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Wegweisend. Ob die Kurse steigen oder fallen, hängt davon ab, wer Recht behält: die Optimisten oder die Pessimisten. Foto: iStock

© Getty Images

Ist der Tiefpunkt an der Börse erreicht?: Zwei Szenarien, mit denen Anleger in der Krise rechnen müssen

Wie geht es weiter mit Aktien, Anleihen, Immobilien, Gold und Versicherungen? Bulle und Bär haben hier unterschiedliche Ansichten, die Anleger kennen sollten.

Ob Aktien, Anleihen, Gold oder Rohstoffe: Die meisten Märkte haben seit 19. Februar rasante Achterbahnfahrten hinter sich. Der Dax, wichtigstes Barometer deutscher Aktien, ist erst nach unten gerauscht, später hat er sich wieder etwas erholt. Bei den Bundesanleihen sieht es ähnlich aus. Ihre Rendite ist stark gefallen, dann legte sie wieder etwas zu.

Anleger stellen sich da viele Fragen: Wie geht es nun weiter? Ist die Zeit zum Wiedereinstieg in Aktien bereits da? Steigen oder fallen Kurse und Renditen von Staats- und Unternehmensanleihen? Ist Gold noch ein Kauf? Wir stellen ihnen zwei Szenarien vor, auf die sich Profi-Anleger gerade einstellen und erklären, was das für einzelne Anlageformen heißt.

Szenario A - Der Plan für Optimisten

Da ist zunächst das optimistischere Szenario A. Es geht davon aus, dass das Schlimmste hinter uns liegt und sich die Märkte in einer V- oder U-Formation erholen werden. Katalysator der Entwicklung sind dabei die Exit-Überlegungen und erste konkrete Ankündigungen, wie ein Ende der virusbedingten wirtschaftlichen Lähmung aussehen könnte.

Auch der Blick nach China stimmt optimistisch: Das Land ist uns einige Wochen voraus, hat auch das Kerngebiet der Pandemie, die Provinz Hubei mit der Millionenstadt Wuhan, wieder hochgefahren. So wurden im März wieder eine Million Fahrzeuge in China abgesetzt, nachdem in der Krise der Umsatz um mehr als 80 Prozent eingebrochen war.

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Die Optimisten argumentieren zudem, die Börse handle die Zukunft, nicht die Gegenwart: Die Entwicklung in ein paar Wochen oder Monaten wird also vorweggenommen. Zwar sei von einer massiven Rezession im laufenden zweiten Quartal auszugehen, doch ihr könnte eine dynamische Erholung folgen.

So rechnen die führenden deutschen Wirtschaftsinstitute zwar mit einem krassen Einbruch im zweiten Quartal. 2021 werde die Wirtschaft dann aber wieder um 5,8 Prozent wachsen. Vor allem die riesigen Fiskalprogramme und die Hilfen der Notenbanken könnten den Schaden begrenzen. Hier sei noch mit weiteren Maßnahmen zu rechnen, glaubt etwa die Deutsche Bank.

Szenario B - Rückfall in den Crash-Modus

Ganz anders Szenario B, das von einem Rückfall in den Crash-Modus und großen Problemen bei der Rückkehr zur Normalität ausgeht. Danach lehrt die Erfahrung, dass sich massive Krisen nie auf einen Schlag bereinigen lassen, sondern zu monate- bis jahrelangen Nachwehen führen.

Ganz vorne mit dabei bei den Schwarzsehern sind viele US-Banken. Goldman Sachs etwa erwartet für die USA im zweiten Quartal einen annualisierten Rekord-Rückgang der Wirtschaftsleistung um bis zu 24 Prozent. JP Morgan rechnet sogar mit 25 Prozent. Allein Kalifornien verliert jeden Tag im Shutdown eine Wertschöpfung von 2,8 Milliarden Dollar.

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Wie negativ die Erwartungen der Wirtschaft selbst sind, zeigt beispielhaft der Index der Produktionserwartungen, den das Ifo-Institut berechnet. Er ist von plus 2 auf minus 20,8 abgestürzt, das war der schärfste Einbruch seit Beginn der Berechnungen vor fast drei Dekaden. Nicht alle Unternehmen würden die Krise danach einfach abschütteln können, weder in den USA noch in Europa oder in Asien. Vielen werde Liquidität fehlen, viele könnten Marktanteile verlieren, einige aufgeben müssen. Eine massiv steigende Arbeitslosigkeit und finanzielle Klammheit von Millionen Menschen könnten dann Konsum und Nachfrage nachhaltig schwächen – und Unternehmen in Mitleidenschaft ziehen, die zunächst nicht direkt von der Viruskrise betroffen sind, etwa Energieversorger, deren Rechnungen nicht bezahlt werden.

Mislav Matejka, Aktienstratege bei JP Morgan in London, warnte beispielsweise, dass die Weltwirtschaft „eine für Rezessionen typische Teufelsspirale zwischen schwacher Endnachfrage, schwächelnden Arbeitsmärkten, rückläufigen Gewinnen, kränkelnden Kreditmärkten und niedrigen Ölpreisen“ durchlaufen werde.

Was bedeuten die Szenarien für Aktien?

Szenario A: Aktien würden im optimistischen Szenario ihren Weg zurück zu alter Stärke unbeirrt fortsetzen können. Negative Nachrichten wären danach bereits durch den massiven Rückfall in den Kursen eingepreist. Treiben würde die Notierungen auch, dass viele professionelle Anleger bereits verkauft haben, aber nun wieder steigenden Kursen nachlaufen und zur Investition gezwungen sind.

Kurzfristige Rücksetzer könnten einen klaren Boden an einer Grenze finden, die in keinem Crash der Vergangenheit länger und massiver unterboten wurde: Am Buchwert des Dax, der laut DZ Bank etwa bei 8200 Punkten liegt. Schwache Tage würden Investoren dann schnell nutzen, um auf Schnäppchenjagd zu gehen und die Märkte wieder nach oben zu treiben, unter Umständen mit vielen Pausen und Unterbrechungen, per Saldo aber dennoch.

Positiv stimme der Blick zurück, sagt Tilmann Galler, Kapitalmarktstratege bei JP Morgan Frankfurt. Wer in den vergangenen Jahrzehnten den Mut hatte, in schwierigen Zeiten Positionen aufzubauen, sei mit überdurchschnittlichen Erträgen belohnt worden. „Den Pessimisten mögen die aktuellen Schlagzeilen gehören – den Optimisten gehört jedoch die Zukunft“, so Galler.

An der Wall Street fielen die Kurse in der Coronakrise dramatisch.
An der Wall Street fielen die Kurse in der Coronakrise dramatisch.

© dpa

Szenario B: Im negativen Szenario wäre der kurzfristige Richtungswechsel nur ein Strohfeuer, wie es Lehrbücher für jeden Cash beschreiben und wie es auch sehr häufig real aufgetreten ist. Sobald nach ersten Quartalszahlen Klarheit herrscht, wie massiv die Minuszeichen in den Bilanzen sind, könnte der aufkeimende Optimismus jäh in ein böses Erwachen umschlagen. Die großen Indizes könnten dann ihre alten Tiefs in neuen Panikreaktionen massiv unterbieten. Denn damit könnten selbst die gegenwärtig stark erniedrigten Kursniveaus plötzlich zu teuer erscheinen. Ulrich Stephan, Chef-Anlagestratege der Deutschen Bank, geht etwa davon aus, dass die Dividenden-Summe 25 Prozent schmäler ausfallen werde.

Eine Bodenbildung an den Aktienmärkten würde danach viele Monate in Anspruch nehmen und womöglich mit starken Schwankungen am Nervenkostüm der Anleger zerren. Anleger sollten zunächst auf Sicht fahren, rät Michael Winkler, der Leiter der Anlagestrategie der St. Gallener Kantonalbank.

Was passiert in beiden Szenarien mit Immobilien?

Szenario A und B: Immobilien könnten in beiden Szenarien deutlich getroffen sein, im positiven Szenario mittelfristig weniger als im negativen. Denn Investoren und Käufern könnte es de facto an vielen Stellen an Liquidität und an verlässlichen Planungsmöglichkeiten fehlen. Eine zeitweise höhere Arbeitslosigkeit oder auch Kurzarbeiterregelungen könnten Pläne zum Bau oder Kauf von Immobilien auf Eis legen.

Auch große Investoren könnten versucht sein, zunächst die Zinsentwicklung wie auch die Entwicklung der Konjunktur zu beobachten, bevor sie in den Markt investieren. Befürchtet wird, dass die massiven Stützungsprogramme von Staaten und Notenbanken zu steigenden Zinsen führen und damit die Bautätigkeit deckeln und die Preise drücken könnten. Der Immobilienverband Deutschland (IVD) rechnet auch damit, dass die Zahl der Bauanträge sinken könnte, weil Investoren ihre Pläne überdenken.

Was bedeuten beide Szenarien für Immobilien?

Szenario A und B: Auch Anleihen könnten in beiden Szenarien unter Druck geraten, allerdings nicht alle. Denn die Rückkehr zur Normalität erfordert große Summen, unabhängig davon, wie rasch sie abläuft. Es ist also von einer Fülle an Anleihe-Neuemissionen auszugehen, ob von Staaten oder von Unternehmen. Ein großer und eher dringender Geldbedarf wird jedoch Druck auf die Zinsen ausüben. Folgerichtig sind vor allem in Europa die Renditen gemessen an den Tiefs merklich geklettert. Anleger haben sich von Anleihen getrennt, weil sie Liquidität benötigten, aber auch, weil sie Neuemissionen mit höheren Zinssätzen erwarten. Dies drückt die Kurse.

Etwas Widerstand wird von der Europäischen Notenbank kommen, die ja den Anleihemarkt massiv stützen will und damit Liquidität in die Geldkreisläufe schüttet. Vor allem US-Anleihen blieben zuletzt jedoch stark gefragt, denn Anleger weltweit tendieren dazu, in Krisenzeiten Liquidität im US-Dollar zu parken. Anlagechancen könnten europäische Unternehmensanleihen bieten, bei denen viele schlechte Nachrichten bereits eingepreist seien und die Renditen dann sinken sollten, heißt es bei der DWS, der Fondsgesellschaft aus dem Konzernverbund der Deutschen Bank.

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Auch Anleihen aus Schwellenländern könnten im optimistischen Szenario interessant bleiben. Denn wenn der Welthandel wieder zulege und die Risikoscheu der Investoren wieder abnehme, könnten dies die Risikoaufschläge wieder abbauen und Kurschancen schaffen. Im negativen Szenario wiederum müssten Anleger vor allem bei Anleihen von Unternehmen eher schlechterer Bonität mit Ausfällen rechnen. Dies werde ebenfalls die Zinsen anheben und die Kurse alter Anleihen drücken.

Was macht all das mit dem Goldpreis?

Szenario A und B: Gold hat sich im Crash nicht von den anderen Anlageformen abkoppeln können. Ab 8. März crashte das Edelmetall von knapp 1740 Dollar pro Feinunze auf 1574 Dollar. Zu tun hatte dies wohl vor allem damit, dass größere Anleger das Edelmetall zu Cash machen mussten, um Verluste in anderen Bereichen auszugleichen. Seither ist der Kurs wieder auf knapp 1650 Dollar geklettert.

Im positiven Szenario gäbe es vor allem für professionelle Anleger wenig Grund, im Gold investiert zu bleiben. Investitionen in Aktien versprächen bessere Renditen, die Risikoneigung würde zunehmen. Stehen jedoch sehr ruppige Zeiten auf längere Sicht bevor und rückten die angeworfenen Gelddrucker der Notenbanken und eine tiefe Rezession in den Mittelpunkt des Denkens, würde mehr Geld im Gold auf bessere Zeiten warten.

Einzelne Banken sehen bereits einen Goldpreis von 2000 Dollar am nahen Horizont. Allerdings könnten dann auch steigende Zinsen Anleger verleiten, ihr Geld lieber in festverzinslichen Papieren mit regelmäßigen Ausschüttungen zu deponieren.

Was ist mit Lebensversicherungen?

Szenario A und B: Lebensversicherungen, heißt es beim Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV), litten unter keinerlei Leistungs-Einschränkungen durch die Coronavirus-Krise. Sie leisten einerseits unabhängig von einer Todesursache, umgekehrt seien die Versprechen der Versicherer unabhängig von den Turbulenzen „auf absehbare Zeit“ gesichert. Da der Aktienanteil der Kapitalanlagen im Schnitt nur bei sechs Prozent liege, wirkte sich der jüngste Crash nur wenig aus. Ohnehin sind die Versicherer verpflichtet, ihre Zusagen abzuliefern, ob im bei Vertragsabschluss garantierten Höchstrechnungszins („Garantiezins“) oder bei den jährlichen Renditeversprechen.

Sollten die Anleihezinsen wegen der enormen Kapitalnachfrage weltweit steigen, könnte sich das positiv auf die neue Anlagen der Versicherer auswirken. Das pessimistische Szenario würde vor allem jene Versicherten treffen, die die relativ neuen Lebensversicherungen ohne oder mit eingeschränkter Garantie abgeschlossen haben und auf die Kapitalmärkte setzen. Gerade bei Verträgen mit bereits hohen Einzahlungen wäre das angesparte Geld deutlich gedeckelt. Der Versicherungsberater Assekurata beruhigt jedoch: Kunden seien von den Börsenturbulenzen auch mit fondsgebundenen Lebensversicherungen längst nicht so stark betroffen wie bei einem Direktinvestment.

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