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Wirtschaft: Jukos-Affäre verunsichert deutsche Firmen

Wirtschaft fürchtet Ende der Privatisierungspolitik in Russland / Kurse an der Moskauer Börse brechen erneut ein

Berlin / Moskau (brö/bac/HB). Die deutsche Wirtschaft sieht die Entwicklungen in Russland mit Sorge. Die Beschlagnahme von JukosAktien durch den Staat könne die Geschäfte dort vorübergehend beeinträchtigen, sagte Anton F. Börner, der Präsident des Bundesverbandes des Groß- und Außenhandels (BGA). „Die Unternehmen sind verunsichert, weil sie um die Rechtssicherheit fürchten. Deshalb werden laufende Engagements sicher nicht verstärkt“, kommentierte er. Dies betreffe den Handel mit der ehemaligen Supermacht sowie die Investitionen dort. Insgesamt werde der Warenaustausch mit Deutschland aber kaum beeinträchtigt. „Wir erwarten nicht, dass die Privatisierungspolitik nun beendet wird“, sagte Börner.

Die russische Justiz hatte am Freitag 44 Prozent der Jukos-Aktien beschlagnahmt. Bereits am Samstag war der Jukos-Chef Michail Chodorkowskij in einer Aufsehen erregenden Aktion von Sicherheitskräften festgenommen worden. Chodorkowskij gehört zu den Oligarchen, die während der Privatisierungen in den 90er Jahren mächtige Industrieimperien aufbauten. Auslöser der Beschlagnahme-Aktion war offenbar die gestrige Aufsichtsratssitzung von Jukos, auf der eine Zwischendividende in Höhe von zwei Milliarden Dollar beschlossen worden war. Hauptnutznießer dieser Rekordausschüttung wäre Jukos-Hauptaktionär Chodorkowskij gewesen. Kurz danach beschlagnahmte die Staatsanwaltschaft das Jukos- Aktienpaket der Menatep-Gruppe. Diese Aktien gehörten mehrheitlich Chodorkowskij, der Rest Top-Managern des Unternehmens.

„Damit können keine Entscheidungen in Aufsichtsrat oder Hauptversammlung mehr ausgeübt werden, denn die Mehrheit der Stimmrechte sind blockiert“, sagte ein westlicher Anwalt in Moskau. Auf Eis gelegt ist somit nicht nur die Dividenden-Zahlung, die auf einer außerordentlichen Hauptversammlung am 28. November abgesegnet werden sollte, sondern auch ein möglicher Verkauf eines großen Aktienpakets an amerikanische Ölmultis. Im Gespräch waren Exxon Mobil und Chevron-Texaco. An der russischen Börse wurde die Beschlagnahmeaktion als Form einer erneuten Verstaatlichung des Ölkonzerns gewertet. Die Jukos-Aktie brach um zwölf Prozent ein, der russische Aktienindex RST um gut acht Prozent.

Die in Russland vertretenen deutschen Energiekonzerne reagierten zurückhaltend. „Wir können die Vorgänge nicht ausreichend bewerten, weil wir sie im Detail nicht kennen“, sagt ein Sprecher der BASF-Tochter Wintershall. Das Unternehmen Wintershall betreibt gemeinsam mit dem russischen Energiekonzern Gazprom den zweitgrößten deutschen Erdgasversorger Wingas. Den Turbulenzen um Jukos zum Trotz baut das Wintershall seine Aktivitäten in Russland aus. Wintershall gab am Donnerstag bekannt, im kaspischen Meer nach Öl zu suchen. Ein Investitionsvolumen nannte Wintershall nicht. Ruhrgas-Chef Burckhard Bergmann hielt sich ebenfalls bedeckt: „Unsere Zusammenarbeit mit Russland ist langfristig angelegt und ist auch in der Vergangenheit nicht durch Einzelereignisse irritiert worden.“ Ruhrgas bezieht rund 30 Prozent seines Gases aus Russland und ist an Gazprom mit 6,5 Prozent beteiligt.

„Das Ausland und die Öffentlichkeit müssen sehr genau hingucken, ob es noch Rechtstaatlichkeit in Russland gibt. Das ist wichtig für die weitere Wirtschaftsentwicklung", sagte Christof Rühl, Russland-Chefökonom der Weltbank. „Es darf nicht der Eindruck entstehen, dass es um eine Umverteilung von Eigentum oder eine Revision der Privatisierung geht.“ Genau dafür gibt es aber etliche Indizien. Zwar wollte Präsident Wladimir Putin noch am Donnerstagabend bei einem Treffen mit Investmentbankern im Kreml die Gemüter beruhigen. Gleichzeitig stellte jedoch der russische Innenminister Boris Gryslow indirekt die Privatisierung der gesamten russischen Rohstoffbranche in Frage. „Russlands Bodenschätze gehören keinen Unternehmen oder Einzelpersonen, sondern dem russischen Volk“, sagte er. Auch der dem Kreml nahe stehende „Rat für Nationale Strategie“, der mit einer Studie zum Kampf gegen die Oligarchen die Ermittlungen gegen Jukos ausgelöst hatte, verlangt in einem neuen Strategiepapier „die Wiederherstellung staatlicher Kontrolle über die strategischen Sektoren der russischen Industrie: Öl, Gas, Metallurgie und Transport.“

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