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Goldman Sachs investiert eine halbe Milliarde Dollar in Facebook.

© AFP

Investoren: Facebook und die neue Blase

Auf dem Papier ist das Soziale Netzwerk Facebook 50 Milliarden Dollar wert. Da werden Erinnerungen an die große Internet-Blase im Jahr 2000 wach. Doch es bleibt ein großer und entscheidender Unterschied.

Der Chef des Internet-Kontaktportals Facebook, Mark Zuckerberg, wirbt bei jeder Gelegenheit für mehr Offenheit: "Die Menschen teilen ihre Informationen immer schneller und offener. Das ist die neue soziale Norm."

Nur wenn es um die Zahlen seiner Firma geht, gibt sich Zuckerberg verschlossen. Bis heute hat das Unternehmen keine belastbaren Zahlen über Umsatz, Gewinn oder Cash-Flow vorgelegt. Einen Börsengang, der für mehr Transparenz sorgen würde, lehnte Zuckerberg bisher kategorisch ab.

Die Intransparenz schadet ihm offenbar nicht: 500 Millionen Dollar zahlen die Investmentbank Goldman Sachs und der russische Investor Digital Sky Technologies für ein einziges Prozent an Facebook. Damit verdoppelt Zuckerberg sein rechnerisches Vermögen auf knapp 14 Milliarden Dollar. Das Portal, dessen Gründer und oberster Stratege gerade einmal 26 Jahre alt ist, ist auf dem Papier inzwischen 50 Milliarden Dollar wert - mehr als zum Beispiel die Deutsche Bank.

Doch es gibt einen riesigen Unterschied: Anders als bei börsennotierten Firmen unterliegen die internen Zahlen, die Facebook immerhin seinen Investoren vorlegt, nicht der strengen Aufsicht der Behörden. Die Öffentlichkeit ist auf Schätzungen angewiesen: Bis zu zwei Milliarden US-Dollar Umsatz soll Facebook 2010 gemacht haben, dabei knapp profitabel sein. Die Verschwiegenheit will Zuckerberg weiter durchhalten - und dabei hilft ihm ausgerechnet Goldman Sachs. Eine US-Börsenregel schreibt vor, dass Firmen mit mehr als 499 Investoren ihre Bilanzen offenlegen müssen. Goldman holt jetzt offenbar Investoren an Bord, die die Bank in einem Spezialfonds bündelt. So kann Zuckerberg die Schwelle von 500 Anteilseignern überschreiten, ohne Zahlen vorlegen zu müssen.

Bayer läge beim 25-Fachen seines aktuellen Marktwertes

Die Investoren sind auch so scharf auf alles, was nach einem guten Geschäft im Internet aussieht. Derzeit werden schon wieder Mondpreise gezahlt. Der Kurznachrichtendienst Twitter und der Internetladen Groupon sind 2010 drastisch im Wert gestiegen. Twitter ist mit 3,7 Milliarden Dollar mehr als viermal so hoch bewertet wie vor einem Jahr; Groupon hat Berichten zufolge zuletzt ein Übernahmeangebot über sechs Milliarden Dollar von Google abgelehnt. Was da passiert, sind Wetten auf intransparente Firmen.

Wenn die deutschen Traditionskonzerne Bayer oder SAP nach denselben Kriterien bewertet würden wie Facebook, läge SAP beim Sechseinhalbfachen seines aktuellen Marktwertes, Bayer sogar beim 25-Fachen. Anleger spekulieren wie einst während der Milchmädchen-Hausse der New Economy zur Jahrtausendwende, dass etwas ganz Großes entsteht - Unternehmen, die ein Jahrhundert prägen könnten.

Goldman Sachs wirkt

Ein Gewinner des gestrigen Geschäfts steht schon fest: Goldman Sachs hat nach Informationen aus Investorenkreisen eine vertrauliche Zusicherung erhalten, seine Beteiligung an Facebook zu einem vereinbarten Preis veräußern zu können, sollte es nicht zu dem erwarteten Börsengang im nächsten Jahr kommen.

Der spektakuläre Einstieg von Goldman Sachs beim Internetportal Facebook wirkt: Das Kontaktnetz kostete gestern im vorbörslichen amerikanischen Handel, dem Sekundärmarkt, mit 50 Milliarden Dollar fast so viel wie die Deutsche Telekom und zweieinhalbmal so viel wie Thyssen-Krupp. Deutschlands größter Stahlhersteller erwirtschaftete 2010 aber 58-mal so viel Umsatz wie Facebook und fuhr unter dem Strich gut eine Milliarde Dollar Gewinn ein. Davon ist Facebook mit geschätzten zwei Milliarden Dollar Umsatz noch meilenweit entfernt.

Wiederholt sich die Geschichte?

Wenn Anleger von derartigen Relationen hören, fühlen sie sich wie in einer Zeitmaschine zurückversetzt: diesmal um genau zehn Jahre. Kein Gewinn, wenig Umsatz, aber viel Börsenwert - so lautete Ende der 90er-Jahre das Motto. Bis der Markt kurz darauf zusammenbrach. In Deutschland verloren die Technologie-, Medien- und Telekom-Aktien in drei Jahren durchschnittlich 98 Prozent an Marktkapitalisierung. Viele Firmen wurden insolvent, lösten sich auf oder fusionierten.

Wiederholt sich jetzt die Geschichte? Schon wieder fließt viel billiges Geld an die Finanzmärkte, nachdem die US-Notenbank die Zinsen auf fast null Prozent gesenkt hat. Ein Teil des Geldes erreicht zweifellos riskantere, dafür aber auch chancenreichere Anlagen wie Aktien, Rohstoffe und die Start-up-Unternehmen - also junge Firmen mit neuen Geschäftsmodellen, deren Börsengang erst noch bevorsteht. In den USA hat sich das Handelsvolumen bei den beiden Online-Plattformen "Second Market" und "Shares Post" nach Angaben der Researchfirma Nypex binnen eines Jahres auf rund fünf Milliarden Dollar verdoppelt. Rund die Hälfte des Handels entfällt auf Facebook und Twitter.

Der Wahnsinn beschränkt sich auf wenige

Doch bei allen Gemeinsamkeiten, es bleibt ein großer und wesentlicher Unterschied, wenn man die heutige Lage mit der Situation des Jahres 2000 vergleicht: Damals floss weltweit viel Geld in fast alle Technologieaktien. Ob Intershop, Yahoo, AOL oder Deutsche Telekom: Die Kurse aller Telekom -, IT- und Medienwerte schossen in die Höhe und lösten sich von allen relevanten Bewertungskennzahlen. Diesmal hingegen beschränkt sich der Wahnsinn auf wenige, außerbörslich gehandelte Firmen wie Facebook, Twitter, Groupon und LinkedIn.

Und jetzt Goldman Sachs: 450 Millionen Dollar steckt die Investmentbank in Facebook - wohl auch, um ihren wohlhabenden Kunden über eine Art Fonds ein attraktives Investment anbieten zu können. Mit an Bord ist der russische Investor Digital Sky, der weitere 50 Millionen Dollar gibt. Er soll die Option haben, 75 Millionen Dollar aus dem Goldman-Sachs-Paket zu übernehmen. Digital Sky hat bereits etwa eine halbe Milliarde Dollar in Facebook investiert.

Brüderle sieht keine Gefahr

Wirtschaftsminister Rainer Brüderle (FDP) wiegelte im Handelsblatt-Interview, angesprochen auf eine mögliche Internetblase, ab: "Wenn sich alle Marktteilnehmer umsichtig verhalten, sehe ich diese Gefahr nicht", sagte der Minister. Andere sprechen Klartext: "Die aktuelle Bewertung von Facebook ist irre, auch wenn etwa Goldman Sachs immer noch damit Geld verdienen könnte", sagte Thomas Heilmann, Mitgründer der Werbeagentur Scholz & Friends. Er habe seine Anteile an Facebook vor Weihnachten verkauft, sagte Heilmann dem "Tagesspiegel". Als reiner Finanzinvestor habe er Anfang 2009 Anteile "im Promillebereich" an Facebook erworben. Das Unternehmen sei damals mit rund vier Milliarden Dollar bewertet worden. Vergleiche mit den Spekulationsblasen der New Economy im Jahr 2000 will der Unternehmer gleichwohl nicht ziehen. "Es geht um einige wenige Konzerne wie Facebook, Groupon oder Twitter. Wenn deren Bewertungen platzen, merkt das kaum jemand."

"Das ist eine hochspekulative Wette", bewertet Jörg Trouvain, Chef von Europas größtem Reiseportal Holidaycheck, den Einstieg von Goldman Sachs bei Facebook. Es sei sehr schwierig, die Bewertung von Social-Media-Unternehmen nachzuvollziehen. Denn was die stark steigenden Nutzerzahlen wirklich wert seien, werde erst die Zukunft zeigen. "Ich halte die Social-Media-Unternehmen derzeit für zu hoch bewertet", sagte der Manager.

Facebook soll profitabel sein

Xing-Gründer Lars Hinrichs sieht hingegen bei der Bewertung von Firmen wie Facebook "noch Luft nach oben". Hinrichs selbst schmückte sein Portfolio schon vor längerem mit einem Facebook-Anteil. Er glaube nicht an eine zweite Internetblase, sagte Hinrichs dem Handelsblatt. "Im Gegensatz zu früher geht es heute um ein Kurs-Gewinn-Verhältnis und nicht ein Umsatz-Verlust-Verhältnis", sagte Hinrichs in Anspielung auf die defizitären Online-Unternehmen zu Beginn der Internet-Ära. Aus seiner Sicht haben sich auch die Rahmenbedingungen für die Online-Wirtschaft grundlegend geändert. Derzeit seien zwei Milliarden Menschen im Netz. Im Vergleich zu den Zeiten vor zehn Jahren sei Werbung im Internet heute hochentwickelt. Hinrichs glaubt deshalb, dass Facebook eine große Zukunft hat. "Facebook ist in jedem Land der Welt vertreten. Das können nicht viele von sich behaupten."

Vielleicht aber liegt der entscheidende Unterschied in den Zahlen: Facebook soll mit etwa zwei Milliarden Dollar Umsatz bereits heute profitabel arbeiten - ganz anders als vor Jahren viele der gefallenen frühen Internet-Ikonen wie etwa AOL.

Die Vision: Facebook löst Google ab

Facebook-Chef Mark Zuckerberg lockt die Investoren mit einer Vision: Facebook wird das neue Google. Nicht nur, dass nach einem möglichen Börsengang 2012 der Kurs ähnlich steigen soll wie bei der Suchmaschine - auch deren epochale Bedeutung soll Facebook für das neue Jahrzehnt nachvollziehen.

Zuckerberg hat für sein Unternehmen eine Ausgangslage geschaffen, die derjenigen von Google vor dem Börsengang gleicht - und sie teilweise übertrifft. Seine unmittelbaren Konkurrenten hat Facebook aus dem Rennen gekickt: Der einstige Pionier unter den sozialen Netzen, Myspace, hat sich in die Nische geflüchtet. Als Netz für Musikfans macht er seinem Eigner Rupert Murdoch, der im Jahr 2005 immerhin 580 Millionen Dollar für die Plattform hingelegt hat, wenig Freude.

Auch lokale Konkurrenten ziehen sich in Nischen zurück. So hat Clemens Riedl, Chef der deutschen Plattform StudiVZ, die direkte Konfrontation längst aufgegeben. Er wolle den einstigen Facebook-Klon nur mehr als Kommunikationszentrale für junge Leute positionieren, kündigte Riedl im Gespräch mit dem Handelsblatt kürzlich an. Facebook verbleibt so als einziges universelles Kontaktnetz - über alle Altersstufen und Kontinente hinweg.

Die Fantasie geht noch weiter: Facebook hat das Erscheinungsbild der Profilseiten seiner Mitglieder überarbeitet. Sie können jetzt genauer steuern, was angezeigt wird, außerdem ihren Lebenslauf deutlicher herausstellen. Facebook könnte damit bald auch der Sprung in die Firmen gelingen. Die vorbörsliche Bewertung des weltgrößten Business-Netzes LinkedIn, Konkurrent des Hamburger Netzes Xing, sinkt bereits leicht auf vergleichsweise bescheidene 2,1 Milliarden Dollar. Facebook könnte seine nächsten Opfer finden - und noch mehr Nutzer.

Die weit mehr als 500 Millionen Mitglieder macht Facebook bereits zu Geld. Kein anderer Anbieter im Netz kann Werbetreibenden so viele verschiedene Zielgruppen punktgenau anbieten. So hat etwa Adidas Werbevideos zielgenau für Fans der Filmreihe Starwars drehen lassen. In den USA spielt lokale Werbung bereits eine größere Rolle; in Europa und Asien steckt noch eine Menge Potenzial. Bis zu einem Börsengang könnten hier noch etliche Werbemillionen hinzukommen, die Facebook vor allem Google wegschnappen dürfte.

Überhaupt macht Facebook die Firmen abhängig von seinen Diensten. Kostenlos können Firmen Seiten auf dem Dienst erstellen, dort ihre Produkte anbieten. Das ist ein Potenzial für weitere Einnahmen und macht Facebook zur zentralen Web-Site für seine Nutzer. Ein Netz im Netz wolle Facebook schaffen, fürchten seine Kritiker - und diejenigen, die ihm eine überragende Zukunft bescheinigen. Facebook-Nutzer könnten Mails, Chats und Videotelefonate über die Plattform abwickeln, außerdem ihre Lieblings-Nachrichten-Seiten abonnieren und Informationen über ihre Freunde bekommen. Facebook wäre das zentrale Eingangstor ins Netz - und viele Nutzer könnten auf der Seite bleiben. Der größte Teil des Online-Werbemarkts und der Aufmerksamkeit würde dann an Facebook gehen. An das neue Google.

Das Geschäft: Goldman hilft sich selbst

Der spektakuläre Einstieg einer von der Investmentbank Goldman Sachs geführten Investorengruppe beim Social Network Facebook ist für die Investmentbank eine Wette auf einen erfolgreichen Börsengang in der Zukunft.

Allerdings eine Wette mit eingeschränktem Risiko. Denn nach Angaben aus Investorenkreisen hat sich Goldman Sachs gegen einen Einbruch der auf 50 Milliarden Dollar gestiegenen Bewertung des Internetkonzerns abgesichert. Sollte ein solcher Einbruch den geplanten Börsengang verhindern, könne die Investmentbank die Aktien wieder zu einem "vereinbarten Preis" zurückgeben, hieß es gestern in Verhandlungskreisen. Und dieser vereinbarte Preis würde in jedem Fall nicht unter dem Kaufpreis von 500 Millionen Dollar liegen. Die Bank selbst wollte sich dazu nicht äußern.

Zunächst aber halten viele Experten die Transaktion für eine Hilfe, die die Goldmänner Facebook-Gründer Mark Zuckerberg leisten. Medienberichten zufolge sollen Altinvestoren und Facebook-Mitarbeiter, die schon lange Aktien des Unternehmens besitzen, auf eine Möglichkeit gedrängt haben, mit ihren Aktien Kasse machen zu können. Dies wäre etwa im Rahmen eines Börsengangs möglich. Den Börsengang aber will Zuckerberg noch rauszögern. Der Grund: Solange Facebook ein nicht börsennotiertes Unternehmen ist, muss er seine Geschäftsdaten nicht veröffentlichen und keinen großen Aufsichtsrat installieren. Das macht Übernahmen und andere Expansionsbestrebungen einfacher und oft auch viel billiger. Daher will Zuckerberg seine Aktien noch eine Weile auf Graumarktplattformen wie SecondMarket und SharePost handeln lassen.

Die Goldman-Transaktion bot nun immerhin einigen Altinvestoren die Chance, mit Gewinn aus Facebook auszusteigen.Experten gehen im Übrigen davon aus, dass Goldman die Transaktion so strukturiert hat, dass Facebook nicht frühzeitig von den Behörden zu einem Börsengang gezwungen werden kann. Denn Firmen, die ihre Aktien auf dem Graumarkt handeln lassen wollen, dürfen nicht mehr als 499 Aktionäre haben.

"Es ist leicht, solche Investitionen so zu strukturieren, dass man einen Börsengang vermeiden kann", sagte James Angel, Wirtschaftsprofessor an der Washingtoner Georgetown-Universität. "Meine Vermutung ist, dass Goldman die Transaktion als Fonds strukturiert hat, der als Aktionär auftritt. So zählen die Bank und die übrigen Investoren nicht als Aktionäre, und Facebook kann zunächst den Börsengang vermeiden." Irgendwann aber wird Facebook an die Börse gehen. Dann hätte Goldman die perfekte Ausgangsposition, um die Platzierung anzuführen - und erneut gutes Geld zu verdienen. (Quelle: Handelsblatt)

R. Benders, C. Kapalschinski, H.-P. Siebenhaar, U. Sommer, K. Stratmann

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