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Hand in Hand. Sozialunternehmen erfahren eine immer größere Aufmerksamkeit. Sie suchen Betriebswirte und Juristen mit Know-how in Projektentwicklung. Foto: dpa

© picture alliance / ZB

Wirtschaft: Jobs für Weltverbesserer

Gesellschaftliche Probleme lösen als Job? In Sozialunternehmen geht das. Wie spezielle Internetplattformen potenzielle Mitarbeiter und Firmen vermitteln.

Silke Weigele hat heute einen Arbeitsplatz, wie sie ihn sich immer vorgestellt hat. Mit viel Raum für eigene Ideen, netten Kollegen, internationalem Renommee und – ganz wichtig für die 33-Jährige – der Möglichkeit, ein gesellschaftliches Problem lösen zu können. Seit knapp einem Jahr arbeitet Weigele bei dem Sozialunternehmen Verba-Voice als rechte Hand der Geschäftsführerin. Die Firma bietet einen speziellen Service für schwerhörige und taube Menschen. Über das Internet können sie einen Gebärdensprecher oder Schriftdolmetscher zuschalten, der etwa einen Vortrag direkt übersetzt.

Zuvor hatte die Betriebswirtin einen Job bei Microsoft. Auch ein toller Arbeitsplatz, wie sie sagt. Trotzdem stand für sie schon während des Studiums fest, dass sie einmal im sozialen Bereich arbeiten würde. In ihrer Freizeit engagierte sie sich früh für andere, gründete als Studentin ein Sozialunternehmen. Den Job bei Microsoft hatte sie angetreten, um erst einmal eine sichere Stelle zu haben und Erfahrung zu sammeln.

Wie Silke Weigele geht es vielen Deutschen – eine Arbeit im sozialen Bereich wird immer attraktiver. Es sind nicht nur die Jungen, die sogenannte Generation Y, die mit ihrer Arbeit mehr bewegen wollen als den Aktienkurs ihres Unternehmens. Vier von zehn Deutschen wollen einen sinnstiftenden Job, haben die gemeinnützige Organisation Ashoka und die Berater von McKinsey herausgefunden. 37 Prozent sagen, sie wollen vielleicht in den Sozialsektor wechseln. Dennoch tun sich die Unternehmen schwer, Fach- und Führungskräfte einzustellen - weil beide Seiten nur schwer zueinanderfinden.

Schon heute zählt der sogenannte Dritte Sektor laut „Zivilgesellschaft in Zahlen“ rund 2,3 Millionen sozialversicherungspflichtige und 300 000 geringfügig Beschäftigte. Allein die freien Wohlfahrtsverbände wie Caritas oder Paritätischer Bund kommen auf etwa 1,5 Millionen Mitarbeiter. Dass Jobs in diesem Sektor gefragter werden, liegt allerdings vor allem an Unternehmen wie Verba-Voice.

Wie Caritas und Co. wollen sie benachteiligten Menschen helfen und soziale Probleme lösen – mit dem Unterschied, dass sie die Sache unternehmerischer angehen, mit Businessplan und Marktanalyse. Diese Sozialunternehmer, im Englischen Social Entrepreneurs genannt, sind am Anfang oft nur Zweimannfirmen. Meist bleibt das Team auch überschaubar, manche unterhalten allerdings Netzwerke auf der ganzen Welt. Zu den Großen zählen die Spendenplattform Betterplace, die Bürgeraktiengesellschaft Regionalwert, bei der Menschen ihr Geld in nachhaltige Landwirtschaft investieren, oder der Verein „Streetfootballworld“, der Sport mit Entwicklungsarbeit verbindet.

Obwohl es solche Unternehmen schon immer gab, erfahren sie erst seit ein paar Jahren besondere Aufmerksamkeit und Förderung. Das ist mitunter der Grund, warum viele ihre Arbeit nun stärker professionalisieren wollen und dafür gute Leute aus der Wirtschaft suchen. Gefragt sind vor allem Betriebswirte und Juristen mit Know-how in Projektentwicklung und Projektmanagement.

Weil die Teams in der Regel recht klein sind, gibt es kaum Hierarchien. Wer sich einbringt, weiß am Ende sehr genau, wie viel die eigene Arbeit zur Problemlösung beigetragen hat. Im Sozialunternehmen kümmert sich oft jeder um alles und hat so mit Ansprechpartnern aus Wirtschaft, Politik und Gesellschaft zu tun.

Momentan finden soziale Arbeitgeber und potenzielle Weltveränderer allerdings nur schwer zueinander. „Die Studie hat gezeigt, dass Sozialunternehmen auf dem Arbeitsmarkt noch kein eigenes Profil herausgebildet haben und Jobsuchende daher oft nicht wissen, welche Herausforderungen und Karrieremöglichkeiten diese Social Entrepreneurs bieten“, sagt Dennis Hoenig-Ohnsorg, Autor der Studie von McKinsey und Ashoka, der für die gemeinnützige Organisation arbeitet. Hinzu kommt, dass viele Sozialunternehmen keine professionelle Personalpolitik betreiben. Meist fehlt schlicht das Geld dafür. Sie platzieren Stellenangebote oft nicht in Jobbörsen.

„Viele Jobsuchende wissen dadurch überhaupt nicht, wo sie sich bewerben sollen“, sagt Anna Roth-Bunting, Personalvermittlerin und Inhaberin der Vermittlungsagentur „Talents4Good“. Sie vermittelt zwischen Weltveränderern und sozialen Arbeitgebern. Andere Stellenbörsen im Netz, die bei der Suche nach einem Job mit Sinn helfen, sind Portale wie Greenjobs.de, Nachhaltigejobs.de und csrjobs.de. Auch Andreas Podeswik vom Bundesverband Bunter Kreis sucht immer wieder Spezialisten. Seine Organisation sorgt seit 20 Jahren dafür, dass schwerkranke Kinder nach einem Krankenhausaufenthalt wieder in ihren Familien leben können.

Trotzdem geht es erst jetzt darum, das Netzwerk an Hilfseinrichtungen in ganz Deutschland zu verbreiten. „Dafür fehlt uns professionelles Wissen rund um juristische Themen, Businessplanung, Projekt- und Organisationsmanagement, wie es Unternehmen in der freien Wirtschaft nutzen“, sagt er. Auch sein Team ist überschaubar: Acht Mitarbeiter sind es aktuell, zwölf sollen es einmal sein.

Podeswik ist zuversichtlich, dass er neue Kollegen finden wird. Auch wenn er nicht so viel bezahlen kann, wie sie in der Regel anderswo verdienen. „Wichtiger als viel Geld ist den Leuten einfach, einen Job zu finden, den sie mit Überzeugung ausfüllen können.“ Laut der Studie von Ashoka und McKinsey entsprechen die Gehälter im Sozialsektor denen im öffentlichen Dienst. Dort verdienen Einsteiger zwischen 25 000 und 35 000 Euro im Jahr, Führungskräfte 45 000 bis 80 000 Euro.

Ein üppiges Gehalt ist auch der 25-jährigen Natalie Kho nicht so wichtig. Gerade schreibt die Studentin noch an den letzten Seiten ihrer Masterarbeit zum Thema „Organisationsentwicklung in Sozialunternehmen“ an der Zeppelin Universität in Friedrichshafen, nach dem Sommer würde sie gerne bei einem sozialen Arbeitgeber anfangen. „Vor allem durch meine Masterarbeit habe ich gemerkt, wie viel Spaß die Arbeit dort machen kann, wie unternehmerisch und dynamisch die Kultur ist und wie vielfältig die Herausforderungen“, sagt sie. Ein Großteil ihrer Kommilitonen kann nicht verstehen, warum sie im Sozialsektor arbeiten will und dafür in Kauf nimmt, weniger zu verdienen.

Weil Kho noch keinen Arbeitgeber gefunden hat, denkt auch sie hin und wieder über einen Plan B nach. Und der könnte so ähnlich aussehen wie der Karriereweg von Silke Weigele. (HB)

Lara Sogorski

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