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Interview: "Risiken sind unser Rohstoff“

Münchener-Rück-Vorstand Ludger Arnoldussen über abstürzende Börsen und sich häufende Naturkatastrophen.

Die amerikanische Versicherung AIG hat vom Staat am Montag weitere 30 Milliarden Dollar bekommen, um dem Zusammenbruch zu entgehen. An der Börse stürzen Versicherungstitel reihenweise ab. Gerät die Finanzkrise außer Kontrolle?



Ich glaube, die Bankenkrise ist zwar durch die massiven Eingriffe der Regierungen derzeit einigermaßen unter Kontrolle, sie hat aber immer noch viel Dynamik, was man an der Börse sieht. Die Versicherer sind bisher bis auf wenige Ausnahmen kaum betroffen. Unser Geschäftsmodell ist stabiler. Die Banken haben Probleme, sich zu refinanzieren. Die Versicherer haben über die Versicherungsbeiträge einen regelmäßigen Geldzufluss. Wir haben keine Liquiditätsprobleme.

Die Versicherer haben eher Probleme, die liquiden Mittel vernünftig anzulegen.

Wir bei der Münchener Rück haben schon vorher eine sehr konservative Anlagepolitik betrieben. Wir haben bereits Anfang 2008 unsere Aktienquote weiter gesenkt. Sie liegt jetzt unter zwei Prozent. Das ist nichts, was einem schlaflose Nächte bereiten muss. Und auch in unserem Versicherungsgeschäft sind wir sehr vorsichtig. Wir reduzieren unser Geschäft in allen Branchen, die eine stärkere Verbindung zur Finanzkrise haben.

Wen versichern Sie nicht mehr?

Wir fahren derzeit unser Engagement im Bereich D & O etwas zurück, also die Haftpflichtversicherungen für Manager. Wenn die wirtschaftliche Lage schwieriger wird, ist die Wahrscheinlichkeit, dass Manager wegen tatsächlicher oder vermeintlicher Fehler verklagt werden, größer. Die Risiken steigen deutlich an. Wir zeichnen hier sehr vorsichtig und erhöhen die Beiträge. Zum Teil reduzieren wir hier auch unser Geschäft.

Aber gerade jetzt bräuchten die Unternehmen doch solche Policen besonders dringend.

Ja, aber in der jetzigen Situation müssten die Prämien für solche Risiken extrem steigen. Aber das tun sie nicht.

Welche Bereiche sind Ihnen sonst noch zu heiß?

Auch bei Berufshaftpflichtversicherungen sind wir sehr vorsichtig – etwa bei Wirtschaftsprüfern. Bei Kreditversicherungen bleiben wir zwar im Geschäft, aber wir treten auf die Bremse. Die Insolvenzrisiken steigen.

Wie passt es zu Ihrer Vorsicht, dass Sie Ihren Aktionären zugleich hohe Dividenden zahlen? Hätten Sie das Geld nicht besser für schlechte Zeiten zurücklegen sollen?


Wir hatten in der Vergangenheit überschüssiges Kapital und wir haben daher ein Aktienrückkaufprogramm gestartet. Wir hatten 2007 angekündigt, dass wir bis 2010 jedes Jahr eine Milliarde Euro an Dividenden zahlen wollen. Aber wir haben bei der Vorstellung unserer Geschäftszahlen vor ein paar Tagen auch betont, dass die Sicherung einer nachhaltig profitablen Entwicklung jetzt das Wichtigste ist. Und wir haben deutlich gemacht, dass wir bei Maßnahmen wie dem Aktienrückkauf den Nutzen sehr sorgfältig gegenüber den Vorteilen einer komfortablen Kapitalausstattung – auch mit Blick auf Möglichkeiten zum profitablen Wachstum – abwägen werden.

Versicherer hassen Gefahren, die man nicht abschätzen kann. Niemand weiß, wie sich die Wirtschaftskrise weiterentwickelt. Was heißt das für Ihr Geschäft?


Generell ist es so, dass wir vorsichtig sind, sowohl in unserem Versicherungsgeschäft als auch bei unseren Kapitalanlagen. Außerdem streuen wir breit. Wir sind als Versicherer weltweit tätig und decken viele unterschiedliche Risiken. Die Krise bringt uns auch Chancen. Gerade jetzt sind solide, verlässliche Rückversicherer gefragt – und zwar weltweit.

Sie sind auch für das Asiengeschäft zuständig. Wir hart sind die einstigen Boomregionen von der Krise getroffen?

Für Indien und China erwartet man immer noch ein deutliches Wachstum. Aber auch in Asien gibt es Länder, die in einer Rezession stecken, Singapur zum Beispiel oder Taiwan. Probleme haben vor allem Exportnationen und exportorientierte Branchen. In Korea steckt zum Beispiel die Werftindustrie in großen Schwierigkeiten. Das alles müssen wir berücksichtigen. Aber alles in allem sehen wir in Asien für unser Geschäft noch Wachstum.

Sind die asiatischen Länder stabiler als Deutschland?

Sie werden im Schnitt ein höheres Wachstum haben. Aber Indien und China brauchen das auch, weil sie immer mehr Menschen in bessere Lebensverhältnisse bringen wollen, um sozialen Spannungen vorzubeugen. Wenn in China das Wachstum von zehn auf sieben Prozent sinkt, verlieren viele Wanderarbeiter ihre Jobs, und auch der ländliche Raum bekommt Probleme. In den USA geht es darum, ob die Leute noch drei oder zwei Autos fahren, in Indien geht es darum, ob viele Menschen drei oder zwei Mahlzeiten haben.

Was ist für Sie schwerer zu handhaben – die Wirtschaftskrise oder die drohenden Naturkatatastrophen?

Wir glauben, dass wir die Schäden durch Naturkatastrophen modellmäßig besser in den Griff bekommen. Wie sich die jetzige Finanzkrise entwickelt, ob sie sich zu einer Depression auswächst wie 1929, kann man nicht abschätzen. Aber wir haben natürlich auch hier unterschiedliche Szenarien entwickelt. Bei den Naturgefahren verfügen wir aber über sehr viele und lange zurückreichende Informationen, wir betreiben seit Jahrzehnten intensive Forschung zum Klimawandel. In unseren Versicherungsmodellen haben wir berücksichtigt, dass die Zahl der Naturkatastrophen zunehmen wird. Wenn es mehr Naturkatastrophen gibt und die Versicherungsprämien entsprechend steigen, können wir das bewältigen. Risiken sind unser Rohstoff. Wenn es keine Risiken gäbe, bräuchte man auch keinen Versicherer.

Vom Klimawandel haben wir in Deutschland in diesem Winter nicht viel gespürt.

Man darf nicht nur auf dieses Jahr schauen. Wenn man die letzten zehn Jahre betrachtet, hatten wir signifikant viele warme Jahre. Deutschland wird wärmer.

Das Interview führte Heike Jahberg.

Ludger Arnoldussen (46) ist im Vorstand der Münchener Rück zuständig für Deutschland, Asien, Afrika und den Zentralbereich Services. Der gebürtige Duisburger ist promovierter Betriebswirt, verheiratet und hat vier Kinder. Die Münchener Rück ist der weltgrößte Rückversicherer. Bei solchen Unternehmen sichern sich Versicherungsgesellschaften gegen Großrisiken ab. Zum Konzern gehört auch die Versicherungsgruppe Ergo. 2008 hat die Gruppe 1,5 Milliarden Euro verdient (2007: 3,9 Milliarden Euro).

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