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Die Oranienstraße 45 in Kreuzberg: und die Grünberger Straße 73 in Friedrichshain waren die ersten Projekte in Berlin. Zehn Häuser gibt es inzwischen in der Hauptstadt, 50 Gruppen suchen noch nach Objekten.

© Kai-Uwe Heinrich

Kampf gegen steigende Mieten: Vom Hausbesetzer zum Hausbesitzer

Während die Politik noch um die richtigen Mittel im Kampf gegen steigende Mieten streitet, nehmen immer mehr Menschen die Sache selbst in die Hand. Sie tun sich zu Initiativen zusammen, kaufen Häuser und wohnen selbst darin.

Bunt und voller Plakate steht es da – das Gebäude in der Rigaer Straße 78. Was aussieht wie ein besetztes Haus, ist in Wirklichkeit eine Kapitalgesellschaft. Ein Widerspruch? Nein. Die Rechtsform der GmbH ermöglicht es den Bewohnern, ihr Gebäude vom Markt zu nehmen und zu verhindern, dass die Mieten weiter nach oben klettern. Das Modell verbreitet sich rasant, vor allem in Berlin.

Deutschlandweit haben sich 61 Hausprojekte für diese Form entschieden, 23 Initiativen stecken in den Vorbereitungen. Zusammen bilden sie einen Verbund, das sogenannte Mietshäuser Syndikat. Was nach Mafia klingt, ist eine Innovation auf dem Immobilienmarkt: Statt steigenden Mieten zu weichen, schließen sich die Bewohner zusammen und kaufen ihr Haus. Der Unterschied zur Genossenschaft: „Unser Modell ist langfristiger angelegt“, sagt der Architekt Bernhard Hummel, der ehrenamtlich für die Regionalgruppe Berlin-Brandenburg arbeitet. „Eine Genossenschaft kann die eigene Satzung verändern, bei unserem GmbH-Vertrag ist das nicht möglich, weil die Zustimmung des Syndikats nötig ist.“ So wird sichergestellt, dass das Haus in den Händen der Bewohner bleibt, auch wenn diese über die Jahre wechseln.

Angesichts steigender Mieten kommt das Syndikatsmodell in Berlin gut an. Nach Angaben des Online-Portals Immobilienscout24 kletterten die Mieten in Neukölln zwischen 2007 und 2010 um mehr als 23 Prozent. Die Kosten in den Syndikatshäusern bleiben dagegen relativ stabil. „Wir haben Mieten von 3,50 bis vier Euro in Kreuzberg“, sagt Hummel. „Vor acht Jahren war das Durchschnitt, heute ist das günstig.“ Die Mieten in den Syndikatshäusern seien oft bereits nach zehn Jahren deutlich geringer als in der Umgebung.

Zur Zeit berät das Berliner Büro nach Angaben Hummels etwa 50 Gruppen, die hier nach Häusern suchen. Zehn andere setzen das Modell bereits um. Anfang Mai erst nahm das Syndikat drei neue Berliner Projekte offiziell auf: Zwei haben in Neukölln Häuser gekauft, die Gruppe La Vida Verde baut in Lichtenberg ein Öko-Haus, das mehr Energie produzieren soll, als die Bewohner verbrauchen.

Gleich neu zu bauen statt alte Häuser zu kaufen, wird für die Projekte des Syndikats zunehmend attraktiver. „Ursprünglich waren Altbauten günstiger“, sagt Hummel. „Aber in Berlin sind die Preise in den Himmel geschossen.“ Bei einem Neubau wisse man wenigstens, was man brauche, und komme so auf bezahlbare Mieten. „Zuerst haben wir in Kreuzberg und Neukölln gesucht, aber wir fanden es schnell unrealistisch, da noch etwas Bezahlbares zu finden“, berichtet Daniel Tröder von La Vida Verde.

Protestcamp gegen steigende Mieten in Kreuzberg:

Der selbstständige Informatiker gehört zu den Initiatoren des Wohnprojekts. Im Herbst dieses Jahres soll der Bau beginnen, ein Jahr später will Tröder gemeinsam mit etwa 20 Leuten und einer Handvoll Kinder einziehen. Die Miete soll bei höchstens 8,50 Euro warm liegen. Ursprünglich wollten Tröder und seine Mitgründer ihr Projekt mithilfe einer Stiftung umsetzen, dann stießen sie auf das Mietshäuser Syndikat. „Uns war wichtig, dass mit dem Grundstück nicht spekuliert werden kann“, betont Tröder. „Das Syndikat bildet darüber hinaus ein Netzwerk von Leuten.“

Wie bekommt das Syndikat das nötige Kleingeld zusammen?

Die Beratung spielt eine große Rolle, vor allem wenn es darum geht, wie man den Hauskauf finanziert. Zunächst muss man das Stammkapital der GmbH-Gründung aufbringen, zusätzlich werden Kredite in sechsstelliger Höhe benötigt. So kostet das Projekt von La Vida Verde insgesamt 2,35 Millionen Euro. Das Syndikat hilft durch Kontakte zu Banken, die Kredite geben. Zudem ermutigt das Syndikat die Mitglieder, Direktkredite in ihrem Umfeld einzusammeln. „Von der Oma, von den Schulfreunden, von der Verwandtschaft – alle haben ein bisschen Geld herumliegen“, sagt Hummel. Das können sie statt bei den Banken auch für bis zu zwei Prozent Zinsen bei den Projekten anlegen. Eine Idee, die offensichtlich auf fruchtbaren Boden fällt: „Unsere Häuser sind noch nie an zu wenig Eigenkapital gescheitert.“ Zudem zahlt jedes Hausprojekt anfänglich zehn Cent pro Quadratmeter in einen Solidarfonds, mit dem unter anderem Anlaufkosten von Projektinitiativen finanziert werden.

Kreativer Protest gegen steigende Mieten:

„Der Solidargedanke stand am Anfang“, sagt Jochen Schmidt vom Mietshäuser Syndikat. Die Idee entstand Ende der 80er in Freiburg: Ein Verein kaufte alte Fabriken, um sie vor dem Abriss zu schützen. Um neue Projekte finanzieren zu können, wurde ein weiterer Verein gegründet, der 1993 in Mietshäuser Syndikat umbenannt wurde, zudem wurde ein Solidarfonds eingerichtet. 2003 traten als erste Berliner Projekte die Grünberger 73 und die Oranienstraße 45 bei. „In der Hausbesetzerszene kam die Frage auf, wie man langfristig so ein Haus sichern kann“, berichtet Hummel. Das Syndikat-Modell erschien als das beste.

Die alternative Hausbesitzerform löst auf offizieller Seite unterschiedliche Reaktionen aus. „Es gibt Regionen, in denen die Banken auf das Syndikat zugehen, und es gibt Banken, die haben Probleme mit dem Modell“, erläutert Schmidt. Das Gleiche gelte für Kommunen. In Berlin steht man dem Syndikat offen gegenüber. „Wir haben Respekt vor dieser Art des Mietens und der Häuserverwaltens“, betont Petra Rohland, Sprecherin der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung. Eine Zusammenarbeit wäre in Zukunft denkbar, meint die Sprecherin, denn die Ziele seien ähnlich. „Sie wollen günstigen Wohnraum für ihre Mitglieder schaffen und dauerhaft halten, das will auch der Senat“, sagt Rohland. „Alles was hilft, hier regulierend einzugreifen, ist eine gute Sache.“

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