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Ärgert sich über Männerdominanz: Dieter Hundt, seit mehr als 16 Jahren Arbeitgeberpräsident.

© dpa

Interview mit Arbeitgeberpräsident Hundt: „Mädchen spielen eben lieber mit Puppen“

Warum arbeiten in den Top-Jobs der deutschen Industrie so wenige Frauen? Schuld daran sei nicht die Männerdominanz, sondern das Desinteresse potenzieller Bewerberinnen, meint Arbeitgeberpräsident Dieter Hundt. Einen Grund sieht er in der Erziehung von Mädchen.

Herr Hundt, wann gibt es die erste Arbeitgeberpräsidentin in Deutschland?

Das kann ich nicht beantworten. Aber ich beklage auch die große Männerdominanz in den Verbänden der Industrie.

Sie selbst haben an der BDA-Spitze sieben Vizepräsidenten und nur eine Vizepräsidentin.

Das hat Gründe, und die liegen nicht in einer abwehrenden Haltung der Männer. Wir haben unverändert das Problem, dass sich Frauen zu wenig für gewerblich-technische Berufe interessieren. Trotz aller Bemühungen: Wir kriegen kaum Auszubildende als Industriemechanikerin, Mechatronikerin oder Elektromechanikerin. Das Interesse ist verschwindend. In den Ingenieursstudiengängen haben wir zwar eine leichte Zunahme von Frauen, kommen aber über einen Anteil von 15 bis 20 Prozent nicht hinaus.

Und deshalb gibt es keine Frau an der Verbandsspitze?

Wenn ich den Unterbau in der Industrie nicht habe, dann gibt es auch keine Breite in der Entwicklung nach oben. In der BDA haben wir eine Vizepräsidentin und sieben weitere Damen im BDA-Präsidium. Zu Beginn meiner Präsidentschaft gab es keine einzige Frau in dem Gremium. Die Verhältnisse ändern sich also.

Warum interessieren sich so wenige Frauen für technische Berufe?

Ich weiß es nicht. Womöglich ist die Erziehung ein Grund, Mädchen spielen eben lieber mit Puppen als mit Werkzeugbaukästen. Dabei gibt es tolle berufliche Möglichkeiten im Fahrzeug- und Maschinenbau oder in der Chemieindustrie.

Welche Rolle spielen die Rahmenbedingungen: Flexible Arbeitszeit, Vereinbarkeit von Familie und Beruf, Kinderbetreuung, Aufstiegsmöglichkeiten trotz Teilzeit?

Es gibt fast kein Unternehmen, das nicht flexible Arbeitsformen anbietet. Wo es noch immer deutlich mangelt, sind die Betreuungsmöglichkeiten, also Kitas und Ganztagsschulen.

Halten Sie deshalb das Betreuungsgeld der schwarz-gelben Regierung für „absurd“?

Das Betreuungsgeld ist in mehrfacher Hinsicht falsch: beschäftigungs-, bildungs- und finanzpolitisch.

Die Abschaffung der Praxisgebühr, die Energiewende und das Nichtstun beim Thema Tarifeinheit ärgert sie ebenfalls. Wie enttäuscht sind Sie über die Koalition?

Die Regierung hat vieles nicht erreicht, was sie sich vorgenommen hatte. Vor zehn Jahren haben wir mit der Agenda 2010 entscheidende Arbeitsmarkt- und Sozialreformen vorangetrieben und vor knapp fünf Jahren die Finanz- und Wirtschaftskrise durch die Zusammenarbeit der Sozialpartner mit der damaligen Regierung hervorragend bewältigt. In dieser Legislaturperiode ist die Euro-Staatsschuldenkrise das wichtigste Thema.

Sie sind froh, wenn es im Herbst mit Schwarz-Gelb vorbei ist?

Nein, aber ich werde nicht nachgeben, um zum Beispiel den Mindestlohn oder zusätzliche Ausgaben in der Rentenversicherung zu verhindern.

Und die Energiewende wollen Sie stoppen.

Ich gehöre nicht zu den Sturköpfen, die an der Kernenergie hängen. Doch der Beschluss des Ausstiegs war überstürzt, nicht durchdacht und nicht europäisch abgestimmt. Alles in allem sehe ich im Moment für unsere Wirtschaft zwei große Risiken. Das ist unverändert die Situation im Euro-Raum. Frau Merkel fährt hier aber einen hervorragenden Kurs und ist verantwortlich dafür, dass wir uns in die richtige Richtung entwickeln. Die Krise ist nicht überwunden, aber wir stehen heute besser da als vor einem Jahr, selbst in Griechenland. Unsicherheitsfaktoren sind die politische Situation in Frankreich und die Neuwahlen in Italien.

"Das Erneuerbare Energien Gesetz muss schnellstens verändert werden."

Und das zweite große Risiko?

Ist die Energiepolitik. Wir stehen unter Zugzwang, weil die letzten Atomkraftwerke 2022 abgeschaltet werden, und ich habe beträchtliche Zweifel, ob das möglich sein wird. Ohne Versorgungssicherheit und international wettbewerbsfähige Preise wird unsere Wirtschaftsentwicklung gefährdet.

Die Industrie wird doch weitgehend vor den Kosten der Energiewende geschützt.

Das ist nicht richtig. Mein Unternehmen betreibt ein Werk in Frankreich und zahlt dort etwa die Hälfte des Strompreises, der in Baden-Württemberg fällig ist. Stahl-, Aluminium- und Kupferindustrie können wir hier nicht halten, wenn der Strom noch teurer wird. Wenn Wertschöpfungsketten erst einmal unterbrochen sind, dann ist das schlecht für die ganze Industrie.

Haben wir die erneuerbaren Energien mit feststehender Vergütung und Einspeisevorrang zu schnell ausgebaut?

Ja, darunter leiden wir heute. Das Erneuerbare Energien Gesetz muss schnellstens verändert werden. Wir müssen den Terminplan für das Abschalten der Kernkraftwerke überdenken, weil wir auf wichtigen Feldern der Energiewende nicht schnell genug vorankommen.

Zum Beispiel?

Ich habe beträchtliche Zweifel, ob wir 3000 oder 4000 Kilometer neue Hochspannungsleitungen bis 2020/2022 durch Deutschland ziehen können. Doch eine funktionierende Infrastruktur ist die Voraussetzung für die Energiewende und eine erfolgreiche Wirtschaft überhaupt.

Leidet die Infrastruktur, wenn Stuttgart 21 nun doch nicht gebaut wird?

Der ganze Umgang mit dem Projekt ist schädlich. Für Stuttgart, Baden-Württemberg und Deutschland insgesamt. Ich war vor Kurzem in Peking, und selbst da wissen die Menschen, was Stuttgart 21 ist. Das Ganze ist keine Referenz für Deutschland. Unsere Ingenieurskunst, die Fähigkeit, Großprojekte kosten- und termingerecht abzuwickeln, ist ins Gerede gekommen, das Image der deutschen Wirtschaft ist angekratzt.

Warum ist so viel schiefgelaufen?

Wir befassen uns seit 20 Jahren mit dem Projekt: Planungen, Umplanungen, Genehmigungen, Einsprüche, Änderungen, Widerstand und Unzulänglichkeiten in der Einbeziehung der Bevölkerung. Dann hatten wir die Volksabstimmung, mit dem erfreulichen Ergebnis, dass die Bevölkerung doch noch für Großprojekte zu gewinnen ist. Inzwischen ist der Bauablauf aber ebenfalls sehr unglücklich, gewaltige Kostensteigerungen werden gemeldet und Terminverzögerungen um einige Jahre – das alles ist für den Neubau nicht förderlich.

Hat die grün-rote Landesregierung das Projekt torpediert?

Nein. Zumindest der Ministerpräsident steht nach der Volksabstimmung zu dem Projekt. Ich gehe davon aus, dass für Winfried Kretschmann ein Ausstiegsszenario nicht in Betracht kommt.

Herr Hundt, Sie sind inzwischen länger Arbeitgeberpräsident als Helmut Kohl Kanzler war.

Ja, das hat mir Helmut Kohl nach meiner letzten Wahl bereits geschrieben. Der Vergleich ist allerdings unzutreffend. Zwischen einem Arbeitgeberpräsidenten und einem Bundeskanzler gibt es gravierende Unterschiede.

Ist es nicht bald genug?

Ich bin bis zum Ende des Jahres gewählt, und wie es dann weitergeht, werde ich rechtzeitig mitteilen.

Das Gespräch führte Alfons Frese.

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