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ludwig georg braun

© Kai-Uwe Heinrich

Interview: „Die Regierung muss zurück auf den Reformkurs“

DIHK-Präsident Ludwig Georg Braun zu einer Agenda 2020, dem robusten Mittelstand und der Möglichkeit von Vollbeschäftigung

Herr Braun, klopfen Sie sich in letzter Zeit häufiger selbst auf die Schulter?

Warum sollte ich? Das ist eigentlich nicht meine Art.

Ihr Unternehmen, der Medizintechnikhersteller B. Braun, kann über die Finanzkrise nur lächeln, die Kasse ist prall gefüllt.

Ja, mit einer Eigenkapitalquote von fast 40 Prozent sind wir in einer recht komfortablen Situation und nicht unbedingt auf einen Bankkredit angewiesen.

Gilt das auch für den Rest des deutschen Mittelstands?

Viele mittelständische Firmen haben die guten Gewinne der vergangenen Jahre genutzt, um ihre Finanzkraft zu stärken. Eine aktuelle DIHK-Umfrage zeigt, dass fast 70 Prozent der Unternehmen von gleichbleibenden Kreditkonditionen in den letzten zwölf Monaten berichten – trotz Finanzmarktkrise und Basel II. Derzeit sieht es also noch nicht danach aus, dass die strengeren Kriterien bei der Kreditvergabe zu Finanzierungsengpässen auf breiter Front geführt haben. Ob das so bleibt, können wir noch nicht abschätzen. Aber selbst eine Verknappung muss sich nicht in jedem Fall negativ auswirken.

Das sehen die Wirtschaftsforscher anders.

Es ist gut, wenn man als Unternehmer hin und wieder umdenkt. Wer expandieren will, kann ja auch mit der Belegschaft Mehrarbeit vereinbaren – also eine dritte Schicht einführen, statt eine neue Maschine zu kaufen.

Die Gewerkschaften monieren, dass immer mehr Firmen genau das tun – das Personal muss länger arbeiten, bekommt aber nicht mehr Geld.

Mit 35 Stunden Arbeit in der Woche sind wir nun mal nicht wettbewerbsfähig, nur mit 40 oder 42. Es sind derzeit immerhin knapp drei Milliarden Menschen auf dem Weltarbeitsmarkt verfügbar. Da müssen die Deutschen reagieren, wenn die Arbeitsplätze im Land bleiben sollen.

Finden Sie es in Ordnung, mitten im Aufschwung von Lohnsenkungen zu sprechen?

Das tue ich ja gar nicht. Aber es gibt einen offenen Weltmarkt, das dürfen die Gewerkschaften nicht ignorieren. Wir müssen uns darauf einstellen, einen größeren Teil unserer täglichen Zeit für Arbeit einzusetzen. Mit mehr als 2000 verschiedenen Modellen unentgeltlicher Mehrarbeit macht die Wirtschaft das ja schon vor, auch wir bei B. Braun haben eine solche Vereinbarung. Am Ende des Jahres gibt es eine Gewinnbeteiligung, wenn die Lage es zulässt. Das ist oft wertvoller als eine reguläre Tariferhöhung.

Warum geben Sie nicht einigen der noch immer 3,5 Millionen Arbeitslosen eine Chance, statt länger arbeiten zu lassen?

Das passiert ja, aber leider passt nicht jeder Arbeitslose auf jede Stelle. Vor allem Langzeitarbeitslose lassen sich vielfach nicht so einfach wieder in das Berufsleben integrieren. Wir spüren trotz hoher Arbeitslosigkeit schon seit geraumer Zeit einen Fachkräftemangel. Vor allem in den technischen und den naturwissenschaftlichen Berufen wird es mit jedem Aufschwungmonat schwieriger, gute Leute zu finden.

Was tun Sie dagegen?

Wir wissen, dass wir in die eigene Ausbildung, also ins duale System, investieren müssen. Die Zahl der abgeschlossenen Ausbildungsverträge ist in den vergangenen Jahren deutlich gestiegen. Erste IHK-Zahlen aus 2008 deuten darauf hin, dass wir das Rekordjahr 2007 sogar noch übertreffen werden. Erstmals machen sich jedoch sinkende Schülerzahlen deutlich bemerkbar. Ich gehe deshalb davon aus, dass wir am Jahresende viele Lehrstellen nicht besetzen können.

Bekommen nun die hunderttausenden Altbewerber eine Chance, die in den vergangenen Jahren leer ausgegangen sind?

Viele dieser Altbewerber haben sich auf Wunschberufe festgelegt, von denen sie nicht lassen wollen. Dafür warten sie dann lieber ein oder zwei Jahre. Von den Schulabgängern hat ansonsten im Ausbildungsjahr 2007 jeder ein Angebot bekommen – entweder eine Lehrstelle oder eine betriebliche Einstiegsqualifizierung. Das wird auch in diesem Jahr der Fall sein.

Wie lange hält der Aufschwung noch?

Die ersten drei Monate dieses Jahres sind überraschend gut gelaufen. Wir gehen davon aus, dass die Wirtschaft in diesem Zeitraum um mehr als einen halben Prozentpunkt gewachsen ist und damit besser, als viele geglaubt haben.

Wie kommt das?

Der Winter war recht mild, das hat vielen Baufirmen geholfen. Auch der Export steht allen Unkenrufen zum Trotz weiterhin gut da – das liegt daran, dass wir in erster Linie Ausrüstungsgüter ins Ausland verkaufen, nicht Konsumprodukte. Allein bei der Nachfrage aus den USA gibt es Abschwächungstendenzen.

Wann werden wir das zu spüren bekommen?

Wenn die aktuellen Verträge auslaufen, wird auch bei uns weniger Nachschub bestellt. Konjunkturell wird sich das ab dem zweiten, eher ab dem dritten Quartal zeigen. Bis dahin kriegen wir noch gute Zahlen. Wir rechnen für das Gesamtjahr weiterhin mit zwei Prozent Wachstum, das bestätigen unsere jüngsten Umfragen.

Die Regierung redet von baldiger Vollbeschäftigung. Sie auch?

Nein, das ist derzeit nicht realistisch. Angesichts der wachstumsfeindlichen Wirtschaftspolitik sehe ich nicht, dass die Regierung dieses Ziel im Auge hat – obwohl es mit Blick auf die gute Konjunktur durchaus im Bereich des Möglichen läge.

Präsident Horst Köhler hat eine Agenda 2020 angeregt. Gehen seine Vorschläge in die richtige Richtung?

Die Bundesregierung muss in der Tat dringend mit einer Agenda 2020 auf den Reformkurs zurückkehren. Der Dreiklang des Bundespräsidenten ist hier goldrichtig: Mehr Investitionen, mehr Bildung, mehr betriebliche Bündnisse. Das alles verbunden mit der Maxime „Sozial ist, was Arbeit schafft“ bringt uns weiter – gerade auch am Arbeitsmarkt. Und es ist in vielerlei Hinsicht das Gegenteil von dem, was wir zurzeit mit Debatten um Mindestlohn, Rententricks und anderen wahltaktischen Maßnahmen erleben.

Was hat Angela Merkel falsch gemacht?

Wenn die Regierung ihr Mandat stärker beherzigt hätte, dann könnten wir jetzt eindeutig besser dastehen. Wir haben zum Beispiel unsere sozialen Sicherungssysteme noch immer nicht demografiefest gemacht. Wir haben den Haushalt nicht ehrgeizig genug konsolidiert. Und wir haben vor allem in der Mittelschicht weiterhin eine zu hohe Steuerbelastung, nicht zuletzt durch die kalte Steuerprogression. Sie hat die Lohnsteigerungen aufgefressen, so dass es zusammen mit der Mehrwertsteuererhöhung für viele netto ein Minus gab. Wenn wir dies nicht bald korrigieren, werden immer mehr Menschen sagen, es lohnt sich nicht mehr zu arbeiten. Wir brauchen darum dringend eine Entlastung für untere und mittlere Einkommen.

Das Gespräch führten Carsten Brönstrup und Yasmin El-Sharif.

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