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S. D. Shibulal war einer der sieben Gründer des Infosys-Konzerns.

© Infosys

Interview: „Europa ist sehr, sehr interessant“

S. D. Shibulal, Chef des indischen Infosys-Konzerns, über weltweite Marktchancen – und die Gewalt gegen Frauen in seiner Heimat.

Herr Shibulal, Sie sind der Chef eines global tätigen Konzerns aus Indien. Wie sehen Sie die Euro-Krise?

Die Krise in Europa ist eine Staatsschuldenkrise. Wenn wir auf unser Geschäft in Europa blicken, sehen wir trotzdem noch Gelegenheiten. Erstens ist Europa ein sehr großer Markt, aber unser Marktanteil ist gering. Kontinentaleuropa macht zehn Prozent unseres gesamten Umsatzes aus, zusammen mit Großbritannien sind es 24 Prozent. Unsere Kunden sind die Fortune 2000, also die 2000 größten Unternehmen der Welt. Deswegen müssen wir uns in Europa stärker engagieren, und das tun wir auch.

Wo liegen denn die Probleme?

Die Herausforderungen in Europa sind anders als in anderen Teilen der Welt. Europa ist kein homogenes Gebilde. Die verschiedenen Sprachen spielen eine extrem starke Rolle. Unser Ziel ist, die nächste Generation der IT-Beratung anzubieten. Auf der einen Seite haben wir die hochwertige Beratung von Firmen, die rund 32 Prozent unseres Umsatzes ausmacht. Wenn man das in Europa machen will, kann man nicht einfach nach Frankreich und Deutschland gehen und das Geschäft der Kunden auf Englisch verändern wollen. Man muss die örtliche Sprache sprechen, man muss ein Verständnis der örtlichen Geschäftsmodelle und Kulturen haben. Wir haben uns auf einige Länder konzentriert, nämlich Belgien, die Niederlande, die Schweiz, Deutschland und Frankreich.

Wie läuft es in Deutschland?

Deutschland kommt gut voran, dort liegt das Wachstum deutlich über dem Konzerndurchschnitt. Wir haben gerade das Beratungsunternehmen Lodestone gekauft, und das gibt uns eine sehr gute strategische Position in Deutschland und der Schweiz, aber auch in Frankreich und Großbritannien. Wir wollen lokaler werden in diesen Märkten.

Sie haben von einer Staatsschuldenkrise gesprochen. Wie gefährlich ist die?

Es wird eher besser als schlechter. Es wurde ein Rettungsfonds gegründet, und die EZB hat gesagt, dass alles getan wird, was nötig ist. Die Sorge, dass der Euro auseinanderbrechen könnte, liegt hinter uns.

Wenn Sie auf den gesamten Globus blicken, ist Europa dann ein guter Ort, um zu investieren und Wachstum zu erzielen, oder gibt es erstrebenswertere Märkte?

Wir müssen das im Zusammenhang unseres Geschäfts betrachten. Wenn man alles einbezieht, ist Europa sehr, sehr interessant. Der Markt ist groß. Aber selbst wenn ich keine deutschen oder französischen Kunden haben wollte, müsste ich trotzdem in Deutschland und Frankreich investieren, denn meine weltweiten Kunden sind hier vertreten. Deswegen liegt es auf der Hand, dass wir in Europa stark sein müssen. Wir wollen unseren Kunden weltweit Mehrwert bieten, also müssen wir in allen Teilen der Welt vertreten sein.

Wie widerstandsfähig ist die Weltwirtschaft heute?

Die Welt ist sehr komplex geworden. Wann immer Probleme nicht gelöst werden, zeigt das einen Mangel an Führungskraft. Das ist auch gerade wieder so in den USA bei der Frage der fiskalen Klippe. Aber meine Sicht ist einfach: Ich bin ein ewiger Optimist. Die weltwirtschaftliche Erholung fällt langsam aus, aber sie kommt.

Kein Wachstum, billiges Geld – ist das die neue Normalität?

Da ist etwas dran. Viele Unternehmen werden mit Geld überschwemmt. Aber sie werden nicht mit Vertrauen überschwemmt. Unsicherheit führt zu weniger Vertrauen, das führt zu geringeren Investitionen. Da komme ich wieder zur Frage der Führung: Wir müssen Vertrauen schaffen. Das geht aber nur, wenn man Entscheidungen trifft.

Die großen Unternehmen der IT-Branche stammen aus Asien und den USA. Hat Europa den Anschluss verloren?

In den USA wird auch am meisten für Technologie ausgegeben. Es liegt nahe, dass dort die größten Unternehmen entstehen. Technologie wird dort für die Innovation des Geschäfts genutzt. Bei den Fachkräften ist Indien weltweit vorn. Indien produziert knapp eine Million Ingenieure pro Jahr, die überwiegend Englisch sprechen. Direkt danach kommt China. Es ist eine nahe liegende Entscheidung von Technologieunternehmen, sich in den USA, Indien oder China anzusiedeln.

"Wir haben es geschafft, aber es hat 32 Jahre gedauert."

In den 32 Jahren seit der Gründung von Infosys haben sich das Unternehmen und auch S. D. Shibulal gewaltig verändert: In den frühen Tagen trug er noch Pullover und Vollbart.
In den 32 Jahren seit der Gründung von Infosys haben sich das Unternehmen und auch S. D. Shibulal gewaltig verändert: In den frühen Tagen trug er noch Pullover und Vollbart.

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Sie haben mit sechs Kompagnons und 250 US-Dollar Infosys gegründet, heute ist es ein Milliardenkonzern. Gibt es den einen entscheidenden Faktor für diesen Erfolg?

Es gab zwei Faktoren, denke ich. Erstens war uns klar, dass es ein Marathon wird, kein Sprint. Wir haben es geschafft, aber es hat 32 Jahre gedauert. Wir hatten nie einen Exit-Plan. Das ist bei Gründern nicht immer so. Wir haben uns für eine langfristige Herangehensweise entschieden. Wir wollten, dass unser Geschäft nachhaltig, profitabel und planbar ist. Wir hatten Zeit.

Und zweitens?

Zweitens haben wir, als wir 1981 in Indien anfingen, futuristisch gedacht. Wir haben gewettet, dass die damals aufkommenden PCs ein treibender Faktor für Geschäftsmodelle werden. Und wir sind von einer Globalisierung ausgegangen. Alles zusammengenommen hat es funktioniert.

Wie kam es, dass Sie in Indien auf diese Idee kamen? Wie verlief Ihr Leben vorher?

Ich komme aus dem Staat Kerala, der den Spitznamen „God’s Own Country“ hat. Dort herrscht die höchste Alphabetisierungsrate der Welt und die niedrigste Kindersterblichkeit. Frauen haben sehr gute Ausbildungen und sehr gute Jobs. Es ist ein fortschrittlicher Staat, der die erste demokratisch gewählte kommunistische Regierung der Welt hatte. Ich bin in einer kleinen Stadt aufgewachsen, zur Schule gegangen, dann aufs College. Ich habe Physik und Elektronik studiert und später Informatik in Boston.

Aus was für einer Familie stammen Sie?

Mein Vater war Arzt, meine Mutter beim Finanzamt. Beide waren staatliche Angestellte und gut ausgebildet, ich war ihr einziges Kind. Ich habe wirklich Glück gehabt, wir hatten ein gutes Leben. In den 60er Jahren kurz nach der Unabhängigkeit waren zwei Einkommen in der Familie etwas Besonderes. Frauen haben damals selten gearbeitet.

Wann haben Sie selbst das erste Mal Geld verdient?

Nach dem Studium habe ich mir in Bombay einen Job gesucht. Aber in den ersten Jahren war das nicht gut bezahlt. Nebenjobs als Schüler oder Student habe ich nie gehabt. Bei uns ist es so: Wenn ein Kind Zeitungen austrägt, nimmt es einem Erwachsenen einen Job weg, der damit seinen Lebensunterhalt verdienen muss.

Wenn wir derzeit etwas aus Indien erfahren, dann hat es oft mit den Gruppenvergewaltigungen zu tun. Sie haben über Frauen und Männer gesprochen. Wie erklären Sie sich diese Ereignisse?

Es handelt sich um besonders unglückliche, unentschuldbare Geschehnisse. Es kann dafür kein bisschen Toleranz geben. Das möchte ich sehr deutlich sagen. Aber es ist auch die Macht der neuen Welt, die wir hier sehen. Wenn so etwas vor dreißig oder auch nur zehn Jahren passiert ist, haben Sie und ich davon nichts erfahren. Es ist nicht nur eine technologische Evolution, das Bewusstsein der Menschen hat sich verändert. Indien ist die größte Demokratie der Welt, es herrscht totale Meinungs-, Demonstrations- und Informationsfreiheit. Ich bin sehr zuversichtlich, dass sich die Lage bessert. So war es auch mit den Korruptionsskandalen. Die Transparenz und die Überprüfung solcher Geschehnisse haben deutlich zugenommen. Fortschritt ist die einzige Lösung, es kann nur besser werden.

Schaden diese Fälle der Wirtschaft?

Ja, natürlich. Die Wirtschaft ist ein Teil der Gesellschaft. Kunden reflektieren, was in den Ländern vor sich geht, in die sie investieren.

Das Interview führte Moritz Döbler.

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