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Interview: „Der Konsument wird gläserner“

Tonio Kröger, Chef der Werbegruppe DDB, über Internet-Reklame und was durch eine Fusion von Microsoft und Yahoo anders würde.

Herr Kröger, auf dem Werbemarkt im Internet ist ein Machtkampf ausgebrochen. Microsoft will Yahoo für 45 Milliarden Dollar übernehmen, um Google anzugreifen. Was bedeutet das für Ihre Branche?

Es steht für einen Umbruch in der Kommunikationsbranche und natürlich auch für ganz neue Formen von Wettbewerb. Würde Microsoft als „Programmierer“ mit Yahoo als Online-Plattform zusammenwachsen, würde den beiden eigentlich nur noch eine breit aufgestellte, diversifizierte Kreativeinheit fehlen. Dann hätten wir ein Kommunikations- und Medienunternehmen neuer Couleur.

Sie erwarten, dass sich der Konzern noch eine große Agentur einverleibt?

Es muss nicht zwingend eine Agentur sein. Die Internetkonzerne kaufen einfach die besten Leute ein. Google hat zum Beispiel 2007 den Top-Kreativen der Agentur Ogilvy & Mather, Andy Berndt, abgeworben. Er leitet jetzt Google Creative Lab. Die Abteilung soll sich um globales Marketing kümmern.

Belebt das den Wettbewerb oder bereitet Ihnen diese Machtballung Sorgen?

Sicher könnte man sich auch Sorgen machen, weil neue, gigantische und globale Kommunikationsunternehmen entstehen. Aber darin liegt auch eine Chance. Microsoft und Yahoo zum Beispiel werden schon wegen ihrer enormen Größe sehr mit der Komplexität ihrer gemeinsamen Geschäfte und Strukturen zu tun haben, so dass genügend Platz für Wettbewerb entsteht. Ein solcher Zusammenschluss würde aber den Druck auf die Entwicklung von ganzheitlichen, integrierten Strukturen in der Kommunikationsbranche erheblich erhöhen.

Ist die klassische Werbung in Zeitungen, Zeitschriften, Radio und TV von gestern?

Sie ist heute nicht mehr das alleinige Leitmedium. Es stellen sich einfach neue Aufgaben, die nicht nur aus der Werbebranche heraus gelöst werden können – deshalb fällt die Werbebranche aber nicht in die Bedeutungslosigkeit. Der Übernahmeversuch von Microsoft zeigt allen deutlich, wohin die Reise geht: Das Internet ist/wird ein zentrales Medium für werbliche Kommunikation. Früher fand Werbung auf Plakaten und Litfasssäulen statt, dann kam das Fernsehen hinzu und jetzt stehen wir vor einem neuen, evolutionären Schritt. Früher hat man mit viel Geld über das Fernsehen oder Zeitungen Inhalte transportiert. Das ging relativ einfach, auch weil die Zielgruppen in sich sehr homogen waren.

Und heute verliert sich alles im Netz?

Zielgruppen und Kanäle splittern sich immer mehr auf. Das bedeutet nicht, das sich alles verliert, aber es verändert zum Beispiel auch das Profil der Agenturen. Eine Multichannel-Agentur wie unsere Tochter Tribal DDB arbeitet schon fast wie eine kreative Unternehmensberatung. Hier geht es aber um kreative Intuition. Die Aufgabe für uns heißt dabei nicht mehr: „Denk Dir einen 30-Sekunden-TV-Spot aus oder eine Anzeige für die Tageszeitung“. Wir haben es immer mehr mit ganzheitlichen Businessproblemen unserer Kunden zu tun und werden gefragt, wie wir es – als Kreative – lösen würden. Wir sind mit unserem Multichannel-Ansatz auf dem richtigen Weg

Weil das Internet Werbung effizienter macht?

Werbung ist kein Selbstzweck. Sie hat eine klare Aufgabe: eine Marke bekannter und attraktiver zu machen und, als Konsequenz, Produkte zu verkaufen. Das Internet als Kanal kann beides. Der Erfolg von Werbung kann hier teilweise an sofortigen Kaufentscheidungen gemessen werden. Das ist, als würde man einen Schauraum betreten, wo man den Verkäufer trifft.

DDB hat zusammen mit Volkswagen 2007 einen ganz besonderen Online-Verkäufer erschaffen: Horst Schlämmer alias Hape Kerkeling. Die Figur hatte einen Riesenerfolg , die Schlämmer-Spots wurden millionenfach angeklickt, weil erst auf den zweiten Blick klar wurde, dass es VW-Werbung war. Kann man so etwas planen?

Das war kein Zufallstreffer. Aber planen kann man so etwas natürlich auch nicht hundertprozentig. Virales Marketing, Werbung im Web 2.0-Format, die soziale Netzwerke im Internet ausnutzt, um Aufmerksamkeit für ein Produkt zu erzeugen, ist nie vollständig planbar. Man kann sich aber auch hier viel Wissen über die Mechanismen von Communities aufbauen und so daran arbeiten, gravierende Fehler zu vermeiden. Mit Schlämmer haben wir den Weg in eine Online-Community gefunden, in der Werbung eigentlich verpönt ist.

Web 2.0-Werbung als gezielter Anarchismus?

…den wir mit Volkswagen professionell inszeniert haben, ja. Das unterscheidet die früheren Werber von den heutigen, die sich als Prozessberater verstehen: Man muss sich genau ansehen, mit welchen Mechanismen der Online-Markt funktioniert, wie die Communities ticken. Erst dann kann man das Drumherum gestalten. Im Idealfall nimmt die Netzgemeinde eine Marke als den Ermöglicher wahr. Ein Unternehmen also, das nicht plumpe Werbung macht und nur etwas verkaufen will, sondern das etwas Unterhaltsames ermöglicht, etwas, mit dem man spielen kann, was einen unterhält. Dann ist ein Damm gebrochen.

Heißt das, Sie wissen jetzt besser, wie Konsumenten im Internet funktionieren?

Die Communities im Netz entwickeln sich so rasend schnell, national und international, mit immer neuen Themen, dass man eigentlich nicht mehr von klassischen Zielgruppen sprechen kann. Wir müssen eine neue Definition finden.

Viele Internetnutzer fürchten, dass sie noch gläserner werden, weil die Werbeindustrie sie in- und auswendig kennt.

Der Konsument wird im Internet gläserner. Klar. Er hinterlässt bewusst und unbewusst nachvollziehbare elektronische Spuren. Aber die alte Aufteilung in Milieus, in denen Menschen sich in ihrer Lebensweise, ihrem Lifestyle und ihren Auffassungen gleichen, lässt sich nur noch bedingt auf den Online-Werbemarkt übertragen. Nehmen Sie zum Beispiel die Gaming-Community. Hier finden sie Chefärzte genauso wie Schüler oder sozial Schwache. Es bilden sich ständig neue User-Gemeinschaften, die sich wie Fisch- oder Vogelschwärme bewegen. Da führt nicht einer den Schwarm an, sondern alle schauen unentwegt, was der Nachbar gerade macht.

Wird 2008 – wie von Wirtschaftsforschern vorausgesagt – das Jahr des privaten Konsums?

2007 war trotz Wirtschaftsaufschwung ein eher mäßiges Jahr für die Werbebranche, weil die Investitionen der Unternehmen nicht wie erhofft zurückgekommen sind. Die meisten waren sehr vorsichtig. Ich glaube 2008 wird besser.

Trotz Finanzkrise?

Es war für mich beruhigend, dass die Turbulenzen in den USA nicht dazu geführt haben, dass hierzulande alles in eine große Lethargie verfällt. Das spricht für ein gesundes Selbstvertrauen – im gesamten Jahr. 2007 sind die Werbeinvestitionen um 1,8 Prozent gestiegen, wir gehen davon aus, dass sie 2008 etwas stärker zulegen werden.

Das Gespräch führte Henrik Mortsiefer.

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