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Interview: "Menschliche Gier und die Fehleinschätzung von Risiken"

Bernd Sprenger, Chefarzt der Oderberg-Klinik Berlin-Brandenburg für Psychiatrie, über Ursachen der Finanzkrise.

Beschert Ihnen die aktuelle Banken- und Finanzkrise neue Patienten?

Das lässt sich bisher noch nicht sagen. Ich könnte es mir aber gut vorstellen.

Warum?

Menschen, die im Finanzgewerbe arbeiten, stehen unter extremem Druck, sie leben oft – auch wenn’s gut läuft – sehr ungesund. Das verschärft sich natürlich in solchen Situationen, wie wir sie jetzt haben. Und wer richtig Geld verloren hat, stellt sich womöglich die Frage der Altersabsicherung. Oder die eines Kredits. Das macht Sorgen. Nun sind Sorgen etwas völlig Normales. Viele haben ja die irrige Vorstellung, dass es gesund, befriedigend und glückhaft sei, keine Schwierigkeiten zu haben. Was wirklich Glücksgefühle verschafft, ist die Fähigkeit, Schwierigkeiten zu bewältigen.

Das setzt voraus, dass die Schwierigkeiten nicht allzu groß werden. Wenn einer aber sämtliche Ersparnisse verloren hat…

Krank wird man, wenn das Maß der Schwierigkeiten die Möglichkeiten meines Umgangs damit übersteigt. Das gilt für somatische Erkrankungen ebenso wie für psychische und psychosomatische.

Hat denn die Fähigkeit, mit Schwierigkeiten umzugehen, nachgelassen?

Je größer Wohlstand und Absicherung, desto höher der Anspruch, es möge bitte noch sicherer sein. Simples Beispiel: Wenn sie üblicherweise in Pensionen übernachten, sind Sie es gewohnt, dass mal eine Lampe oder ein Wasserhahn nicht funktioniert. Wenn sie regelmäßig im Fünf-Sterne-Hotel logieren, finden Sie das ungeheuerlich. Vermutlich lässt die Fähigkeit zum Umgang mit Schwierigkeiten in dem Maß nach, in dem wir nicht mehr geübt sind, sie zu bewältigen.

Warum sind Beschäftigte im Finanzgewerbe besonders gefährdet?

Das hat viel mit dem Tempo zu tun. Wir haben im Finanzgewerbe inzwischen eine „Real-Time-Wirtschaft“. Wenn etwas in Tokio geschieht, spielt es zeitgleich für Berlin eine Rolle. Die Betroffenen müssen also ihre kognitiven und emotionalen Apparate enorm beschleunigen. Das Interessante ist ja, dass das Problem in jeder Generation auftritt. Als die erste Eisenbahn von Nürnberg nach Fürth fuhr, lasen sich die Zeitungsberichte so, wie wenn heute über den Transrapid geschrieben wird. Das neue Tempo war eine Überforderung, das ist heute ganz genauso. Es macht Stress. Hinzu kommt: Wenn ich als ultimativen Wert im Leben nur das Geldverdienen habe, sind die Chancen, auf Dauer glücklich zu werden, nicht sehr hoch.

Sind die Banker ein Opfer der Krise oder ist sie zu einem Gutteil bereits auf ihre Überforderung zurückzuführen?

Ich glaube schon, dass Überforderung eine Rolle spielt. Hinzu kommen aber weitere Faktoren: menschliche Gier, die Fehleinschätzung von Risiken, die Verantwortungsdiffusion. Es gibt ja keine nationalen Gesetze mehr, die dem System Grenzen auferlegen. Wenn es dem Kapital zu eng wird, schwirrt es woanders hin. Das alles bildet Prozesse, die irgendwann außer Kontrolle geraten.

Die Finanzmärkte erscheinen immer weniger steuer- und kontrollierbar. Was bedeutet das für diejenigen, die sich darin beruflich bewegen und bewähren müssen?

Das Problem gibt es auch in anderen Branchen. Aber Sie haben Recht: Wann immer sie mit dem Faktum der Nichtkontrollierbarkeit umgehen müssen, brauchen Sie andere psychische Fähigkeiten, als wenn alles gut kontrolliert zugeht.

Welche denn?

Sie müssen eine innere Haltung entwickeln, die auch die Nichtkontrollierbarkeit akzeptiert. Wenn ich spüre, dass ich etwas nicht kontrollieren kann und dennoch versuche, die Kontrolle zurückzuerlangen, gerate ich in eine Dauerspannung. Dagegen hilft nur die Einsicht, dass das Leben selber nicht kontrollierbar ist und auch das Glück nicht steuerbar.

Banker hantieren mit riesigen Geldmengen, die ihnen privat nie zur Verfügung stünden. Macht nicht das schon krank?

Ich glaube nicht. Alle, die ich aus dieser Branche kenne, haben dazu ein abgekoppeltes Verhältnis. Sie haben nicht mehr im Bewusstsein, was da für Werte dahinterstehen.

Ist diese Abkopplung nicht problematisch?

Nicht per se. Wir müssen dazu in der Lage sein. Wenn ich als Arzt zu einem schweren Unfall fahre, muss ich meine Gefühle auch ein Stück weit abspalten, um funktionieren zu können. Sonst bin ich nicht mehr in der Lage, zu helfen.

Psychische Krankheiten sind immer stärker im Vormarsch. Was können Arbeitnehmer und Firmen dagegen tun?

Das erste ist, dass die Betroffenen das Faktum an sich wahrnehmen: Psychische Faktoren sind relevant – und weit relevanter als zu Großvaters Zeiten. Das hängt damit zusammen, dass das Berufsleben heute kaum noch mit Produktion, sondern vor allem mit geistiger Arbeit zu tun hat. Wenn man das verstanden hat, betreibt man Gesundheitsvorsorge anders. Da geht es dann nicht nur um Bewegung und gesunde Ernährung, sondern auch um die Frage, wie man psychische Grundbedürfnisse befriedigen und eine Teamkultur entwickeln kann, in der man auf Dauer leistungsfähig bleibt. Ich habe den Eindruck, dass sich diese Einsicht in der Wirtschaft langsam verbreitet.

Die Fragen stellte Rainer Woratschka.

Bernd Sprenger ist Chefarzt der Oberberg-Klinik Berlin-Brandenburg für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik. Ein Schwerpunkt ist die Heilung von Burnout-Erkrankungen.

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