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Wirtschaft: Investment: Lateinamerika zieht Deutsche nicht mehr an

Wozu nach Lateinamerika ziehen, wenn der Markt im Osten doch so groß und so nah ist? Diese Frage stellen sich immer mehr deutsche Unternehmer, wie die jüngsten Statistiken belegen: In diesem Jahr sind die Deutschen nach Angaben des Ibero-Amerika-Vereins in der Rangfolge ausländischer Investoren in Lateinamerika von Platz zwei auf Platz fünf abgerutscht - sie haben anderswo mehr investiert.

Wozu nach Lateinamerika ziehen, wenn der Markt im Osten doch so groß und so nah ist? Diese Frage stellen sich immer mehr deutsche Unternehmer, wie die jüngsten Statistiken belegen: In diesem Jahr sind die Deutschen nach Angaben des Ibero-Amerika-Vereins in der Rangfolge ausländischer Investoren in Lateinamerika von Platz zwei auf Platz fünf abgerutscht - sie haben anderswo mehr investiert. Dabei waren die Deutschen bis 1997 nach den USA zweitwichtigster Investor in Lateinamerika. Peter Rösler, stellvertretender Geschäftsführer des Ibero-Amerika-Vereins, findet das Besorgnis erregend. "So darf es nicht weitergehen", warnt er. "Wir verlieren in Lateinamerika an Boden." Viele deutsche Unternehmen unterschätzten diesen Markt inzwischen. Dabei biete er viel Potenzial.

In der Tat lebt in der Region heute eine halbe Milliarde Menschen. Sie erwirtschaften ein Bruttoinlandsprodukt, das das von China, Indien, Indonesien und Russland zusammengenommen deutlich übersteigt. Andere sind schon auf dem Vormarsch. In den vergangenen Jahren hat Lateinamerika einen richtigen Ansturm an Investoren erlebt, ausgelöst durch die Privatisierungswellen, die zahlreiche Industrien dieser Region erfassten. Viele Regierungen verkauften die staatlichen Minen und die Wasserwerke und eröffneten den freien Wettbewerb in der Telekommunikationsbranche. In Chile zum Beispiel, wo sich die spanische Endesa eingekauft hat, gibt es heute weitaus mehr Mobiltelefone als Festnetzanschlüsse. Bis Ende 1999 haben ausländische Unternehmer in die ganze lateinamerikanischen Region (ohne die karibischen Staaten) rund 600 Milliarden Mark für Fabriken auf der grünen Wiese oder Beteiligungen über zehn Prozent ausgegeben, also Direktinvestitionen getätigt.

Ganz vorne bei den ausländischen Investoren liegen die Vereinigten Staaten mit 43 Prozent - was schon aus geografischen Gründen einleuchtet. Auch aus der Geschichte Lateinamerikas heraus ist verständlich, dass sich von den Europäern die Spanier am meisten engagiert haben. So mancher Latino spricht deswegen schon besorgt von einer "Reconquista", einer erneuten Eroberung. Im Jahre 1999 lag Spanien mit fünf Prozent auf Platz zwei in der internationalen Rangliste.

Deutschland hingegen (vier Prozent) ist weniger im Gespräch. Unter den ausländischen Unternehmern in Chile etwa liegen die Deutschen weit hinten. In das Andenland, in das schon seit langem deutsche Einwanderer strömen, investieren heute neben Amerikanern und Spaniern auch Holländer und Schweizer. Seit Jahren fließen Milliarden nach Chile. Im Jahre 1999 waren es den Statistiken zufolge rund 18 Milliarden Mark, davon zwei Milliarden aus der EU, aber nur 140 Millionen aus Deutschland. Zugegeben, die in Chile bedeutsame Minenindustrie ist der Deutschen Sache nicht. Aber bei der Privatisierung der Telekommunikationsnetze hätten sie durchaus mitmischen können, und zwar nicht nur in Chile, monieren Experten. Am Geld kann es nicht gelegen haben. Ingesamt ist nämlich auch das Investitionsvolumen der Deutschen kräftig angeschwollen. Seit dem Jahre 1989 hat sich der Bestand deutscher Direktinvestitionen in der Welt nach Angaben der Deutschen Bundesbank ungefähr verdreifacht. Sie erreichten im Jahre 1998 die Summe von 620 Milliarden Mark. Dabei sind auch die Investitionen nach Lateinamerika gestiegen, allerdings unterdurchschnittlich.

In Osteuropa hingegen haben sich die deutschen Investitionen in den vergangenen Jahren verhundertfacht. Sicher, wo nichts ist, da kann viel entstehen. Außerdem, mag man einwenden, gibt es Firmen wie Siemens, Bayer oder Volkswagen, die seit Jahrzehnten Tochtergesellschaften in Lateinamerika führen und deswegen die Gewinne ihrer lateinamerikanischen Ableger nutzen können, um weitere Maschinen zu kaufen oder neue Fabriken zu bauen. Diese Investitionen erfasst die Statistik schließlich nicht. Nach Meinung von Heinz Mewes, Chefvolkswirt der Dresdner Bank Lateinamerika, hat das Interesse der Deutschen an Lateinamerika im Vergleich zu früher aber auch dann nachgelassen, wenn man diese Aktivitäten berücksichtigt.

Statt dessen fließt seit dem Fall der Mauer jede Menge deutsches Kapital in Länder wie Polen, Russland, Tschechien und Ungarn, und das wird sich nach Meinung der Experten nicht ändern. Mewes versteht das nicht ganz. "Geografisch liegt Osteuropa zwar näher, aber wirtschaftlich sind doch gerade die Mercosur-Länder der interessantere Markt." Der Bund, zu dem neben Brasilien, Argentinien, Uruguay und Paraguay auch als assoziiertes Mitglied Chile gehört, böte ausländischen Investoren "sehr viel mehr Freiraum für wirtschaftliche Aktivitäten als Osteuropa", das noch immer unter seinem planwirtschaftlichen Erbe ächze.

Doch für viele ist Lateinamerika seit der Wende in noch weitere Ferne gerückt. Darüber beschwert sich auch Reiner Perau vom Referat Außenwirtschaft im Deutschen Industrie- und Handelstag. In den Köpfen so manches Deutschen sei Lateinamerika Sinnbild für politisches und wirtschaftliches Chaos, so wie es die Wirren der 80er Jahre vermittelt hätten. "Die Zeiten sind aber längst vorbei", sagt er. Die Mercosur-Länder und bedeutsame Märkte wie Mexiko prägten heute demokratische Strukturen, die das Vertrauen in eine dauerhafte politische und wirtschaftliche Stabilität verdienten. Dagegen mag der deutsche Unternehmer einwenden, dass die Korruption in Ländern wie Brasilien doch noch immer Besorgnis erregend hoch ist und dass Mexiko noch lange nicht demokratisch genannt werden kann, nur weil seit 71 Jahren zum ersten Mal die Oppositionspartei an die Macht gekommen ist. Wer aber so streng ist, sollte sein Glück auch lieber nicht im Osten suchen.

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