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Walter

© ddp

Interview: ''Der Euro ist die relevante Alternative zum Dollar''

Der Euro hat sich in zehn Jahren zu einer wichtigen Leitwährung entwickelt. Der Tagesspiegel sprach mit dem Chefvolkswirt der Deutschen Bank über erfüllte Erwartungen, finanzpolitische Hürden und was das neue Geld den Verbrauchern und Unternehmen gebracht hat.

Herr Walter, rechnen Sie noch in D-Mark, oder haben Sie den Euro verinnerlicht?



Ich schaue heute auf den Euro. Aber wenn ich die Preise für ein Auto oder eine Immobilie sehe, bin ich versucht, mir noch den D-Mark-Preis in Erinnerung zu rufen, weil es große und seltene Anschaffungen sind. Aber bei allen anderen Preisen zählt für mich nur der Euro.

Was bringt der Euro dem Verbraucher?

Wer viel in Euroland reist, kann vor allem die Preise einfach vergleichen. Er muss keine Lira oder Peseten mehr tauschen und dafür hohe Gebühren zahlen. Die Menschen sind dies alles mittlerweile gewohnt, nehmen diese Vorzüge als normal hin. Dass es einmal anders war, haben sie schon vergessen.

Gibt es Nachteile?

Viele Deutsche, auch Europäer, haben immer noch das Gefühl, dass die neue Währung hauptverantwortlich dafür ist, dass sie für einige Dinge mehr zahlen müssen. Die Vorstellung „Euro gleich Teuro“ ist aus der Seele der Menschen nicht herauszuschneiden. Die Statistik über die gemessene Inflation sagt aber etwas anderes als die gefühlte Inflation. Der Euro hat mehr Stabilität gebracht als davor die D-Mark geliefert hat.

Wie profitieren Unternehmen vom Euro?

Unternehmen können immer öfter ihre Transaktionen in Euro abrechnen. Das ist ein enormer strategischer und kosten mäßiger Vorteil. Schon seit einer Dekade gibt es kein Risiko mehr, dass Wechselkurse in Nacht-und-Nebel-Aktionen verändert werden. Das verschafft den Unternehmen eine sichere Kalkulationsbasis. Der Euro bringt es auch mit sich, dass deutsche Unternehmen viel europäischer denken als früher. Ihr Heimatmarkt ist heute Europa. Deutschland insgesamt stünde ohne den Euro deutlich schlechter da.

Heute sei die Inflation höher als zu Zeiten der D-Mark, sagen Euro-Kritiker.

Das ist eindeutig falsch. Im Schnitt lag die Inflationsrate im Euro-Raum pro Jahr bei etwas mehr als zwei Prozent. Die Preissteigerung in der D-Mark-Zeit war höher. 2008 war ein Ausreißer, weil vor allem die Öl- und Energiepreise bis Jahresmitte extrem gestiegen sind.

Die Europäische Währungsunion habe ein Manko, sagen Kritiker: Die Anpassung in wirtschaftlichen Schwächephasen über die Korrektur des Wechselkurses, etwa zur Stimulierung der Ausfuhr, sei nicht mehr möglich. Hätte dies Mitgliedsländern in den vergangenen zehn Jahren geholfen?


Auch wenn heute hier und da im Euro- Raum wieder über eine Anpassung von Wechselkursen diskutiert wird – dies hilft nicht, vor allem nicht Italien oder Griechenland. Die Anpassungskosten wären auf beiden Seiten sehr hoch, wenn ein Land den Wechselkurs senkt, um etwa den Export auf Touren zu bringen. Andererseits muss in einem gemein samen Währungsraum die gemeinsame Stabilitätskultur beibehalten werden. Die Euro-Staaten haben das ganz gut geschafft. Und auch in den Ländern, die in die Währungsunion streben, ist Stabilität bei Währung und Finanzen mittlerweile ein hohes Gut.

Auch Europa wird durch die seit Jahrzehnten schwerste Finanz- und Wirtschaftskrise durchgeschüttelt. Wäre das Beben ohne den Euro noch heftiger?

Mit Sicherheit. Die Folgen wären dramatisch, mit Wechselkursänderungen von 20 Prozent, vielleicht sogar mehr. Die Mark hätte massiv aufgewertet werden müssen, mit schwerwiegenden Folgen für deutsche Exporteure und damit auch für Arbeitsplätze. Auch die Zinsen hätten sich auseinanderentwickelt. Der Spekulation wären Tür und Tor geöffnet gewesen. Der Euro hat dies alles verhindert.

Zwischenzeitlich gab es Vermutungen, Länder wie Griechenland oder Italien könnten wegen der Krise den Austritt aus dem Verbund erwägen. Der Vertrag von Maastricht sieht einen solchen Schritt nicht vor. Wäre er trotzdem möglich? Was wären die Konsequenzen?

Das ist eine Option allenfalls für Lon doner Investmentbanker. Und für ganz wilde Vertreter unter Volkswirten und Managern. Den Exportindustrien würde es vermutlich nur auf Zeit helfen, die Zinsen und Staatsschulden würden aber in die Höhe schießen. Wer die Option Austritt erwägt, ist ein Hasardeur.

Zum zehnjährigen Jubiläum feiert die Europäische Währungsunion den Beitritt der Slowakei und damit des 16. Mitglieds landes. Die baltischen Staaten, Polen und Ungarn klopfen an die Tür. Wie viele Mitglieder verträgt der Währungsverbund?


Generell gibt es keine Obergrenze diesseits der Zahl der EU-Mitglieder. Wegen der Krise registrieren wir ein größeres Schutzbedürfnis. Deshalb wollen mehr Länder als gedacht unter den Schirm des Euro, auch wenn es nicht leicht ist, die Stabilitätsvorgaben zu erfüllen.

Vor der Entscheidung über die Währungsunion haben Sie von einer historischen Chance vor allem auch für Deutschland gesprochen. Ist sie genutzt worden?


Im Prinzip ja. Europa ist enger zusammengerückt und zugleich internationaler geworden. Aber wir sind in einigen Bereichen langsamer vorangekommen als erhofft. Dass Dänemark und Schweden immer noch nicht dabei sind, hätte ich nicht gedacht. Ich hätte auch erwartet, dass viele mittel- und osteuropäische Staaten heute dazugehören würden.

Was hat das verhindert?

Widerstände nicht nur aus der Politik, sondern auch durch die Garde alter Zentralbanker. Mitunter haben die Westeuropäer die Kriterien für die Aufnahme kleinerer Staaten aber auch zu eng ausgelegt.

Und der Euro selbst?

Die Träume haben sich erfüllt. Der Euro steht an den Finanzmärkten hinter dem Dollar eindeutig an zweiter Stelle. Für viele Finanzprodukte ist der Euro Maßstab. Der Euro ist eine relevante Alternative zum Dollar. Auch wenn das viele Amerikaner noch nicht begriffen haben.

Das Gespräch führte Rolf Obertreis.

Norbert Walter (64) ist seit 1990 Chefvolkswirt der Deutschen Bank. Er leitet zugleich das Forschungsinstitut Deutsche Bank Research.

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