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Hauptsache italienisch. Der Preis spielt für die meisten Käufer der Luxusmarken keine Rolle. Foto: dpa

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Wirtschaft: „Italianität ist alles“

Die großen italienischen Mode- und Luxusfirmen kennen keine Krise - weil der Export läuft und die Touristen gerne einkaufen.

Rosa solle der Mann von heute einherschreiten, befindet Giorgio Armani. Blütenmuster stünden ihm gut, sagen sie bei Gucci. Hawaii-Exotik gilt bei Prada als der letzte Herrenschrei. Sie schwelgten in Romantik bei den Sommer-Präsentationen künftiger Männerbekleidung in Mailand und Florenz. Und ach, wie geht's ihnen gut, all den Designern, Stilisten, Produzenten, die schon in ihrer Persönlichkeit die Extravaganz verkörpern und die das herstellen, was auf der Welt als „die Mode“ schlechthin gilt: italienisches Lebensgefühl, Dolce Vita, Eleganz, Luxus... „Die Exportquoten bei Männermode liegen schon wieder auf Vorkrisen-Niveau“, titeln die italienischen Zeitungen: „Die Luxusbranche wächst in Riesenschritten.“ – „Italianität ist alles.“

In der Tat: Wer die Bilanzen 2012 der italienischen Nobelmarken durchblättert, kommt aus dem Staunen nicht heraus. Da stehen Umsatz- und Gewinnzuwächse wie in den Zeiten eines ansonsten längst vergessenen Wirtschaftswunders. Prada, der größte Modekonzern: 3,3 Milliarden Euro Umsatz, Jahresplus: 29 Prozent. Armani: plus 15,9 Prozent. Bottega Veneta: plus 38,5 Prozent. Gucci: plus 15,8 Prozent. Moncler: plus 21,5 Prozent. Und so weiter. Wer beim neapolitanischen Anzugschneider Kiton nachfragt, wie's denn so geht, bekommt ein „Benissimo“ zu hören. Ganz oben indes steht einer, der wie kein anderer das alltägliche globale Aussehen der Menschen bestimmt: Luxottica, Produzent von Brillengestellen – sieben Milliarden Euro Umsatz, Jahreswachstum 13,9 Prozent. Und wer wissen will, wie das italienische Krisenjahr 2013 für die Bekleidungshersteller bislang läuft, der liest bei den Analysten der Großbank Intesa-Sanpaolo, die aktuelle Nachfrage sei historisch bisher nur zweimal übertroffen worden: in den ersten Quartalen von 2001 und 2008.

Getragen wird der Erfolg aber einzig und allein vom Ausland; der Inlandsmarkt ist praktisch zusammengebrochen. Die Italiener selbst kaufen nur mehr das Nötigste: Ersatz für Verschlissenes, größere Schuhe für wachsende Kinder. „Hier gibt's kein Licht am Horizont“, sagt Prada-Geschäftsführer Patrizio Bertelli: „Wer nicht in der Lage ist, mindestens die Hälfte seiner Produktion zu exportieren, der wird nicht überleben.“ Doch das ist nicht so einfach. Die Europäische Union gibt nicht mehr viel her; sogar die Ausfuhr zu den kaufkräftigsten, treuesten Kunden, den Deutschen, ist 2012 um zehn Prozent zurückgegangen. Dafür wächst die Welt umso dynamischer. China mit 18,3 Prozent am stärksten, dicht gefolgt von den USA, Russland und Japan. Sie alle haben Nachholbedarf an Lifestyle, an „bella figura“, an Edel-Konsum. In all den anderen globalen Märkten wissen die Italiener, auf wen sie setzen müssen: auf Henry. Das sind die „High Earners, Not Rich Yet“ – die Aufstrebenden, die immer mehr Geld zur Verfügung haben. Das ist die Zukunft.

Dazu gehören natürlich auch die Touristen, die mehr oder weniger lustlos durch die Uffizien in Florenz schlappen, das Mailänder „Abendmahl“ von Leonardo da Vinci eher pflichtgemäß abhaken und sich in Rom der reinen Vollständigkeit halber auch noch durch die Sixtinische Kapelle schieben – die den Rest ihrer Reise aber mit Shopping füllen. Stefano Canali von der gleichnamigen Familienschneiderei sagt: „Im Inland leben wir ausschließlich vom Tourismus.“ Giorgio Armani ergänzt: „Ohne die Fremden hätten wir alle längst die Läden heruntergelassen.“ Und wenn der 79-Jährige hinzufügt: „Papst Franziskus? Den bete ich an!“, dann schwingt da außer persönlicher Bewunderung durchaus eine ganz irdische Dimension mit.

32 Milliarden Euro haben Italienbesucher – darunter viele schwerreiche aus Osteuropa, dem Nahen und dem Fernen Osten – vergangenes Jahr im Land gelassen, 3,8 Prozent mehr als 2011. Und wie beim Absatz die Spaltung zwischen ausländischem und inländischem Markt immer tiefer wird, so auch bei den Produkten: Touristen sparen bei „normalen“ Ausgaben – Essen, Eintritte, Souvenirs –, geben dafür aber umso mehr für Luxusprodukte aus: Mode, Schmuck, Taschen und sonstige Accessoires.

Gesucht, sagen sie in der Branche, werde vor allem das echte „Made in Italy“, das für Handwerkskunst und Qualität stehe. Nicht umsonst haben die Edelsten und Teuersten der Branche ihre Fertigung in Italien belassen oder – wie der aktuelle Börsenliebling und Shootingstar der Cashmere-Strickerei, Brunello Cucinelli – im Land ganz neu aufgebaut.

Der französische Luxus-Riese LVMH (Louis Vuitton Moet Hennessy) hat jüngst eigens im Veneto eine Schuh-Produktion angesiedelt; nur dort oder in der Toskana, so hieß es zur Begründung, gebe es noch die erfahrenen, kundigen Handwerker. Wobei das eine zweischneidige Sache ist: Dem Geschäft nach liegt das „Made in Italy“ heute bereits zu einem beträchtlichen Teil in den Händen von Franzosen. Gucci, Bottega Veneta, Brioni, Sergio Rossi, Fendi, Pucci, Pomellato, Bulgari – nicht nur diese so italienisch klingenden Traditionsmarken sind von französischen Konzernen übernommen worden. Im Design und in der Fertigung mögen die Italiener besser sein, finanzkräftiger und straffer organisiert sind andere. Und genauso wie spanische Olivenöl-Konzerne massenhaft italienische Produzenten schlucken, weil „Made in Italy“ einfach einen besseren Ruf hat und höhere Gewinne verspricht, so naschen Franzosen im Luxusgewerbe am Dolce Vita mit – ebenso symbolkräftig wie wörtlich: Vergangene Woche hat LVMH die zweihundert Jahre alte Mailänder Traditionskonditorei Cova gekauft.

Die italienische Schwäche liegt nicht nur in der Finanzausstattung der Betriebe. In der Bekleidungsbranche sind es winzige Familienfirmen – 8,6 Beschäftigte im Durchschnitt – mit all den dazugehörigen Problemen beim Horizont des Managements und beim Generationswechsel.

Nur die größten Nobelmarken kennt man, die 49 000 restlichen, meist als Zulieferer tätigen Unternehmen überleben nur mit Mühe – oder gar nicht. So beeindruckend die Zuwächse der Großen klingen, in der zweiten, dritten, vierten Ebene darunter schrumpft alles. Allein in den vergangenen fünf Jahren sind bei Textil und Bekleidung mehr als 8000 Firmen und 83 000 Arbeitsplätze verloren gegangen; Kurzarbeit und Kurzarbeit null haben um 90 Prozent zugenommen. Wer keinen Anschluss findet an die allerteuerste, an die Luxusbranche, wer sich auf außereuropäischen Märkten nicht zurechtfindet, der hat keine Chance.

Gerade im einfachen Bekleidungssegment geht es in Italien angesichts der globalen Konkurrenz und des nicht mehr kaufstarken Inlandsmarktes immer weiter bergab – eine Entwicklung, wie sie Deutschland schon vor Jahrzehnten durchgemacht hat. Oder, der andere Fall: Es prangt zwar noch das „Made in Italy“ auf billigen Kleidern und Ledertaschen, aber diese werden von illegal eingewanderten Chinesen unter sklaverei-ähnlichen Bedingungen genäht.

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