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Wirtschaft: Jürgen Frieß

Geb. 1959

Hauptsache, es sieht gut aus: Auf der Suche nach dem perfekten Bild. Der ultimative Kick: Ein endloser High- way. Du und dein Traum. Zwölf Zylinder, sechs Liter, nein, nicht Sprit, sechs Liter Hubraum, von 0 auf 100 in fünf Sekunden. Keiner sonst auf der Strasse. Der Horizont nur einen Tritt aufs Pedal entfernt. Das Tier, das Kurven frisst. So in etwa. Und Schnitt.

Death Valley. Highway 190. Schlechte Windverhältnisse und nur eine Stunde Zeit zum Fliegen. Es regnet nie in Kalifornien, in dieser Woche schüttet es. Schlechte Vorzeichen allenthalben. Aber der Hubschrauberpilot ist ein absoluter Profi. Wie Jürgen Frieß auch und seine Freundin, die die Bildregie macht.

Zu dritt besteigen sie den Helikopter. Auf Jürgens Seite ist die Tür herausgenommen, die Kamera hat freie Sicht.

Ein „Erlkönig“, ein dem Publikum noch nicht bekanntes Automodell, soll abgelichtet werden. Das Auto wird aus einem Transporter ausgeladen, auf die Strecke geschickt, abgefilmt und wieder ins Versteck gebracht. Ein Imagefilm, im besten Fall Bilder, die selbst fundamentalistischen Fahrradfahrern Gänsehaut machen. Weil die Musik stimmt, und kein Stau stört. Easy Rider.

„Visuelles Merchandising“, darin war Jürgen Frieß perfekt. Man konnte ihn buchen, mit Kamera und allem drum und dran. Ein unkomplizierter Typ, wenn der Regisseur ihm nicht gerade die Mittagspause streichen wollte: „Heute mal für mich die Ausnahme, Jürgen…“

Ein Kameramann wird leicht als Handlanger unterschätzt, aber die Bilder, die wir sehen, und die im Gedächtnis bleiben, sehen wir durch seine Augen.

Real World. Das war eine Serie auf MTV. Da hatte er umsonst gefilmt, war vom Produzenten ausgetrickst worden. Die anderen Gefahren eines freien Kameramanns: Kanada, drei Monate durch die Wildnis für eine Dokumentation. Rohes Fleisch, hungrige Bären und eine Natur, die mehr ist als Kulisse.

Er war auf nichts festgelegt in seiner Arbeit, ausgenommen: sein Ideal des perfekten Bildes. Ein halbes Dutzend anderer Berufe hatte er durch, alle hatten sie etwas Künstlerisches gemeinsam: Make-Up-Artist. Die Welt aufhübschen. Das Schöne sehen. Den anderen die Augen öffnen. Oft an der Grenze zum Kitsch: Schöne Frauen, schöne Autos, schöne Landschaft. Kulisse für ein neues Produkt. Pirelli-Ästhetik.

Aber in seinen Bildern war noch etwas mehr. Gefühl fürs Tempo und den Trend. Und wenn das Licht gut ist, und das Wetter stimmt und die Location auch, plus 360 Grad Natur, dann entsteht nicht nur ein Werbefilm, dann werden Gefühle produziert.

„Wenn das mal nicht der Beginn einer wundervollen Freundschaft ist!“ Das strahlte er aus, auf Männer wie auf Frauen. Der Bogart-Faktor. Ein wenig wirkte er selbst wie eine Filmfigur. Coole Sonnenbrille. Immer Zigarette. Und wenn er mit einem schrottreifen Opel Admiral auf einem verschneiten Gelände Figuren in den Schnee schlitterte, dann war das Kult . Vor allem wenn gute Musik unterlegt war.

Und klar, als Videofilmer hatte er auch mal eine Band, Minimalpunk, der den Musikern selbst den meisten Spaß machte. Black Burst, der Name klingt martialisch, meint in Filmerkreisen aber nur ein technisch komplettes, inhaltlich leeres Signal. Eine Art Stimmgabel für die Kamera. Denn ohne perfekte Beherrschung der Technik keine unaufgeregte Neugier des Blicks.

Und wenn Jürgen Fries die Kamera schulterte, hatte das immer etwas total Souveränes, man sah: da hatte einer sein Instrument gefunden.

Short cut. Der Crash. Die Rotorblätter touchierten die Felswand. Ein Gefühl wie in der Waschmaschine. Wenn niemand kommt, dann war es das wohl, denkt sie, das Ding explodiert.

Der Helikopter war auf die Strasse geprallt. Die Leitplanke verhinderte den weiteren Überschlag. Bilder der Wüste, der Wildnis, Bilder, die überdauern. Black Burst. Der Pilot schwer verletzt. Jürgen Frieß tot. Susanne, die Frau, die er liebte, überlebt.

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