaftsingenieurwesen an der TU Berlin. Zusammen mit 19 Kommilitonen hat der 25-Jährige ein Semester lang im Auftrag der Babcock Borsig AG gearbeitet. Der Maschinenbauer will Biogasanlagen produzieren. Dazu wurden die Studenten mit Angaben zur Größe der Produktionshalle ausgestattet und durften selbst den Fertigungsablauf planen - all das im Rahmen des Projektes "Theo-Prax" am Institut für Werkzeugmaschinen und Fabrikbetrieb der TU. Wie der Name verrät, stellt das Projekt eine Symbiose aus Theorie und Praxis dar. Und diese unterscheiden sich im Bereich Ingenieurwesen "enorm", so die Leiterin des Projektes, Marion Eggenstein. So hat Sebastian Hennig dank TheoPrax zum ersten Mal in einem Team gearbeitet. Dabei erwarten die Unternehmen - zumindest laut Stellenanzeigen - gerade die Teamfähigkeit von den Uni-Absolventen, neben der Entscheidungssicherheit, "exzellenten" Noten und Auslandsaufenthalten. Genau diese Lücke zwischen Erwartungen und universitärer Wirklichkeit will Theo-Prax schließen: Die Studenten verabreden Termine, erstellen Kostenpläne und ermahnen die weniger Engagierten - wie im Berufsleben. "Sie sind sehr flexibel und können schnell auf Änderungen reagieren, und wir nehmen sie nicht an die Hand", so Eggenstein. "Ich habe viel gelernt, vor allem dass man Arbeit teilen und Verantwortung übernehmen muss", sagt Hennig.

Theo-Prax begann 1997 als bundesweite Initiative mit dem Ziel, Schüler, Studenten und Unternehmen zusammenzubringen. Die Studenten können sich bereits im Studium auf die Arbeitswelt einstellen, die Wirtschaft bekommt praxiserfahrenen Nachwuchs. 25 Großfirmen, darunter BASF, Mannesmann, Ernst & Young, Siemens, Wella und mehr als 30 mittelständische Firmen gehören zum Theo-Prax-Verbund. "Wir arbeiten hauptsächlich mit Firmen aus unserer Region, sagen aber nicht nein zu interessanten Aufträgen aus anderen Bundesländern", so Eggenstein. In der Region Berlin sind der Hersteller von Saucen, Kühne, der Kunststoffproduzent Ehlebracht AG, Mercedöl Feuerungsbau Berlin, die Orbis GmbH und die Geyer Gruppe die Partner.

In die Hauptstadt kam das Projekt TheoPrax im Sommer 1999. Bisher haben rund 20 Studenten an vier Aufträgen aus der Industrie gearbeitet, auch für das Berliner Daimler-Chrysler-Werk. Der Automobilhersteller war mit dem Materialzufluss bei der Fertigung von Motoren unzufrieden und wandte sich an Studenten. Diese haben dafür gesorgt, dass die Kiste mit den Teilen im richtigen Moment an der richtigen Stelle steht. Damit die Arbeiter sie auch gleich sehen, leuchtet auf der Kiste ein rotes Lämpchen auf. Die Studenten stellen den Auftraggebern nur die tatsächlich angefallenen Kosten in Rechnung. Die Unternehmen spenden aber gern auch schon mal 10 000 Mark, damit die Studenten die nötige Ausrüstung bekommen.

Die Zielgruppe von Theo-Prax sind neben Studenten auch Schüler. Diese sollen Geschmack an ingenieurwissenschaftlichen Fächern bekommen - angesichts der sinkenden Absolventenzahlen in den Studiengängen Elektrotechnik, Maschinenbau, Verfahrenstechnik und Bauingenieurswesen heute besonders wichtig. Gab es 1997 bundesweit noch 21 781 Diplomingenieure, werden in diesem Jahr nur noch 15 274 erwartet. "Als ich 1992 das Maschinenbau-Studium angefangen habe, hörten 600 Leute die Mathe-Vorlesung, heute sind es maximal 60 Studenten", sagt Sven Schumann, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Werkzeugmaschinen und Fabrikbetrieb an der TU. "Wirtschaftsingenieure gibt es genug, aber die Firmen brauchen auch Maschinenbauer", erzählt Marion Eggenstein, die einzige wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut unter der Leitung von Professor Günther Seliger. In Berlin machen Frauen nur zehn Prozent der knapp 1000 Berliner Maschinenbau-Studenten aus. Um die Schulen auf Theo-Prax neugierig zu machen, schickt das TU-Institut die Anfragen von Firmen direkt an die Berliner Schulen. Die Aufträge gehen auch an Humboldt- und Freie Universität Berlin.

Die Studenten, die mindestens acht Stunden pro Woche bei Theo-Prax mitmachen, bekommen einen Schein in den Fächern "Produktions- und Fabrikplanung" oder "Montagetechnik" - die Teilnahme ist aber freiwillig. "Trotzdem haben sich für das nächste Projekt schon jetzt mehr Leute angemeldet, als wir verkraften können", sagt Eggenstein. "Obwohl die Arbeit sehr zeitintensiv ist", betont der Student Sebastian Hennig. Getüftelt wird im kommenden Semester an einem Auftrag der Gesellschaft für Elektronik und Datentechnik aus Zeesen im Südosten von Berlin. Dabei geht es auch um die Optimierung des Materialflusses in der Werkhalle.

Dass die Auftraggeber ihre Vorschläge tatsächlich umsetzen, können die Studenten anschließend selbst sehen. "Sie laden uns immer ein und bezahlen die Fahrt", so Hennig, der nach dem Studium in der Automobilindustrie arbeiten möchte. Kein Wunder auch, dass die Unternehmen gern manche Studenten gleich einstellen würden. "Wir sind aber keine Studentenvermittlungsstelle", stellt Marion Eggenstein klar. Außerdem müssten die Unternehmen gut sein, um den Studenten als attraktiver künftiger Arbeitgeber zu erscheinen.

Alia Begisheva

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false