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Wirtschaft: Kampf der Kulturen

Ein Riss geht durch die EZB. Deutsche Stabilitätskultur und französischer Interventionismus stehen sich unversöhnlich gegenüber

Frankfurt am Main/Mailand/Wien - Im europäischen Haus hängt der Haussegen schief. Der Beschluss der Zentralbank in Frankfurt am Main, schwächelnden Euro-Ländern durch den Kauf von Staatsanleihen unter die Arme zu greifen, hat zu einem Kampf der Kulturen geführt. Die am Montagmorgen demonstrierte Einmütigkeit nach dem Krisengipfel vom Wochenende war nur Fassade. In einer Telefonkonferenz der 16 Notenbank-Gouverneure hatten sich die beiden Deutschen im obersten Führungsgremium der Notenbank, Joachim Stark und Axel Weber, erbitterte Wortgefechte mit Franzosen und Italienern geliefert. Die deutsche Seite, so berichten Teilnehmer der Sitzung, sei kurz davor gewesen, die Hörer aufzulegen. Damit wäre das Gremium nicht beschlussfähig gewesen. Der Unmut der Deutschen richtet sich vor allem gegen die Willfährigkeit, mit der die Zentralbank den Wünschen der Politiker erlag. Die hatten eine konzertierte Aktion angemahnt. Ihr Wille geschah.

Anders als bei bisherigen Meinungsverschiedenheiten blieb der Groll diesmal nicht hinter verschlossener Tür. Dafür sorgte Bundesbank-Vorstandschef Axel Weber. In einem Interview mit der „Börsenzeitung“ sagte er: „Der Ankauf von Staatsanleihen birgt erhebliche stabilitätspolitische Risiken, und ich sehe diesen Teil des Beschlusses kritisch.“ Sein Vorvorgänger Helmut Schlesinger springt ihm bei. In einem Interview mit dem „Handelsblatt“ sagt er: „Die Zentralbank hat den Rubikon überschritten. Wir wollten damals ausschließen, dass die Notenbanken den Staat finanzieren.“

Während an der Spitze der Befürworter die Franzosen mit Zentralbank-Präsident Jean-Claude Trichet und die Italiener mit dem als Trichet-Nachfolger gehandelten Notenbankgouverneur Mario Draghi das Paket zur Griechenland-Hilfe verteidigen, wendet sich eine wachsende Zahl von Kritikern aus Deutschland gegen deren Vorgehen.

Die Mehrheit auch ausländischer Experten haben Weber und Schlesinger hinter sich. „Die EZB finanziert Staatsschulden, ohne klarzumachen, wie sie da wieder herauskommt“, sagt Unicredit-Chefvolkswirt Marco Annunziata. Aber auch der Franzose Trichet steht keineswegs allein da. Sein stärkster Verbündeter ist der Italiener Draghi. „Jetzt kann die Präsenz der Zentralbank jene Märkte stabilisieren, die für Anleihen einiger Staaten aufgehört hatten zu funktionieren“, sagte er. Auch der österreichische Notenbank-Gouverneur Ewald Nowotny verteidigte die Entscheidung. Mit welchen Instrumenten allerdings sie die Gefahr einer Inflation, die durch den Kauf von Staatsanleihen entsteht, eindämmen will, hat auch die Fraktion der Staatsinterventionisten bis heute noch nicht klargemacht. Schlesinger sagt: „Der Zentralbankrat kann beschließen, das Verfahren moderat anzuwenden – und auch auszusetzen.“

Das Zerwürfnis innerhalb der EZB reißt eine Narbe wieder auf, die längst verheilt schien: Es geht um die Unabhängigkeit der Hüter der Gemeinschaftswährung. „Ungeachtet aller Versuche der EZB, ihre Unabhängigkeit zu bewahren und sich im Abglanz der Bundesbank zu sonnen, hat sie sich als unfähig erwiesen, in einer Krisenzeit die Anweisungen der EU-Machtbasis zurückzuweisen“, schrieb Analyst David Zervos von Jeffries & Co. Das Zerwürfnis hat Tradition: Wenn es um die Geldwertstabilität im Euroraum geht, übernehmen die deutschen Ratsmitglieder stets die Rolle der Falken – das sind die Notenbanker, die stark darauf achten, Inflationsgefahren schon im Keim zu ersticken. Der übrige Rat der EZB, der unter der Fuchtel seines Präsidenten Jean-Claude Trichet steht, folgt willig dem Franzosen. Ihr lange begrabener Streit um die Unabhängigkeit der Zentralbank steht jetzt wieder auf der Tagesordnung.

Die Rolle Webers loben die Volkswirte. Für sie ist er eher der Held als der Märtyrer. Sylvain Broyer, Europa-Chefvolkswirt der französischen Bank Natixis, sagt: „Der sonst so vorsichtige Weber war diesmal extrem direkt.“ Was die Zentralbank geschafft habe, sei ein „Pyrrhussieg“. „Deshalb ist nicht ausgemacht, dass Weber damit seinen Chancen auf Trichet-Nachfolge geschadet hat.“ Zwar meint Marco Annunziata, Chefvolkswirt bei Unicredit, es sei ein bedauerliches Signal, dass die Zentralbank nun nicht mehr mit einer Stimme spreche. Aber Thomas Mayer, Chefvolkswirt der Deutschen Bank, meint, es sei richtig gewesen von Weber, seine eigene Meinung zu äußern.

Die Ökonomen küren damit vielleicht nicht den Wort- , aber doch den Oppositionsführer in der Zentralbank. Und der hat bekanntlich manchmal das Zeug dazu, neuer Anführer zu werden. HB

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