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Reinhold Weiß -

© BIBB/promo

Interview: „Wir hetzen zu sehr“

Reinhold Weiß, Vizepräsident und Forschungsdirektor des Bundesinstituts für Berufsbildung in Bonn, über die Trends in der Weiterbildung für 2012: E-Learning muss sich neu erfinden, Frauen holen auf.

Herr Weiß, ist Deutschland immer noch das Land der Weiterbildungsmuffel?

Das kann man so nicht sagen. Im internationalen Vergleich sind wir zwar nicht das Schlusslicht, wir liegen im Mittelfeld. Verglichen mit den Ländern in Nord- und Westeuropa sind wir abgehängt. Die Niederlande, Großbritannien und die skandinavischen Länder stehen zum Beispiel viel besser da. Die haben jeweils höhere Beteiligungswerte, was insbesondere die betriebliche Weiterbildung angeht, die rund 60 Prozent der gesamten Weiterbildung ausmacht. Das Problem ist aber, dass diese Erhebungen nur einen Teil des gesamten Weiterbildungsgeschehens abdecken.

Inwiefern?

Wir haben in Deutschland eine sehr gute Berufsausbildung, trennen aber Aus- und Weiterbildung voneinander. Im Ausland wird das nicht unterschieden – so ist die Statistik eigentlich verzerrt. Die europaweiten Zielvorgaben für die Beteiligung von Fortbildungen haben außerdem nicht nur wir, sondern auch andere Länder verfehlt.

Dann stehen wir eigentlich gar nicht so schlecht da?

Ich bin zufrieden. Wir haben ein gut ausgebautes System mit einem großen Netzwerk von Weiterbildungsanbietern: knapp 20 000 Anbieter bundesweit, insgesamt 500 000 Kurse. Das ist eine sehr gute Infrastruktur. Außerdem leisten die Betriebe, auch die kleinen, sehr viel. Neben den Seminaren ist berufliches Lernen eingebunden in betriebliche Aufgaben und Prozesse. Schließlich können wir auf einem soliden Fundament – der ersten Berufsausbildung – aufbauen. Das erklärt, warum deutsche Unternehmen auf den Weltmärkten so erfolgreich sind. Wie hätten sie das schaffen können, wenn es um Weiterbildung und lebenslanges Lernen so schlecht bestellt wäre?

Wo ist dann das Problem?

Die Menschen machen zu wenig längerfristige und abschlussbezogene Weiterbildungen. Wir wenden durchschnittlich etwa zwei bis drei Tage pro Jahr für Weiterbildungen auf. Das Gros der Weiterbildung entfällt auf die so genannte Anpassungsweiterbildung – also Kurse, die man macht, um im Beruf „up to date“ zu bleiben. Um einen anerkannten weiterführenden Abschluss zu machen, ist das zu wenig. Eine Weiterbildung zum Fachwirt etwa braucht mindestens 400 Unterrichtsstunden, beim Meister sind es um die 1000. Hinzu kommen die Zeiten für die Vor- und Nachbereitung – meist abends und am Wochenende.

Haben wir also zu wenig Zeit, um uns weiterzubilden?

Der Zeitfaktor ist heutzutage in der Tat ein Kernproblem! Wir hetzen von einem Termin zum anderen, dazu kommen familiäre Verpflichtungen. Wir haben ein knappes Zeitbudget, und davon etwas für die eigene Weiterbildung abzuzweigen, verlangt eine Prioritätensetzung. So etwas geht nur, wenn die Familie und der Betrieb einen unterstützen. Das Gleiche gilt für das Nachholen von Bildungsabschlüssen oder für ein berufsbegleitendes Studium. Vieles kann man neben der Arbeit machen, aber nicht alles. Um etwa ein Studium oder einen Kurs in Vollzeit aufzunehmen, müsste man unbezahlten Urlaub nehmen oder den Job aufgeben. Das ist für viele nicht attraktiv. In anderen Ländern ist das anders. Da ist die Unterstützung größer oder es werden Angebote gemacht, die eine Teilnahme neben dem Beruf ermöglichen.

Ist E-Learning die Lösung?

Die Wachstumsprognosen für diese Art von Weiterbildung lagen in der Vergangenheit meist grandios daneben! Die Menschen sind mit dieser Form des Lernens noch nicht vertraut. Beim E-Learning haben wir das Problem, dass es den natürlichen Lernablauf nicht immer unterstützt und meist „nur“ Wissen vermittelt wird. Menschen wollen sich aber auch mit anderen austauschen. Warum gehen denn zum Beispiel ältere Menschen an die Volkshochschulen oder Universitäten? Eben weil sie nicht nur Wissen „anhäufen“, sondern im Kontakt mit anderen Menschen lernen wollen. Insofern lautet die Aufgabe, Angebote zu entwickeln, die E-Learning und Präsenzphasen kombinieren.

Wie sehr sind Betriebe denn bereit, die Weiterbildung ihrer Mitarbeiter zu fördern?

Eine Weiterbildung, die notwendig und im betrieblichen Interesse ist, muss auch vom Betrieb getragen werden. Bei vielen Maßnahmen, vor allem den abschlussbezogenen, besteht aber ein hohes Interesse auch der Mitarbeiter selbst. Mitarbeitergespräche sind der Ort, um dies anzusprechen und Lösungen in beiderseitigem Interesse zu finden. Wenn eine Firma einen Mitarbeiter halten will, wird sie seinen Weiterbildungswunsch unterstützen. Aber viele sagen es ihrem Arbeitgeber gar nicht. Sie fürchten, dass es negativ aufgenommen wird. Denn der Wunsch nach einer Weiterbildung kann ja auch signalisieren, dass man mit seiner jetzigen Situation unzufrieden ist. Insofern: Die Unterstützung ist nicht selbstverständlich.

Was können wir von Ländern wie Großbritannien und Neuseeland lernen, die Spitzenreiter sind was Weiterbildungen an Hochschulen und Unis angeht?

Angebote für ein berufsbegleitendes Studium gehören dort zum Standard und sind ein wichtiges Instrument der Hochschulfinanzierung. Wir haben ganz andere Strukturen. Die Präsenzveranstaltungen sind bei uns viel ausgeprägter. Das Lernen in virtuellen Communities ist in den angloamerikanischen Ländern besser verankert und die Hochschulen sind am Weiterbildungsmarkt sehr viel aktiver.

Wird 2012 das Jahr der Weiterbildung?

Die Vorzeichen für 2012 sind gut. Wir haben positive Arbeitsmarktprognosen, und das ist entscheidend für die Entwicklung der beruflichenWeiterbildung. Vieles spricht für Kontinuität, ich glaube nicht an Einbrüche. Die demografische Entwicklung und der Mangel an Fachkräften werden dazu führen, dass die Unternehmen mehr investieren müssen. Dabei wird sich die Verhandlungssituation zugunsten der Arbeitnehmer verschieben. Weiterbildung ist ein Instrument, um Fachkräfte zu gewinnen und dauerhaft im Unternehmen zu halten.

Welche Themen werden 2012 wichtig?

Das werden im Wesentlichen die gleichen sein wie in den letzten Jahren. Das heißt: Führungskräftefortbildung wird weiter stark nachgefragt sein, ebenso Seminare zu gewerblich-technischen Themen, im IT-Bereich oder Verkauf.

Was halten Sie von der Coachingschwemme der letzten Jahre?

Ich habe da meine Zweifel. Coaching war zwar in den vergangenen Jahren ein stark expandierender Bereich. Es bot eine gute Alternative oder Ergänzung zu den Verhaltenstrainings. Auch das BIBB nutzt Coaching im Rahmen der Personal- und Teamentwicklung. Aber meine Prognose ist: Der Gipfel ist erreicht, wenn nicht gar schon überschritten, denn Coaching ist teuer. Das können sich viele Betriebe und erst recht Privatpersonen nicht leisten. Außerdem: Viele Trainer bieten jetzt Coaching an, wo man sich fragen muss, wie es mit der Qualität aussieht.

Was muss passieren, damit Frauen weniger benachteiligt werden bei der betrieblichen Weiterbildung?

Wenn Frauen seltener an Seminaren teilnehmen, hat das eher etwas mit den unterschiedlichen Berufen, in denen Frauen und Männer arbeiten, zu tun und der Stellung im Berufsleben als mit einer Benachteiligung. Frauen holen aber mächtig auf. Sie sind häufig gut, teilweise besser als männliche Kollegen ausgebildet. Und sie wollen nicht mehr zugunsten der Familie auf Beruf und Karriere verzichten.

Trotzdem investieren Firmen weniger in die Weiterbildung von Frauen – weil sie fürchten, es lohnt sich nicht. Frau wird ja irgendwann schwanger.

Ja, das relativiert sich aber inzwischen, die Zeiten ändern sich. Früher war es fast undenkbar, als Mann eine Auszeit zu nehmen, um sich um die Kinder zu kümmern. Heute machen das die jungen Väter. Umgekehrt verlieren die Frauen nicht mehr den Anschluss durch zu lange Babypausen. Und wenn Sie mich fragen: Die Frauen sind einfach gut! Die sind top qualifiziert. Wir müssen sie bei Stellenbesetzungen und der Personalentwicklung besser berücksichtigen. Meine Prognose: Frauen werden sich in Zukunft bei der Besetzung von Führungspositionen immer mehr durchsetzen.

Wo muss noch etwas getan werden, damit Weiterbildung populärer wird?

Weiterbildung ist populär. Bei einer Befragung von Erwachsenen antworteten die meisten, es sei eine wichtige und tolle Sache. Aber nach der eigenen Weiterbildung gefragt, war die häufigste Antwort: „jetzt passt es nicht, später mal“. Das muss man akzeptieren. Ich glaube nicht an die Wirkung von Imagekampagnen. Entscheidend ist: Das Bedürfnis muss da sein, weiter zu lernen. Daraus entsteht dann die Bereitschaft, Zeit und Geld zu investieren.

Zum Abschluss bitte ein Plädoyer für das lebenslange Lernen!

Berufliche Aufgaben und Anforderungen ändern sich ständig. Lebensziele werden angepasst oder neu gesteckt. Oder man will nach einer Familienpause oder einer Zeit der Arbeitslosigkeit zurück in den Beruf. Die Anlässe für Weiterbildung sind vielfältig. Lernen vollzieht sich aber nicht nur im Seminar. Die Menschen lernen, indem sie sich mit Kollegen austauschen, Messen besuchen, Fachzeitschriften lesen oder im Internet recherchieren. Dies wird zunächst einmal gar nicht mit Weiterbildung assoziiert, dennoch wird hier aber Wissen weitergegeben und neu generiert. Lebenslanges Lernen ist also viel mehr als ein Seminar zu besuchen. Das Entscheidende ist, am Ball zu bleiben.

Die Fragen stellte Saskia Weneit

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