zum Hauptinhalt

Wirtschaft: Jürgen Stark ist Kandidat der Banken

Die Regierung will keinen Streit, sähe aber offenbar am liebsten einen ihrer Staatssekretäre als Notenbank-Chef

NACH WELTEKES RÜCKTRITT: WER WIRD BUNDESBANKPRÄSIDENT?

Berlin/Frankfurt (Main) (ro/ce/Tsp). Nach dem Rücktritt von Bundesbankpräsident Ernst Welteke stehen zwei Kandidaten für die Nachfolge bereit: Caio Koch-Weser (SPD), Staatssekretär im Bundesfinanzministerium, und Jürgen Stark, ehemals Staatssekretär in der Regierung Helmut Kohls (CDU). Stark ist Vizechef der Bundesbank und nimmt die Amtsgeschäfte wahr, seitdem die Staatsanwaltschaft wegen Vorteilsnahme gegen Welteke ermittelt. Koch-Weser gilt als der Wunschkandidat der Bundesregierung.

Am Freitagabend wurde auch Alfred Tacke, Staatssekretär im Wirtschaftsministerium, als möglicher Nachfolgekandidat gehandelt. „Focus-Online“ meldete, Bundeskanzler Gerhard Schröder und Finanzminister Hans Eichel hätten sich bereits im Laufe der Woche auf Tacke geeinigt. Im Finanzministerium hieß es dazu jedoch, eine Entscheidung sei noch nicht gefallen.

In den vergangenen Tagen war heftig darüber spekuliert worden, ob sich die Bundesregierung einen zweiten CDU-Mann an der Spitze einer ihrer Behörden leisten will. Nach dem Abtritt von Florian Gerster (SPD) bei der Bundesagentur für Arbeit war dort mit Frank Weise ein CDU-Mann nachgerückt. Aus Regierungskreisen verlautete nun aber, dass die Regierung keinen Wert auf eine öffentliche Auseinandersetzung um den Posten legt. Die Bundesbank ist wegen ihrer geldpolitischen Bedeutung unabhängig von der Bundesregierung. Üblicherweise ist der Nachfoger des Behördenchefs dessen bisheriger Stellvertreter.

Der haushaltspolitische Sprecher der Unions-Fraktion, Dietrich Austermann, forderte, es müsse schnell ein Nachfolger für Welteke gefunden werden. „Das muss eine Person sein, welche die Unabhängigkeit der Bundesbank garantiert“, sagte Austermann dem Tagesspiegel. Der CDU-Politiker sprach sich gegen den Staatssekretär im Finanzministerium, Caio Koch-Weser aus. „Es gäbe Leute, die offensichtlich besser sind“, sagte Austermann. Es wäre „dumm“, wenn die Bundesregierung dem Vizepräsidenten Jürgen Stark nur wegen seiner Nähe zur Union keine Chance gebe. „Ich erwarte, dass die Bundesregierung bei der Besetzung eines solchen Postens nicht kleinkariert denkt“, sagte Austermann dem Tagesspiegel. Stark lobte er als einen „ausgewiesenen Fachmann“.

Starks fachliche Qualifikation ist unbestritten. Doch weil Stark vor allem unter Bundeskanzler Helmut Kohl (CDU) und Finanzminister Theo Waigel (CSU) Karriere machte, galten seine Aussichten auf eine dauerhafte Beförderung durch die rot-grüne Regierung in Berlin bislang als begrenz. Bereits der Regierungswechsel vor über fünf Jahren verdarb Stark die Chancen auf den Bundesbank-Chefsessel. Wenige Wochen vor der Bundestagswahl im September 1998 war der studierte Betriebswirt zum Vizepräsidenten der Bundesbank ernannt worden. Aber als Bundesbankpräsident Hans Tietmeyer rund ein Jahr später aus Altersgründen aus dem Amt schied, hieß der Kanzler Gerhard Schröder (SPD). Und statt Vize Stark wurde der SPD-Mann Ernst Welteke Präsident. Unermüdlich schaltete sich Stark trotzdem seither ein in die Diskussionen um Konjunktur, Eurokurs und vor allem die Haushaltspolitik. Dabei ist die Einhaltung des europäischen Stabilitätspakts dem Bundesbankvize ein besonderes Anliegen: Schließlich hat er einen wichtigen Anteil am Zustandekommen des Pakts, der der rot-grünen Bundesregierung zuletzt viel Ärger bescherte.

Mit seiner beharrlichen Art erwarb sich Stark in den damaligen Verhandlungen der EU um den Stabilitätspakt, an denen er als Staatssekretär im Bundesfinanzministerium teilnahm, Respekt – handelte sich wegen seiner Unerbittlichkeit aber auch böse Kommentare aus dem einen oder anderen EU-Land ein.

In Bankenkreisen gab es am Freitag ebenfalls Zustimmung zum Rücktritt Weltekes: „Die Reputation der Bundesbank und der deutschen Geschäftsbanken hat nicht gelitten, aber Herr Welteke hat sich dumm verhalten und unverständlich auf die Vorwürfe reagiert“, sagte der Vertreter einer Geschäftsbank dem Tagesspiegel. „Der Fall des französischen Notenbankchefs Trichet zeigt: Wir haben typisch deutsch diskutiert. An der deutschen Finanzbranche wird nichts hängen bleiben“, sagte der Mann und spielte damit auf die Affäre des EZB-Chefs Trichet an, der in Frankreich wegen Bestechlichkeit vor Gericht stand und sein Amt erst nach einem Freispruch antreten konnte.

Einigkeit besteht in Bankenkreisen in der Einschätzung, dass die staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen gegen Welteke im Sande verlaufen werden. Kritik üben viele Banker aber auch am Verhalten von Finanzminister Hans Eichel und am politischen Gezerre, das in Berlin veranstaltet worden sei.

-

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false