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Siemens Löscher

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Interview Peter Löscher: "Siemens ist grün. Siemens wird noch grüner"

Siemens-Vorstandschef Peter Löscher über die Auswirkungen der Finanzkrise, die Branchen der Zukunft und das Elektroauto.

Herr Löscher, Sie haben einen großen Teil Ihrer Karriere in den USA verbracht. Was empfinden Sie bei den düsteren Meldungen der vergangenen Wochen?

Wir erleben in den USA die größte Krise seit vielen Dekaden. Aber eine der großen Stärken des Landes ist seine Pionierkraft. Probleme muss man lösen: Diese Mentalität führt jetzt zu wirtschaftspolitisch sinnvollen Schritten. Wie man auch an dem verabschiedeten Rettungspaket sieht, lösen die Amerikaner ihre Probleme pragmatisch. Ich habe daher volles Vertrauen, dass sich Amerika erneuern wird.

Wie sehr trifft die Finanzkrise die Realwirtschaft?

Wir waren die Ersten, die auf die aufziehenden Gewitterwolken hingewiesen haben. Wir haben unseren Konzern wetterfest gemacht, als die Sonne noch schien. Die Neuausrichtung auf drei Sektoren – Industrie, Energie, Healthcare – mit hohen Wachstumsraten erweist sich heute als großer Vorteil. Und Siemens verfolgt eine sehr solide, konservative Finanzpolitik. Das hilft uns jetzt ebenfalls. Wir haben signifikante Liquiditätspolster und haben uns frühzeitig günstige Kreditlinien gesichert. Die Finanzkrise hat bisher noch keine wesentlichen direkten negativen Einflüsse auf Siemens gehabt.

Ein Viertel Ihres Umsatzes erzielen Sie in den USA. Wie gefährdet ist das Geschäft?

Die USA bleiben für uns ein Wachstumsmarkt. In einigen Segmenten wird sich das Wachstum zwar abschwächen, etwa in baunahen Bereichen oder im kommunalen Wassergeschäft. Man darf aber nicht übersehen, dass weltweit 70 Prozent unseres Produktportfolios auf Infrastrukturmaßnahmen mit langfristigen Zyklen basieren. Bei der Erneuerung der Energieversorgung zum Beispiel erzielen wir hervorragende Wachstumsraten. Von kurzfristigen konjunkturellen Schwankungen sind wir daher insgesamt nicht so sehr betroffen.

Erwarten Sie in den USA eine Rezession?

Wir werden sicherlich eine Abschwächung des Wachstums in den USA sehen. Wenn für die Welt insgesamt ein Wachstum von drei Prozent in 2009 vorhergesagt wird, dann werden die USA wohl deutlich darunter liegen.

Und Deutschland?

Auch in Deutschland wird sich das Wachstum abschwächen. Jüngste Prognosen der Konjunkturexperten gehen für 2009 nur noch von einem Wachstum um die 0,5 Prozent aus. Aber wie gesagt, Siemens hat sich frühzeitig auf die Abschwächung eingestellt.

Wie sehr wird Siemens unter der Abschwächung leiden?

Ich bin mehr als zuversichtlich, dass wir erneut doppelt so stark wie die Weltwirtschaft wachsen. Das war und bleibt unser Ziel. Und dass Wachstum zu Arbeitsplätzen führt, sieht man in Deutschland. Hier werden wir im gesamten Jahr 2008 rund 5000 neue Arbeitsplätze schaffen, obwohl wir in der Verwaltung Arbeitsplätze abbauen. Wo sich das Geschäft dynamisch entwickelt, bauen wir auf. Wir sind in vielen Fabriken voll ausgelastet. Berlin ist dafür ein fantastisches Beispiel.

Inwiefern?

Wir produzieren allein in Berlin Produkte mit einem Umsatz von 2,7 Milliarden Euro. Davon gehen 90 Prozent in den Export. Durch die Kombination von Forschung, Entwicklung von Prototypen und Fertigung und der hervorragenden globalen Vernetzung entwickelt sich Siemens in Berlin sehr gut – besonders als Produktionsstandort. Siemens produziert hier zum Beispiel die effizienteste Gasturbine der Welt. Die Kreativität, die Innovationskraft der Mitarbeiter ist dafür entscheidend. In vielen unserer Mitarbeiter steckt ein Daniel Düsentrieb – ein Erfinder. Und für Ingenieurkunst und Innovationskraft steht „Made in Germany“ überall auf der Welt. Als unser weltweit größter Fertigungsstandort hat Berlin daran großen Anteil.

Sie haben für das neue Geschäftsjahr ein operatives Ergebnis von 8,0 bis 8,5 Milliarden Euro angekündigt. Wie sicher sind Sie angesichts der konjunkturellen Entwicklung, dass Sie daran festhalten können?

Unser Ausblick vom Juli auf das neue Geschäftsjahr, das bei uns bereits am 1. Oktober begonnen hat, gilt. Wir haben eine Abkühlung der Weltkonjunktur erwartet, vielleicht nicht ganz in der Dramatik, die sich jetzt abzeichnet. Aber wie gesagt, wir haben frühzeitig gehandelt und uns darauf eingestellt.

Die IG Metall fordert in der neuen Tarifrunde acht Prozent mehr Einkommen. Wie hoch darf der Abschluss sein, damit er bei Siemens keine Arbeitsplätze kostet?

Wir müssen um so viel besser sein, wie wir teurer sind. Tarifpartnerschaft und -autonomie sind große Stärken des Standorts Deutschland. Ich bin fest davon überzeugt, dass die Tarifparteien zu einem vernünftigen und tragfähigen Abschluss kommen werden. Es geht in der Diskussion grundsätzlich nicht nur um Lohnkosten, sondern auch um die notwendige ständige Erhöhung der Produktivität und die Verbesserung der Ausbildung. Von öffentlichen Drohungen halte ich nichts.

Ist angesichts der Finanzkrise die Börsennotierung an der Wall Street noch richtig?

Wir sind ja nicht nur da notiert, sondern auch in Frankfurt, London und Zürich. Es gibt bei uns keinerlei Überlegungen, daran etwas zu ändern. Derzeit beläuft sich unser Handelsvolumen in den USA auf rund sechs Prozent gemessen an allen Umsätzen, die mit unserer Aktie getätigt werden.

Der Aktienkurs von Siemens bewegt sich schon länger stetig nach unten, zugleich ist der Streubesitz hoch. Wie gefährdet sind Sie, was den Einstieg von Hedgefonds oder großen staatlichen Investoren angeht?

Wir sind ein grundsolides Unternehmen, das sich noch stärker im Wettbewerb aufstellen will und in starken Wachstumsfeldern unterwegs ist. Wir haben ein Portfolio, das viel konjunkturresistenter ist als das anderer Wettbewerber. Wir sind eines der globalsten Unternehmen der Welt, auch was unsere Aktionärsstruktur angeht.

Eines dieser Wachstumsfelder ist der Umwelt- und Klimaschutz, mit dem Sie schon in drei Jahren 25 Milliarden Euro Umsatz erzielen wollen. Wie weit sind Sie im laufenden Geschäftsjahr gekommen?

2007 waren es 17 Milliarden. Im gerade abgelaufenen Geschäftsjahr waren wir hervorragend unterwegs, aber Zahlen kann ich noch nicht nennen. Unser Zahlenwerk berichten wir im November.

Siemens wird grün?

Siemens ist grün. Siemens wird noch grüner.

Die Atomkraft sortieren Sie nicht unter dieser Überschrift ein.

Wir betreiben dieses Geschäft nicht allein, sondern in einem Gemeinschaftsunternehmen mit Areva in Frankreich. Daher zählen wir es nicht zu unserem Umweltportfolio. Aber gleichwohl ist es für uns von großer Bedeutung. In der Welt gibt es eine Renaissance der Kernkraft. Und Nuklearenergie gehört genauso wie fossile und erneuerbare Energien zum Energiemix der Zukunft.

Sollte Deutschland den Atomausstieg zurücknehmen?

Wir alle kennen die diesbezügliche Situation in Deutschland. Sie ist, wie sie ist. Die Renaissance der Kernkraft ist ein weltweites Thema, und wir sind ein globales Unternehmen.

Auf welche Technologie wird es beim Klimaschutz am stärksten ankommen?

Auf Energieeffizienz – zum einen bei der Erzeugung: Da sind wir weltweit führend. Zum anderen beim Verbrauch: 40 Prozent des weltweiten Energieverbrauchs findet in Gebäuden statt. Im Gebäudebestand liegt ein enormes Potenzial für die Steigerung der Energieeffizienz und da lässt sich sehr viel erreichen. Anderes Beispiel: Wenn man sich die Entwicklung bei Haushaltsgeräten oder Autos ansieht, gibt die deutsche Industrie auch da mit Innovationen für noch mehr Energieeffizienz hervorragende Antworten auf den Klimawandel.

Energieeffiziente Kühlschränke verkaufen sich schleppend. Sollte es eine Prämie geben?

Ganz generell kann man über geeignete Impulse bei der Markteinführung entsprechender Technologien nachdenken. Aber das darf nicht zu einer Marktverzerrung auf Dauer führen.

Sie haben die Autobranche erwähnt, aus der Sie sich mit dem Verkauf von VDO an Continental zurückgezogen haben. Die großen Hersteller setzen zunehmend auf Elektroantriebe – was kann Siemens dazu beitragen?

Das ist eine Kernkompetenz unseres Konzerns.

Vor 100 Jahren vielleicht.

Damals wie heute. Das erste Elektroauto, den Protos, haben wir in der Tat bereits 1904 gebaut. Ein Modell steht hier in Berlin an unserem Sitz in Siemensstadt. Damals hat man allerdings das Thema der Energiespeicherung unterschätzt. Elektroantriebe sind aber eine Kernkompetenz von Siemens geblieben. Und unsere Forschung hat entscheidende Antworten für das Auto der Zukunft.

Geht es konkreter?

Haben Sie etwas Geduld. Nur so viel: Niemand sollte uns in diesem Bereich abschreiben oder unterschätzen.

Das Interview führte Moritz Döbler.

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