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Noch leer: Ein Strand im türkischen Antalya

© dpa/Marius Becker

Internationale Tourismus-Börse (ITB): Schweres Gepäck

Wer an Erdogan denkt, möchte vielleicht nicht Urlaub in der Türkei machen. Wer andere Ferienideen sucht, besuche in dieser Woche die Internationale Tourismus-Börse (ITB). Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Kevin P. Hoffmann

Als die Türken Ende 2015 einen russischen Kampfjet abschossen, verbot Wladimir Putin Reisebüros, Reisen in die Türkei anzubieten. Im Jahr zuvor waren 4,4 Millionen Russen in das Sonnenland geflogen. Das hatte beiden Seiten rund neun Milliarden Euro Umsatz gebracht. So zwang Putin seinen Amtskollegen und Bruder im Geiste, Recep Tayyip Erdogan, in die Demutshaltung. Er fraß Kreide.

Putins Methoden sind nicht der Maßstab für eine freiheitlich verfasste Demokratie. So gern man Erdogan erneut ein wenig Demut lehren würde angesichts der Zustände, für die der Autokrat nicht nur in seinem Land sorgt: An ein aus Berlin verhängtes Reiseverbot ist nicht zu denken. Selbst ein Boykott-Aufruf wäre prinzipienlos und nicht nachhaltig. Reisende soll man nicht aufhalten.

Hierzulande darf jeder Mensch selbst mit seinem Gewissen ausmachen, in welches Urlaubsland er seine hart verdienten Euro trägt. Und vor allem, wie er das tut: all inclusive am Strand, um sich bedienen zu lassen? Oder unterwegs, um das Land zu erkunden? Man kann sich die Mühe machen, vor Ort Leute kennenzulernen, verstehen lernen, neue Perspektiven einnehmen. Sogar die türkische! Dümmer wird man nicht dabei. Es ist ja so: Die Mehrheit der Türken hat Erdogan gewählt. Weil er Turkey „great again“ gemacht hat. Dass der Mann sein Land heute wieder tief zurück ins vergangene Jahrhundert führt, mögen die Türken beizeiten selbst erkennen.

Der Senat tut so, als gehe ihn das nichts an

Man muss sich im Urlaub nicht den Kopf des Gastgebers zerbrechen. Urlaub bedeutet doch: endlich Zeit, ohne Reue an sich selbst zu denken. Die Türkei und andere beliebte Reiseländer wie Ägypten werden es vielen Deutschen 2017 gleichwohl zu schwer machen, sich dort fallenzulassen. Nicht jeder kann abschalten, wenn er weiß, dass fast jeder Euro, den er dort lässt, ein Regime stützt, das seine Gegner in Kerkern verschwinden lässt. Sollen andere Gastländer profitieren: Viva España, Bella Italia, Felix Austria!

Wer weitere Ideen sucht, besuche in dieser Woche die Internationale Tourismus-Börse (ITB) in Berlin. Sie gilt als größte Reisemesse der Welt: Viele der 100.000 erwarteten Besucher sollen aus dem Ausland anreisen. Die Hotels sind voll. In kaum einer anderen Woche des Jahres können Berliner den faszinierenden Perspektivwechsel so intensiv erleben: vom Gast zum Gastgeber, vom Staunenden zum Bestaunten. So wird die Magie des Reisens begreifbar.

Die stillen und meist unsichtbaren Niedriglöhner an den Flughäfen Tegel und Schönefeld könnten diese Erfahrung um eine weitere unbequeme Dimension bereichern: Sie drohen mit Streik – ausgerechnet zum Auftakt der ITB ab Mittwoch. Das lenkt den Blick darauf, wie Berlin die Gastgeberrolle lebt. Ein Berliner Senat hatte den Bodendienstleister Globeground vor neun Jahren privatisiert. Heute machen die Jobs rund 2000 Angestellte bei fünf bis sechs Firmen. Es geht um einen Euro mehr Geld die Stunde.

Senatspolitiker und die von ihnen kontrollierte Flughafengesellschaft tun so, als ginge sie das alles nichts an. Die Firma sei ja privatisiert. Berlins Kofferschlepper stehen nun am Ende der langen Reise-Wertschöpfungskette. Auch sie zahlen den Preis dafür, dass jeder Bürger mit dem billigsten Billigflug seine demokratische Reisefreiheit ausleben kann. Ja, Verantwortung als Tourist endet nicht in Antalya. Und sie beginnt in Berlin.

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