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Viel Zeit für die Firma hat Martin Kannegiesser künftig. Ende der Woche wird er als Präsident von Gesamtmetall von Rainer Dulger ersetzt.

© Georg Moritz

Interview mit Martin Kannegiesser: „Ich habe Gewerkschaften immer respektiert“

Martin Kannegiesser über seine Zeit als Präsident von Gesamtmetall, die Erfolge der deutschen Industrie auf den Weltmärkten und die Zukunft des Euro.

Herr Kannegiesser, wie schwer fällt der Abschied?

Die Entscheidung war nicht leicht. Es war ja über die Jahre eine Doppelbelastung, und so manches Wochenende habe ich gedacht, es wäre eigentlich schön, wenn man sich mal nicht um das Unternehmen oder den Verband kümmern müsste. Nun komme ich in eine neue Phase, in der es nur noch die Firma gibt. Das ist natürlich auch eine Erleichterung.

Was wird Ihnen fehlen?

Ich bin politisch immer sehr interessiert und engagiert gewesen. Seit 40 Jahren bin ich aktiv in der CDU, war 20 Jahre in vorsitzenden Funktionen der Mittelstandsvereinigung, 20 Jahre Arbeitgebervorsitzender auf regionaler, dann sechs Jahre auf Landesebene und schließlich zwölf Jahre Gesamtmetall. Ich habe mich also immer neben dem Unternehmen engagiert. Das wird mir fehlen.

Haben Sie genug zu tun in der Firma?

Ganz bestimmt. Die nächsten Jahre werden für uns alle schwieriger, und da kann es nicht schaden, wenn der Unternehmer selbst ständig vor Ort ist und sich da einbringt, wo es Sinn macht.

Sie haben Tarifgeschichte geschrieben. Was sticht im Rückblick heraus?

Besonders wichtig ist die Weiterentwicklung des Tarifvertrags. Es gab vor zehn Jahren die starke Strömung, alles auf der betrieblichen Ebene regeln zu wollen. Daraus entstand die Forderung an die Politik, eine gesetzliche Öffnungsklausel zu schaffen. Ich war dagegen, und eine unserer Antworten lässt sich unter dem Stichwort „Pforzheim“ zusammenfassen.

In Pforzheim vereinbarten Sie 2004 mit der IG Metall erstmals einen Tarifvertrag, der den Betrieben klare Regeln für die Abweichung vom Tarifvertrag vorgab.

Wir haben damit eine gesetzliche Öffnungsklausel verhindert, die die Trennung zwischen Betriebs- und Tarifparteien aufgehoben hätte. Mit wiederum schwerwiegenden Folgen für die Betriebsräte, die eine wichtige Rolle spielen und unverzichtbar sind, die aber keine Tarifauseinandersetzung führen sollten. Sonst könnten sich in den Betrieben die Interessen auf verschiedene Berufsgruppen aufteilen – eine Katastrophe für eine Industrie, die auf Teamarbeit angewiesen ist.

Sie haben also einen gesetzlichen Eingriff verhindert – und das Korsett des Flächentarifs stabilisiert.

Ja, das war wichtig. Weil ein verbindlicher Rahmen bei der Gestaltung der Arbeitsbeziehungen gebraucht wird. Und in diesem Rahmen gibt es bestimmte betriebliche Anpassungsmöglichkeiten. Das Korsett schnürt nicht ein, sondern ist geschmeidig und lässt Luft.

Die Entwicklung der Arbeitskosten haben Sie bei Ihrem Rückblick nicht erwähnt, dabei sind die moderaten Tarifabschlüsse doch Ihr größter Erfolg.

Das wirtschaftliche Umfeld war immer entscheidend. Alles in allem konnten wir uns auf eine gemeinsame Linie mit der Gewerkschaft verständigen. Das gilt für die komplexe Tarifrechtsreform ERA. Und dann hat die Diskussion über die betriebliche Ebene und Bündnisse für Arbeit zu einer noch engeren Partnerschaft geführt. Der permanente Dialog mit der IG Metall über die Situation der Betriebe und das Umfeld hat geholfen. Auch deshalb hatten wir in der Analyse der wirtschaftlichen Situation in den vergangenen Jahren keinen großen Dissens. Entsprechend fielen die Tarifabschlüsse aus.

Die IG Metall ist sachkundiger und deshalb bescheidener geworden?

Die Produktivität ist der entscheidende Maßstab – das hat die IG Metall anerkannt. Die Partnerschaft ist gewachsen, wie sich dann auch beim Umgang mit der Altersteilzeit und unserer Altersvorsorge, der Metallrente, gezeigt hat.

Seit 2000 hat sich die Beschäftigtenzahl in der Metallindustrie von 3,5 auf 3,7 Millionen erhöht, die Exportquote stieg auf zwei Drittel. Ist diese Entwicklung auch ein Verdienst des Gesamtmetallpräsidenten?

Eher weniger. Wir haben uns, auch der kleinste Mittelständler, um die Weltmärkte gekümmert. Es ist weniger mühsam, wenn sie in Ostwestfalen bleiben können. Doch der Weg auf neue Märkte macht sich bezahlt. Ständige Innovationen und die Qualifikation der Mitarbeiter haben uns immer stärker werden lassen. Heute haben wir ein Produktportfolio, das in der Welt nachgefragt wird. Das war entscheidend für den Erfolg.

Wie gefährlich wird die Krise für Deutschland?

Und der Euro?

Der hat sicherlich nicht geschadet. Was aber jetzt belastet, ist die Verunsicherung um die Währung und deren Zukunft.

Sie haben kürzlich für einen Euro-Raum mit zwei Geschwindigkeiten plädiert und wollen dabei sogar die Franzosen ausklammern. Das wäre wohl das Ende des Euro.

Das ist schon etwas holzschnittartig zusammengefasst. Von Anfang an hatten wir das Problem einer Währungsunion mit sehr heterogenen Ländern. Wenn dieses Problem sich zu einem ständigen Nachteil entwickelt und das Vertrauen in den Euro schwindet, dann kann ein Punkt erreicht werden, an dem sich die homogeneren Länder neu orientieren. Denn wenn die realen Gegebenheiten immer weiter auseinanderklaffen, dann hat es irgendwann keinen Zweck mehr. Einzelne Länder sollten nicht das ganze System gefährden.

Ist das Ganze nicht gefährdet, wenn erst mal ein Stein rausgebrochen ist?

Das ist die Angst vor dem Dominoeffekt. Der währungs- und wirtschaftspolitische Effekt ist im Falle Griechenlands beherrschbar. Der politische Effekt ist schwieriger einzuschätzen. Es stehen sich ja Haltungen gegenüber: Die einen sagen, um jeden Preis halten, das schafft Vertrauen, auch an den Finanzmärkten. Und die anderen sagen, man muss konsequent bleiben; wenn Versprechungen nicht gehalten wurden, dann kann es keine weiteren Hilfen geben.

Was halten Sie von der jüngsten Entscheidung der EZB, Anleihen zu kaufen?

Die Entscheidung ist nachvollziehbar und kann kurzfristig vermutlich auch die Finanzierungsprobleme der Problemländer mildern. Dennoch bleibt das Unbehagen, unsere gesunde Wirtschaft immer stärker in den Sog einer finanziell unzureichenden Solidität zu bringen. Genau das Gegenteil war ein Versprechen der europäischen Verträge.

Die Krise erreicht langsam auch die deutsche Wirtschaft. Wie gefährlich wird es?

Wir wissen noch nicht, ob es nur eine Delle wird oder ob es der Beginn einer länger dauernden Schwächephase ist.

Wie sieht es in Ihrer Firma aus?

Der Auftragseingang ist zäher, 2012 wird deutlich schlechter als 2011.

Dann droht ja keine Langeweile. Wie bringen Sie künftig den Tag an den Abend?

Ich werde noch mehr bei unseren Betrieben und Auslandstöchtern sein, aber auch mehr draußen bei den Kunden. Wir haben noch einiges vor in der Welt. In Japan und Südamerika beispielsweise können wir noch zulegen. Unser Geschäft setzt ja einen gewissen Lebensstandard voraus, es muss Dienstleister geben für Hotels und Krankenhäuser, das sind unsere Kunden. Beispielsweise hat Brasilien jetzt so einen Entwicklungsstand erreicht, dass es für uns interessant wird.

Und was wünschen Sie Ihrem Nachfolger bei Gesamtmetall?

Gute Nerven und Geduld; die Fähigkeit, zu integrieren, die Standpunkte im eigenen Lager zusammenbringen. Schließlich eine gute Zusammenarbeit mit der IG Metall. Ohne Fairness geht es nicht.

War das eine Ursache für Ihren Erfolg, das Verständnis für den Gegner?

Ich habe mich immer darum bemüht, das sachliche Problem in den Mittelpunkt zu stellen und das Rankenwerk wegzulassen. Und ich habe Gewerkschaften und ihre Funktion immer respektiert.

Das Gespräch führte Alfons Frese.

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