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Treibstoff für Innovation. Neugieriges Verhalten ist eine große Kraft – es führt zur Gründung von Unternehmen und kann diese lebendig halten. Ohne Neugier gibt es keine wesentlichen Erneuerungen.

© imago/blickwinkel

Innovative Ideen: Nichts Neues ohne Neugier

Das Unbekannte, Unsichere und Riskante öffnet den Blick für neue Perspektiven und Fragestellungen. Unternehmen, die ihren Mitarbeitern Freiräume zum Erforschen und Entdecken verschaffen, profitieren von den innovativen Ideen.

Vielleicht erinnern Sie sich noch an das letzte Mal, das Sie Feuer gemacht haben. Osterfeuer, Lagerfeuer, Kamin, Grill? Die meisten Menschen heute beherrschen das Spiel mit dem Feuer. Zum ersten Mal geklappt hat das vor 800 000 Jahren, in der Steinzeit. War aber wohl reiner Zufall, sagen die Archäologen: Bei der Herstellung eines Faustkeils entstand ein Funke. Der entzündete umherliegendes Stroh.

Doch wie wurde aus diesem „Zufall“ die „Mutter aller Erfindungen“, wie die Archäologen sagen? Einfache Antwort: die Menschen in der Steinzeit wollten diesem Zufall nicht ausgeliefert sein. Sie wollten wissen wie es geht, es selber können, es beherrschen. Ihr Antrieb war: die Neugier! Die brennende Frage ist nun: Was wollen Sie sein? Feuermacher oder Wasserkocher? Denn die Neugier brauchen wir auch im 21. Jahrhundert. Neugier ist der Brennstoff für Innovation. Unternehmen brauchen solche „Feuermacher“ der Neuzeit, die zeigen, dass Neugier Nutzen stiftet.

Für die Neurobiologen von heute ist Neugier einer der fundamentalen Mechanismen des Belohnungssystems im Hirn. Und im Wort selbst steckt schon, worum es geht: „Gier“. Unser Gehirn gelüstet es nach Neuem. Diese Lust, belegten Psychologen, bildet die Vorstufe zur Kreativität. Mit anderen Worten: ohne Neugier keine neuen Ideen. Unternehmen wissen dies, manchmal. Der Employer-Branding-Spezialist Universum aus Stockholm führt die Neugier auf Platz fünf der Top-Eigenschaften, die Unternehmen bei ihren Mitarbeitern suchen. Im Grund auch leicht zu verstehen: Wer Neugier hat, brennt! Wie jedoch kann man das herausfinden?

Die Neugierigen arbeiten gewissenhafter

Intuitiv richtig geht der Chef des Ventilatorenherstellers Big Ass Fans die Sache an. Carey Smith sucht seine Mitarbeiter nach zwei Kriterien aus: Neugier und Positivität. Der Erfolg gibt ihm Recht: Die Einnahmen haben sich in den letzten drei Jahren mehr als verdoppelt. Psychologen in Würzburg haben diesen intuitiven Ansatz belegt: Sie entwickelten 2012 einen Kurztest, der die berufsbezogene Neugier misst. Mit überraschenden Ergebnissen: Die Neugierigen sind auch die gewissenhafteren Arbeiter – und tun sich sehr viel leichter mit Veränderungen im Arbeitsumfeld.

Gewissenhaftigkeit trieb bereits die Gebrüder Wright, die viele Rückschläge bei der Entwicklung ihres Flugapparates erlebten, ihre Ingenieursprobleme zu lösen und es immer und immer wieder zu versuchen. Bis die Idee funktionierte.

Der Wunsch nach Sicherheit hemmt den Fortschritt

Die anhaltenden Veränderungen in dieser Welt drängen Unternehmen und Mitarbeiter in einen Zwiespalt: „Sicherheit“ gegen „Risiko“. Globale wirtschaftliche Veränderungen, das Entstehen und Vergehen ganzer Branchen, technologische Umwälzungen, Evolutionen und Revolutionen in den Geschäftsstrategien, Unsicherheit ist allgegenwärtig. Allerdings gilt: Das größere Risiko geht gerade der ein, der sich seine Sicherheit erhalten will.

Die Offenheit für neue Ideen ist die Persönlichkeitsfacette der Neugierigen, die sie Veränderung mit offenen Armen empfangen lässt. Sie wirkt dem „Need for closure“ entgegen. So nennt man den Wunsch, Ambiguität und Unsicherheit möglichst schnell loszuwerden. Dieser führt dazu, die Suche nach neuen Informationen früh zu beenden, in Stereotypen zu denken und Glaubenssätze durch Dogmatismus zu schützen.

Wenn nun die Qualitäten der Neugierigen die Tragpfeiler im disruptiven Wandel sind, dann wäre es logisch, diese möglichst aktiv zu managen.

1992 zeigte die Forschung erstmals, wie wichtig das Fördern von Neugier bei der Arbeit ist. Sie ermutigt Mitarbeiter, weiter zu denken und zu lernen und so auch die Offenheit für Veränderung zu erhöhen. Diese Forderung wurde schnell zu einem Allgemeinplatz. Menschen schauen seitdem nach einem Arbeitsplatz, der ihre professionelle Passion mit offenen Armen empfängt; Führungskräfte suchen Mitarbeiter, die voller Leidenschaft für die Mission der Firma sind. „Passion“ „Leadership“ oder „Neugier“ werden herumgewirbelt wie Bestandteile eines Salatbuffets.

Fragen macht Interesse fühlbar

Was wirklich hilft, berichtet ein Entwicklungsleiter von Conti Tech. Er lässt sich von seinen Teams alles sehr genau erklären, fragt nach, will es selbst verstehen. Statt „habt ihr gut gemacht. Ich will gar nicht wissen, wie…“ fragt er „Was genau habt ihr da angestellt und warum funktioniert das?“ Konsequenz: die Fragerei wirkt wertschätzend, weil sie Interesse fühlbar macht. Das wiederum führt teamseitig zu einer höheren Identifikation mit dem Thema und steigert die Lust an der Lösungsfindung. Der Kognitionspsychologe Daniel Willingham beschreibt, wie Ärzte, Manager, Eltern und Lehrer oft so erpicht darauf sind, eine schnelle Antwort zu bekommen, dass sie gar keine Zeit lassen, um die Frage gut zu entwickeln.

Wie aber kann die dazu nötige Neugierintervention im Alltag funktionieren? Relativ einfach: Ab und zu einen „Neuen“ als Fragesteller ins Team einladen.

Die Psychologen Nicholas Kohn und Steven Smith belegten den Nutzen: Drei-Mann-Teams sollten sich möglichst viele Verwendungen für eine Kartonkiste ausdenken. Zur Hälfte der Teamarbeit wurde ein Mitglied ausgewechselt. Dann wurde die Aufgabe wiederholt. Ergebnis: mit einem neuen Mitglied kamen deutlich mehr Verwendungen der Kiste zutage. Der Neuling trägt dazu bei, neu Fragen zu stellen, die Perspektive zu wechseln, dem „Need for closure“ vorzubeugen. Peter Drucker drückt das so aus: „Der Kommunikator der Vergangenheit wusste, wie er reden musste. Der Kommunikator der Zukunft weiß, wie man Fragen stellt.“

Eintauchen in andere Welten

Für immer mehr Experten zählt Neugier zu den Top-Qualitäten einer erfolgreichen Führungskraft. Je größer und je inspirierender die Fragen, um so besser. Einfach gesagt: Nachfragen, Erforschen und Entdecken werden Teil der Unternehmenskultur.

In diesem Zusammenhang ist die Neugier übrigens alles andere als ein weicher Faktor. Neugier minimiert die Angst vor Fehlern. Die Harvard-Psychologin Ellen Langer bat 2009 Teilnehmer, eine unvorbereitete Rede zu halten. Drei Gruppen wurden gebildet. Die erste bekam die Aufgabe, keine Fehler zu machen, denn Fehler seien schlecht! Der zweiten Gruppe wurde erklärt, dass jeder Fehler, der gemacht würde, verzeihbar wäre. Und die dritte Gruppe wurde eingeladen, Fehler zu machen und diese Fehler in die Rede einzubauen. Für die Zuhörer war die letzte Gruppe am klarsten, effektivsten und intelligentesten. Die Gruppen-Mitglieder selbst beschrieben sich als ruhig und sicher. Das ist die richtige Haltung, Fehlt nur noch das richtige Umfeld.

Verbringen Sie nicht zu viel Zeit in einer ihnen bekannten Welt: dem Büro. Tauchen Sie ein in andere Welten. In der Renaissance zum Beispiel bedienten Wunderkammern diese Aufgabe. Räume voller neuer Ideen in jeder Ecke! Klar, nicht jedes Unternehmen kann solche Räume schaffen. Doch gibt es auch dafür schon Dienstleistungen. Die Pullman Hotelkette hält für sie die „Business Playgrounds“ bereit. Entwickelt mit zwei klaren Zielen: zu überraschen und gezielt die Neugier anzuregen. Statt Meetings am sterilen Meetingtisch, wartet ein eleganter weißer Pokertisch mit Lederapplikationen. Rückzugsorte sind gestaltet wie Clublounges. Abgerundet durch „Curiosity Boxes“; befüllt mit ungewöhnlichen Gegenständen. Kuriositätenkabinette der Gegenwart.

Es lohnt sich, von der Pornoindustrie zu lernen

Den Weg zum Business Playground sprengt das Budget? Alternative: Die Kuriositätenkabinette im Kopf anzapfen. Etwa mit dem Blick in fremde Branchen. Denn Innovationen werden immer weniger aus einem bestehenden Markt entwickelt, wie Prof. Oliver Gassmann von der Universität St. Gallen berichtet. Wie funktioniert ein solcher Cross-Innovation-Ansatz mit Blick über den Tellerrand? Lernen Sie von der Pornoindustrie!

Konnten Sie gerade bemerken, wie Ihr Kopf einen Need for Closure, verspürte? Dann könnte es spannend werden. Unbehagen ist ein guter Indikator, dass gerade etwas Unbekanntes ins Leben tritt. Diese Tür zu öffnen lohnt sich. 12 Milliarden Euro hat die Porno-Industrie 2012 erwirtschaftet. Ihr Erfolgsmodell? Diese Industrie empfängt neue Technologien mit offenen Armen. Fortschritte werden direkt integriert. Offenheit für neue Ideen ist das grundlegende Geschäftsmodell.

24 Stunden nach Markteinführung des iPads war die erste auf Tablets optimierte Erotik-Website online. Hinzu kommt der innovative Umgang mit Mitbewerbern. Die sind im Netz nur einen Klick entfernt. Die Lösung ist ein Verlinken auf die Seiten der Konkurrenz mit dem Ziel und Effekt, sich gegenseitig zu mehr Wachstum zu verhelfen. Coopetition heißt diese erfolgreiche Strategie.

Wie kann man das eigene Feuer am Brennen halten?

Auch Procter & Gamble folgt einem solchen Prinzip. Die Zielvorgabe lautet: 50 Prozent aller Neuentwicklungen müssen von außen kommen. 2006 lag die Quote bereits bei 35 Prozent. 2007 war die 50-Prozent-Hürde erreicht. Parallel wuchs die F&E-Erfolgsquote um fast 60 Prozent, die Innvoationserfolgsquote um 60 Prozent. Nahezu jede Branche profitiert von einem solchen neugierigen Vorgehen.

Damit stellt sich die abschließende Frage: Wie können Sie das eigene Feuer am Brennen halten? Drei Vorschläge:

1. Nutzen Sie Unsicherheit. Viel zu selten sehen wir der Anspannung, die Neuheit mit sich bringt, positiv entgegen. Doch genau diese Unsicherheit zu Beginn führt zu intensiven und langanhaltenden positiven Erlebnissen. Wie wäre es, wenn Sie jede Woche ein kostenloses Mittagessen verlosen unter den Menschen, die am besten eine der Stärken Ihres Unternehmens (Dankbarkeit oder Humor oder Führungsstärke) vertreten. Lassen Sie die Person, die gewinnt, eine ihr fremde Person einladen. Erlauben Sie diesen beiden den Austausch über Themen, die sie interessieren.

2. Finden Sie das Unbekannte im Bekannten. Viel zu schnell halten Menschen sich für Experten. Die Folge ist eine Wahrnehmung mit Scheuklappen, Denken in Klischees, Abläufe auf Schienen. Ermutigen Sie Ihr Team, diese Schienen zu verlassen. Beim übernächsten Mittagessen fragen Sie gezielt nach etwas, das sonst im Business Alltag untergeht. Die fünf Lieblingsurlaubsorte; die schrägsten Momente; die verrücktesten Hobbies. Zapfen Sie gegenseitig Ihre Kuriositätenkabinette im Kopf an.

3. Seien Sie Anlaufpunkt für die Risiken und Freude Anderer. Menschen gehen Risiken ein und werden neugieriger, wenn sie sich sicher fühlen. Wenn Sie wollen, dass Ihr Team kreativ wird, seien Sie responsiv; wenn die Anderen sich unwohl fühlen, lassen Sie sie wissen, dass es dazu gehört, wenn Neues den Bekannten Weg kreuzt. Es geht nicht um „Wie war das Wochenende?“, sondern die Frage „Was war das beste Erlebnis am Wochenende?“ Echtes Interesse schafft emotionale Sicherheit. Die wiederum ist Brandbeschleuniger für Neugier. Halten Sie es mit Plutarch: „Der Verstand ist nicht ein Gefäß, das gefüllt werden muss, sondern ein Feuer, das entzündet werden muss.“ Bleiben Sie neugierig, werden Sie Feuermacher der Neuzeit!

Vom Autor erschien zuletzt – in Zusammenarbeit mit Andreas Steinle – der Band Neugier-Management – Treibstoff für Innovation, November 2014, 90 Seiten, Zukunftsverlag..

Carl Naughton

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