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Wirtschaft: „Jetzt haben wir die Chance für eine Stimmungswende“

Der Wirtschaftspsychologe Günter Wiswede erklärt, wer wann was tun muss, damit wir wieder bessere Laune bekommen

Herr Wiswede, wer holt Deutschland aus dem Stimmungstief?

Ein Mensch alleine schafft das nicht, weder der Kanzler noch ein Unternehmer oder Gewerkschafter. Dazu ist das Entstehen von Stimmungen ein zu diffuser und schwer zu beeinflussender Prozess. Aber es muss nicht endlos abwärts gehen, bis wir in Hilflosigkeit und Resignation versinken. Wenn mehrere Wirtschaftsindikatoren oder Sachverhalte positiv sind, könnte das die Wende bringen. Die Chance besteht zurzeit: Das Weihnachtsgeschäft lief nicht schlecht, die Regierung hat jüngst ArbeitsmarktReformen auf den Weg gebracht, die Börse stürzt nicht mehr ab. Bei einem Stimmungsumschwung würden auch wieder positive Dinge verstärkt wahrgenommen – das kann ansteckend sein.

Sollte der Kanzler die Lage schönreden, wenn es doch nicht klappt mit dem Umschwung?

Er kann zumindest positive Entwicklungen herausheben und auf andere Länder verweisen, denen es im Vergleich zu uns richtig schlecht geht. Denn wir haben noch immer eine starke Wirtschaft, üppige Sozialleistungen und einen hohen Lebensstandard, jammern aber dennoch auf hohem Niveau.

Warum sind die Deutschen trotzdem so pessimistisch geworden?

Es gibt keinen Alleinschuldigen. Zu viele deprimierende Faktoren kommen zusammen – die hohe Arbeitslosigkeit, die Firmenpleiten, die wegbrechenden Umsätze. Die Regierung hat mit ihrem Zick-Zack-Kurs von Ankündigungen und Korrekturen zudem für Verunsicherung gesorgt. Und Ereignisse, die mit der Konjunktur gar nichts zu tun haben, wie etwa die Flutkatastrophe in Ostdeutschland oder die Terror-Anschläge, verstärken die gefühlte Krise. Der Mensch neigt dazu, diese Negativschlagzeilen und schlechten Ereignisse in einen Topf zu werfen und in Panik zu geraten.

Sind auch die Medien schuld?

Ja, sie berichten über schlechte Nachrichten ausführlicher als über gute. Gleichwohl tun sie aber nur das, was Leser und Zuschauer anregend finden.

Nimmt der Mensch schlechte Nachrichten eher zur Kenntnis als gute?

Nein, aber er nimmt selektiv wahr. Entwicklungen aus dem persönlichen Umfeld, die er unmittelbar erlebt – Karriere oder Familie – schätzt er grundsätzlich positiv und optimistisch ein. Schwer zu greifende Themen wie die gesamtwirtschaftliche Lage oder die Perspektiven der Gesellschaft, über die der Mensch meist aus zweiter Hand erfährt, werden dagegen mit Skepsis betrachtet und überzeichnet. So wird aus einem grauen Bild ein schwarzes.

Also sollte man nicht alles glauben, was Experten und Wirtschaftsindikatoren nahe legen?

Nein, von Daten über das Konjunkturklima oder das Verbrauchervertrauen versprechen wir uns zu viel. Sie sagen nicht immer die Zukunft voraus, sondern sind eine Summe gegenwärtiger und vergangener Erfahrungen. Hinzu kommen Vorhersagen von Fachleuten, die auch vor Irrtümern nie gefeit sind.

Kann die schlechte Stimmung am Ende noch eine echte Rezession auslösen?

Derzeit ist die Lage besser als die Stimmung, auch wenn es im Einzelfall schlimme Schicksale gibt. Im Extremfall ist natürlich eine sich selbst erfüllende Prophezeiung denkbar.

Sind die Deutschen miesepetriger als andere Völker?

Ja, sie reagieren auf negative Ereignisse besonders sensibel. Das liegt aber nicht nur an der ihnen eigenen Angst und Zurückhaltung, sondern auch an der traumatischen Erfahrung des Krieges. Deshalb halten die Menschen immer noch das Geld zusammen, sobald schlechte Zeiten drohen. Aktuell kommt eine deutsche Besonderheit hinzu: Die Stimmung ist auch deshalb so schlecht, weil die Bürger merken, dass der Staat an die Grenzen seiner Leistungsfähigkeit stößt. Zugleich ist aber niemand bereit, auf Ansprüche zu verzichten und Reformen zuzulassen, die den eigenen Geldbeutel angreifen.

Also sind andere Völker trotz der weltweiten Wirtschaftsflaute fröhlicher?

Die Amerikaner zum Beispiel sind viel unbefangener und lassen sich von einer Krise nicht so schnell einschüchtern. Nicht einmal der 11. September und die Bilanzskandale haben die USA psychologisch aus der Bahn geworfen. Das Vertrauen in das System ist dort einfach größer.

Das Gespräch führte Carsten Brönstrup.

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