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Das Problem sind geringe Einnahmen, nicht die Ausgaben, sagt Frank Bsirske.

© T. Rückeis

Interview: "Deutschland ist für Reiche eine Steueroase"

Verdi-Chef Frank Bsirske über die Pläne der Bundesregierung, Wachstumsimpulse und höhere Steuern.

Herr Bsirske, überall in Europa wird gespart – warum sollten wir mit unserer Verschuldung einen anderen Weg gehen?

Weil wir kein Ausgaben-, sondern ein Einnahmenproblem haben, unsere öffentlichen Haushalte sind chronisch unterfinanziert.

Also ist Sparen überflüssig?

Hier und da kann man auch sparen, bei Rüstungsprojekten oder ökologisch fragwürdigen Tatbeständen und beim Ehegattensplitting. Das ändert aber nichts an der grundlegenden Einschätzung, dass wir unter unseren Möglichkeiten geblieben sind und den Binnenmarkt stärken müssen. Da bin ich derselben Meinung wie US-Finanzminister Geithner.

Sollten die Euro-Länder nicht schleunigst ihre Haushalte konsolidieren, um die Währung nicht weiter zu gefährden?

Wenn wir jetzt zu stark sparen, droht ein Rückfall in die Krise, weil wir den Binnenmarkt abwürgen. Und die soziale Schieflage im Land verschärft sich. Also: Haushaltskonsolidierung und Steuererhöhung sind zwei Seiten einer Medaille. Wenn wir die so dringend erforderlichen Investitionen in Bildung und Ökologie machen wollen, dann geht an Steuererhöhungen kein Weg vorbei.

Das will die Regierung nicht.

Aber gerecht geht anders. Was die Besteuerung von Erbschaften und Vermögen anbelangt, haben wir in der EU den Status einer Steueroase. Wenn wir allein in diesem Bereich auf das Niveau unserer westeuropäischen Nachbarn gehen würden, hätten wir Mehreinnahmen von 33 Milliarden Euro im Jahr. Und ein Spitzensteuersatz von 42 Prozent ist auch nicht gottgegeben, zu Helmut Kohls Zeiten waren das 56 Prozent.

Also schlicht die alte Umverteilung von oben nach unten.

Seit mindestens zehn Jahren geht es in die andere Richtung – mit Folgen für den Binnenmarkt. Was die Regierung jetzt vorhat, belastet weiter die Schwachen. Einschnitte bei den Rentenbeiträgen für Langzeitarbeitslose, Abstriche beim Elterngeld, Kürzungen bei den Fördermitteln für Erwerbslose, Arbeitsplatzabbau und Gehaltseinschnitte im öffentlichen Dienst – das ist doch alles nicht gerecht.

Schwarz-Gelb wird die Einkommensteuersätze nicht erhöhen.

Vorerst nicht. Wir erleben ja jetzt nur die erste Runde, die nächsten folgen in den kommenden Jahren. Und mit dem schwarz-gelben Politikmodell kommen wir nicht weiter. Vor allem in den Kommunen drohen griechische Verhältnisse, weil die ihre öffentlichen Dienstleistungen nicht mehr finanzieren können. Die Richtung der Politik muss also grundlegend verändert werden.

Aber wie? Die nächste Bundestagswahl ist in dreieinhalb Jahren.

Wir werden das Thema in die Betriebe tragen, da sind die Unternehmer am sensibelsten. Und wir werden immer wieder Alternativen aufzeigen, damit Arbeitnehmer, Arbeitslose und Rentner nicht die Zeche zahlen und die Kosten der Krise tragen. Nach Angaben der Bundesbank hat die Verschuldung in den vergangenen zweieinhalb Jahren um 180 Milliarden Euro zugelegt, davon entfallen 98 Milliarden Euro auf die Banken. Und dafür sollen jetzt die Bürger zahlen?

Wollen Sie mit politischen Streiks die Betriebe lahmlegen?

Wir werden Maßnahmen vor Ort diskutieren, um das Bewusstsein in der Gesellschaft insgesamt zu verändern. Jedenfalls beschäftigen Themen wie Rente mit 67, Kopfpauschale oder die Finanznot der Städte die Menschen ganz intensiv.

Wie sauer sind die Leute auf die Banken?

In dem Zusammenhang wird vieles mit Verbitterung registriert: Es gibt so gut wie keine Regulierung, im Casino ist wieder Hochbetrieb; Bankenaufsicht, Bankenabgabe und Finanztransaktionssteuer sind mehr als anderthalb Jahre nach der Lehman-Pleite nicht in Sicht. Das ist beschämend und forciert den Verdruss über die Politik. Auch deshalb sinkt ja zunehmend die Wahlbeteiligung. Selbst eine konservativ-liberale Regierung wie die deutsche sollte das registrieren und den Mut zu einem Politikwechsel haben.

Gibt es in den Betrieben eine Stimmung gegen Schwarz-Gelb?

Wir haben eine taumelnde Regierung, die die Weichen falsch stellt, die durcheinander ist und im Streit liegt bei wichtigen Fragen. Wenn es nicht gerechter zugeht als bislang, verliert die Regierung zweifellos noch stärker ihre Legitimationsgrundlage.

Das Gespräch führte Alfons Frese.

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