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Wirtschaft: Johannes Beeskow

Geb. 1915

Sein Gesellenstück war ein Cabrio, sein großer Wurf die „Banane“. Gott hatte es noch leicht. Er schuf den Menschen einfach nach seinem Bilde. Das war keine Kunst, das war genau genommen ein Plagiat. Aber wie entwirft man etwas, das es noch gar nicht gibt? Johannes Beeskow hatte es schon schwerer.

1928 bekam die berühmte Berliner Hofwagenfabrik Jos. Neuss einen neuen Lehrling. Eine Hofwagenfabrik ist eine Fabrik, die Kutschen herstellt. Weil aber schon das Wort Kutsche irgendwie der Gegenbegriff zu aller höheren mobilen Formgebung ist, legte man besonderen Wert auf das zukunftsfähige „Wagen“ im Namen. Seit der Jahrhundertwende stellte Neuss vor allem unvollständige Kutschen her, nämlich solche, die ohne Pferd vorn auskamen.

Eine Kutsche, auch wenn sie pferdelos ist, ist doch noch immer eine Kutsche. So lautete die stillschweigende formgestalterische Voraussetzung des frühen Automobilbaus. Der Bauhausarchitekt Walter Gropius hingegen neigte zu der Ansicht, so ein Automobil sei auch nur ein Haus, zwar eins mit Rädern, aber genauso hoch und eckig. Automobil. Der Selbstbeweger. Das war einmal ein Titel Gottes. Johannes Beeskow war auf der Welt, um diesem gottgleichen Wesen der neuen Zeit ein angemessenes Erscheinungsbild zu geben. Das hieß: kompromisslose Entkutschung! Und nieder mit den Häusern auf Rädern!

Als Johannes Beeskow Lehrling bei Neuss wurde, sah es nicht gut aus für das Automobilwesen. Das lag an der Weltwirtschaftskrise. Von 100000 Beschäftigten der deutschen Automobilindustrie waren 1932 gerade noch 30000 übrig. Und auch bei Neuss machte man sich Sorgen. Kein Kaiser mehr, der einen grandiosen Torpedo-Wagen bestellte, um ihn dem türkischen Kriegsminister Enver Pascha zu schenken.

Und wo blieben die Herzöge und Grafen? Johannes Beeskow dachte mitten in der Krise über ein Opel-Chassis nach. Ein Chassis ist das Elementarauto – Räder, Motor usf., das, was am Auto der Straße am nächsten ist, weshalb man es auch die „Bodengruppe“ nennt. Was obendrauf kommt, bestimmte er. Johannes Beeskow entwarf ein bemerkenswert entkutschtes, unhäusliches viersitziges Cabrio auf Opel-Unterbau. Das war sein Gesellenstück. Er bekam einen Preis dafür.

Im Frühjahr 1933 wurde vieles anders. Beeskows Chef hörte auf, und die nicht minder berühmte Firma Erdmann & Rossi übernahm ab sofort Aufträge, Material und Personal. Auch im übrigen Deutschland wechselte gerade das Personal. Noch im Februar eröffnete Adolf Hitler die Deutsche Automobilausstellung, die im vergangenen Oktober wegen der Wirtschaftskrise ausgefallen war. Beeskows neue Arbeitgeber stellten viele Stücke aus, unter anderem einen Sportwagen auf Mercedes-Untersatz in Metallic-Gold. Misstrauisch besahen Besucher das Kuriosum. Das da war so rund, dass einem ganz schwindlig davon wurde. Mercedes bestimmte, dass sein Stern umgehend von diesem „Fahrzeug“ abgebaut werden müsse, weil so niemals eine Mercedes-Kühlerhaube aussieht. Erdmann&Rossi hatten sogar die Kühlerhaube verformt. Aber Johannes Beeskow, schon bald Chefkonstrukteur bei Erdmann&Rossi, war begeistert. Solche Automobile würde er bauen. Jedes anders rund. Von elegant-flachrund über verwegen- flachrund bis zu riskant-flachrund.

Zwar kam nun nicht mehr der Kaiser, aber dafür kamen viele Schauspieler, Reichsminister, übrig gebliebene Grafen, Industrielle, Verleger: Wir wollen mal wieder ein Auto bauen! Auf die Idee, ein Auto zu fahren, das andere auch haben, kam niemand. – Jedesmal wurde es in Originalgröße auf eine riesige weiße Wandtafel gezeichnet. Dann entstand ein Holzstangenmodell, dann kamen die Bleche oben drüber. 1938 erschien ein Herr in Beeskows Büro und wollte ein viersitziges Sport-Cabrio auf einem 3,6-Liter-Opel-Chassis. Opel war inzwischen vorwitzig genug, seine „Bodengruppe“ gleich mit Windschutz, Motorhaube, Kühlerattrappe und Vorderkotflügel auszuliefern. Entsetzlich!, befand der Herr und ließ alles abmontieren. Denn wer außer ihm und seinem Konstrukteur dürfte befugt sein, über die spezielle Rundflachheit seines ganz individuellen Vorderkotflügels zu entscheiden? Und darüber, wie der Hinterkotflügel diese Rundheit aufnimmt? Und darüber, wie breit die Trittbretter sein dürfen? Beeskow und seine Mitarbeiter notierten alles. Auch die Überlänge der als Schlafsitze zurückklappbaren Fahrersitze. Und ohne Mittelritze bitte! Nur bei dem Kundenwunsch, die Seitenscheiben in den Fenstern mit elektrischem Antrieb auszustatten, zögerte er unmerklich. Ein solcher Antrieb ist noch gar nicht erfunden, gab Beeskow zu bedenken. Das macht nichts, ich erfinde ihn gerade, antwortete der Herr. Zwei Monate später fuhr ein schwarzes elegantes Sportcabriolet mit elektrischem Scheibenantrieb vom Hof der Erdmann&Rossi-Fabrik in Halensee.

Sieben Jahre später lag sie in Trümmern. Und mit ihr die große Zeit des Automobils als Kunstwerk. Und doch hatte der ehemalige Chefkonstrukteur von Erdmann&Rossi seinen größten (Ent)Wurf, der ihn weltberühmt machte, noch vor sich.

Er hatte da so eine schöne VW-Bodengruppe aus den Trümmern gerettet. Die sollte mal ein Wehrmachtswagen werden, aber nun... Auf der Automobilausstellung 1949 stand die Verkörperung der Stromlinie da, ganz flach, ganz rund, der VW im Abendkleid, die „Banane“. Victor de Kowa und Gregory Peck kauften sich auch eine.

Beeskow und die Aerodynamiker aller Länder hatten endgültig gegen die Haus- und die Kutschenfraktion gewonnen. Aber wie sollten sie gegen die Automobilindustrie gewinnen? Johannes Beeskow widmete sich bis zur Rente einer eigentümlich befriedigenden Tätigkeit. Er ließ die Dächer von VWs und BMWs abschneiden, um wieder schöne Autos daraus zu machen. Das wurden dann die Karmann-Sport-Coupes und -Cabrios. Man liebte seine Autos noch immer.

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