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Wirtschaft: Käthe Ebendorf

(Geb. 1907)||Sie hatte eine böse Stiefmutter. Eine wie aus dem Märchen.

Sie hatte eine böse Stiefmutter. Eine wie aus dem Märchen. Jedes Mal, wenn sie Dresche bekommen hatte, und das geschah sehr oft, nahm Käthe ihre graue Katze, zerrte sie an den Vorderpfoten die Treppe hinauf, heulend, und ging mit ihr ins Bett. Da war sie noch klein, vielleicht sieben oder acht. Als sie älter wurde, rannte sie weinend ins Büro ihres Vaters, des Polizeioberinspektors von Forst in der Lausitz. Mit offenen Haaren und puterrotem Gesicht, so, dass alle es sehen konnten. Geholfen hat das auch nicht viel.

Ihre Kindheit war schwer, manchmal sogar die Hölle, sagte Käthe später. So schlimm, dass man besser nicht darüber spricht. Schon gar nicht vor den eigenen Kindern. Die könnten ja Schaden nehmen an so viel Missgunst, Boshaftigkeit und hässlicher Gewalt. Aber wie konnte sie glaubhaft machen, dass ihre Liebe unter einem dicken Schutzpanzer verborgen lag, wenn sie nichts von ihrer Kindheit erzählte? Weil Gott sowieso alles weiß, beschloss Käthe, schonungslos aufzuschreiben, was ihr widerfahren war. 45 Seiten sind es geworden, in gestochen scharfer Handschrift. Ein Graphologe wäre begeistert von ihren souveränen Kringeln und Schwüngen und der Linientreue ihrer Buchstaben.

In Käthes Hölle herrschte eine böse Stiefmutter, wie man sie sonst nur aus einschlägigen Märchen kennt. Käthe nannte sie „Madame“ oder „gnädige Frau“, weil sie eine große Dame sein wollte und die Kinder wie Lakaien behandelte. An den guten Tagen. An den schlechten schlug sie um sich, einfach, weil sie „eine Wut im Leib“ hatte. Ihr Vater, eigentlich ein lieber Mensch, sei dieser Frau hörig gewesen, schreibt Käthe. Statt seine Kinder zu verteidigen, traf er sich mit ihnen konspirativ im Kohlenkeller, um Absprachen für die nächsten Tage zu treffen.

Käthe und ihre Schwester Herta bekamen Klavierunterricht. Nur üben konnten sie nicht, weil der Salon mit dem Piano stets abgeschlossen war und der Schlüssel von der Madame gehortet wurde. Sie spielte schließlich selbst Klavier und duldete neben sich kein aufblühendes Talent. Als Käthe konfirmiert wurde und die geladenen Damen aus der Forster Oberschicht in der guten Stube etwas steif beisammensaßen, erging die Bitte an die Tochter, doch ein wenig Klavier zu spielen. Käthe: Ich kann nichts. – Madame, die Hände in den Hüften: Was, du kannst nichts? – Käthe: Ich darf ja nie üben. – Betretenes Schweigen, hilflose Blicke. Dann die Damen: Wie schade. Aber es wird ja auch Zeit. Dann gehen wir mal lieber.

Als sie aus der Tür waren, begann die Strafaktion. Madame war dazu übergegangen, die langen Haare ihrer Stieftochter auszureißen. Büschelweise.

Käthes Haare waren dick und schwer, ihr ganzer Stolz. 33 Haarnadeln kamen zum Einsatz, um die Pracht in langen geflochtenen Zöpfen um den Kopf zu drapieren. Weil Käthe in der Schule eher mäßige Leistungen zeigte, sagte ihr Vater: „Dein ganzer Verstand ist in die Haare gegangen.“ Käthe war ihm nicht böse deswegen. Irgendwie hatte er ja recht. Das Stillsitzen und Lernen war nichts für Käthe. Lieber saß sie im Park, lauschte den Vögeln und schwänzte die Schule. Pianistin wäre sie gerne geworden.

Die zwei kleinen Häuser, die der Vater besaß, waren der Madame nicht gut genug, also wurden sie verkauft. Man zog in die Innenstadt, Kottbusser Straße, erstklassige Wohnung. Im Salon lag ein Eisbärfell, überall standen schwere Eichenmöbel, Ledersessel im Herrenzimmer, kristallgefüllte Vitrinen im Esszimmer. Der Vater hatte genug Geld, seine Liebste mit großstädtischem Luxus auszustatten. Nur Dienstmädchen gab es nicht, weil Madame ja ihre Lakaien hatte: Käthe und Herta. Sie putzten, wuschen und nähten, immer in Angst, etwas falsch zu machen. Das Kochen übernahm die Großmutter. Eines Tages baten die Schwestern ihren Vater bei einem Treffen im Kohlenkeller, sie von zu Hause fortzubringen. Auf die Idee, dass er die Madame fortschicken könnte, kamen sie erst gar nicht.

Käthe lief von zu Hause weg, aber der Vater holte sie immer wieder zurück. Sie kam zur Ausbildung ins Lutherstift nach Frankfurt / Oder, ein Kinderheim. Dort putzte sie große Säle, arbeitete in der Waschküche und flößte Apfelmus in kleine Kindermäuler. Weil die Arbeit nie aufhörte und der Hunger auch nicht, meldeten sich viele Mädchen krank. Käthe leckte am Putzmittel, aber kein Organ sprach darauf an. Erfolgreicher waren vorgetäuschte Bauchschmerzen mit Verdacht auf Blinddarmentzündung. Käthe wurde operiert und verbrachte 14 herrliche Tage im Bett.

Mit den Menschen hatte Käthe keine guten Erfahrungen gemacht, bei den Tieren sah die Bilanz besser aus. Also ging sie aufs Land, arbeitete bei verschiedenen Bauern, mal im Haus, mal im Garten, wechselte die Stellen, wenn ihr was nicht passte oder der Bauer zudringlich wurde. So kam sie ins Dorf Wulkau an der Elbe. Dort war sie die Sensation, weil sie sich bei einem Besuch in Berlin die Zöpfe hatte abschneiden lassen. Käthe genoss es, frei zu sein, auch von der Last ihrer Haare. Sie legte Schminke auf, ging tanzen, machte den Männern schöne Augen, aber wenig Hoffnung und verliebte sich in den Bauernsohn Otto Ebendorf, den sie heiratete, als das erste Kind in ihrem Bauch heranwuchs. Mit der Hochzeit im März 1930, sie war 23 Jahre alt, endet Käthes Bericht. Ein Aschenputtel- Schluss, doch das Happy End ist nur vorläufig.

Otto verlässt seine Käthe, da haben sie schon drei Kinder. Käthe geht eine neue Beziehung ein, mehr aus der Not heraus. Es kommen zwei weitere Kinder, dann der Krieg, danach der Sozialismus. Käthe spielt die Orgel im Gottesdienst, lässt den Kirchenchor in ihrem Haus proben und schimpft auf die Kommunisten. Ein Piano kommt ins Haus. Was für eine Verschwendung, sagen die Leute. Den Klavierunterricht für ihre Kinder bezahlt Käthe mit Eiern und Geflügel. Als die Mauer gebaut wird, zieht sie zu ihrem jüngsten Sohn nach West-Berlin, findet eine Anstellung als Hausdame in einem Hotel. Abends summt sie Lieder von Zarah Leander. Am Ende ihres langen Lebens schläft sie ein. Bei ihrer Beerdigung, mitten im Januar, singen die Vögel.

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