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Wirtschaft: ITB 2001: "Wir suchen das Paradies" - Freizeitforscher Opaschowski über die Flucht aus dem Alltag

Horst Opaschowski ist Professor für Pädagogik und wissenschaftlicher Leiter des BAT-Freizeit-Forschungsinstitut, Hamburg. Herr Opaschowski, die Deutschen verreisen immer öfter und immer kürzer.

Horst Opaschowski ist Professor für Pädagogik und wissenschaftlicher Leiter des BAT-Freizeit-Forschungsinstitut, Hamburg.

Herr Opaschowski, die Deutschen verreisen immer öfter und immer kürzer. Warum?

Das ist eine Folge des Wohlstands auf breiter Basis. Arbeitslose, Arme und viele Alte sind schließlich davon ausgeschlossen. Alle anderen befinden sich in einer Art Zeitfalle. Oft ist Geld vorhanden, aber keine Zeit. Folglich wollen die Menschen in immer kürzerer Zeit immer mehr erleben.

Mancher ist nach einem Kurztrip mehr geschafft als erholt. Trotzdem sind Kurzreisen ein Hit. Wieso?

Das liegt an der Angst, etwas zu verpassen. Das Schönste am Urlaub ist oft die Vorfreude auf den nächsten Urlaub. Langsam bekommen wir einen Fast-Food-Tourismus.

Mit Neugierde und Freude am Entdecken fremder Kulturen hat das nichts mehr zu tun. Ist der Reiseboom also nur ein Marketingerfolg der Veranstalter?

Die Veranstalter reagieren lediglich auf die Wünsche der Reisenden. Der Kunde will heutzutage von jedem etwas. Entsprechend ist das Angebot explodiert und vielfältig.

Aber sind die Urlauber nicht doch auch ein Produkt der Werbung?

Das ist die klassische Frage, ob zuerst das Ei oder zuerst die Henne da war. Die Menschen haben Sehnsucht nach dem Erlebnis. Aber sie wissen nicht genau, was sie erleben wollen. Sie träumen vom Paradies, aber keiner weiß so genau wie es aussieht. Die Anbieter müssen also experimentieren. Sie verhalten sich wie moderne Märchenerzähler.

Kontext: Die Tagesspiegel-Beilage zur ITB ITB-Gewinnspiel

Der Vertrieb über Internet und TV-Shopping-Kanäle wird für die Reiseindustrie immer wichtiger. Werden diese Vertriebswege das Reiseverhalten der Menschen prägen?

Daran glaube ich nicht. Auf der ITB gibt es zwar tatsächlich Leute, die von 80 Prozent Zuwachs bei Internet-Buchungen reden. Das aber ist reine Augenwischrei. Das Internet ist so gut wie gar keine Konkurrenz für die traditionellen Reisebüros.

Und was ist mit den TV-Reisekanälen?

Das Fernsehen bewegt die Menschen natürlich viel stärker. Die TV-Shopping-Kanäle sind sozusagen eine moderne Variante des alten Versandhandels und auch für junge Leute salonfähig. Allerdings glaube ich auch nicht daran, dass das Fernsehen die Menschen im großen Umfang zur Urlaubsplanung via Fernbedienung animieren kann.

Das heißt, die Investitionen werden sich nicht bezahlt machen?

Möglicherweise nicht. Ich sage: Die Geschäftsleute glauben an eine Legende.

Wie wird sich das Freizeit- und Reiseverhalten der Menschen in Zukunft verändern?

Wir leben in einem Erlebniszeitalter. Leben bedeutet Erleben. Nichts zu erleben bedeutet verlorene Lebenszeit. Der Erlebnistourismus entspricht modernem Nomadentum.

Wovor flüchtet man?

Vor der gewohnten Kulisse, aus dem Alltag oder vor den Kollegen.

Ist der Kauf einer Reise - wie der Kauf eines Autos - ein Statussymbol?

Er ist sogar wichtiger als die normalen Statussymbole. Über Reisen kann man schließlich berichten und erzählen. Das zählt mehr als eine bestimmte Automarke.

Die Reiseangebote werden immer uniformer. Inwieweit widerspricht das dem Wunsch nach größerer Individualität?

Die Angebote im Pauschaltourismus werden durchaus individueller. Die Anbieter versuchen die Quadratur des Kreises. Sie verkaufen die Freiheit von der Stange.

Was ist denn das für eine Freiheit?

Jeder kann sich seine Reisen zusammenstellen und sich aussuchen, inwieweit er auf uniforme Angebote zurückgreifen will oder lieber nicht.

Ist das Geschäft mit dem Urlaub eine sichere Sache?

Der Urlaub ist die populärste Form von Glück. Die Menschen werden nicht mehr darauf verzichten wollen.

Herr Opaschowski[die Deutschen verreisen immer &o]

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