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Meister Grill. Mehrere hundert Würstchen verkauft Thomas Brauße täglich an Bauarbeiter und Banker. 2011 will er nach London expandieren.

© picture-alliance/ dpa

Karriere: Bratwurst statt Bilanzen

20 Jahre war Thomas Brauße Banker, dann kam der Crash, der Job war weg. Seitdem betreibt er einen Imbiss – und will nicht zurück.

Frankfurt am Main - Ende Juli hatte sich Thomas Brauße als Limit gesetzt. Wenn sein Geschäft bis dahin läuft, macht er weiter. Jetzt ist klar: Der groß gewachsene kahlköpfige Mittvierziger macht weiter – mit seiner Frankfurter Imbissbude namens Worscht-Börse direkt hinter dem Messeturm und den Zwillingshochhäusern Castor und Pollux, dort, wo viele Banker ihren Geschäften nachgehen. Wie viele Bratwürste er jeden Tag aus seinem zum Imbiss umgebauten Linienbus heraus verkauft, sagt er nicht. „Dreistellig“, lässt er sich entlocken. „Es rechnet sich.“

Vor zwei Jahren saß Thomas Brauße noch selbst im Messeturm, im 21. Stock, als hoch bezahlter Investmentbanker für die US-Bank Instinet. Im dunklen Anzug mit Krawatte, nicht wie heute in T-Shirt und Jeans. Dann kam die Finanzkrise und im Dezember 2008 das Aus für das Frankfurter Büro von Instinet. Brauße war seinen Job los, aber er war vorbereitet. Die Worscht-Börse geisterte schon länger in seinem Kopf herum. Die Idee ging auf: Inzwischen beschäftigt Brauße einen fest angestellten Mitarbeiter und eine Aushilfe. Seine Schwester und er selbst kümmern sich um den reibungslosen Betrieb.

Nun will Brauße sogar expandieren. Spätestens 2011 soll ein Ableger der Worscht-Börse dort entstehen, wo das ganz dicke Geld rollt. In London, genauer gesagt in Canary Wharf, dem europäischen Bankenviertel schlechthin.

Brauße hat sich an diesem Mittag in den Schatten neben der Worscht-Börse zurückgezogen und raucht eine Zigarette. Vor den umgebauten Bus hat Brauße einen Wetterschutz aus Holz gesetzt. Alles hat seinen Platz, wirkt sauber. Für 2500 Euro hat er den Bus im Internet ersteigert. „Zuletzt gefahren ist er in Berlin-Fürstenwalde.“ 80 000 Euro hat der Ex-Banker in die Umrüstung des Busses und in den ganzen Stand an der Osloer Straße hinter dem Messeturm gesteckt. Nur eins fehlt noch: „Eine Klimaanlage muss noch her, drinnen ist es nicht auszuhalten“, sagt der Ex-Banker. Im Innern der Worscht-Börse herrschen tropische Temperaturen – 40 oder gar 45 Grad.

Brauße grüßt seine Kunden, die einen mit weißem Hemd und Krawatte aus den Bankerbüros des Messeturms, die anderen mit Helm, Arbeitshose und dicken Schuhen drüben von Tower 185, der Baustelle für einen neuen Wolkenkratzer, in dem 2011 rund 6000 Mitarbeiter der Unternehmensberatung Price Waterhouse Coopers einziehen sollen. „Zahlkräftige Kundschaft“, sagt Brauße. Er duzt jeden, ob Banker oder Bauarbeiter, gibt sich herzlich und ehrlich. Die Kunden schätzen den 1,97-Meter-Hünen als Typ, genauso wie die Qualität der Bratwürste und Pommes. Auch wenn Brauße heute nur noch 50 bis 60 Prozent seines alten Gehalts hat, wirkt er mehr als zufrieden.

Um 6.30 Uhr öffnet Brauße die Worscht-Börse, nachmittags um drei ist Schluss. 2,40 Euro kostet die Bratwurst, mit Pommes 3,80 Euro. Natürlich gibt es auch Kaffee und Kuchen

Vermisst er die Bank, die Hektik hinter den Bildschirmen? Keinen Deut, sagt Brauße und blinzelt hoch zum Messeturm. Als Leiter der Wertpapierabwicklung bei Instinet hatte er zeitweise 12 Mitarbeiter, hat gut, „sehr gut“ verdient. Aber nicht erst zum Schluss war ihm selbst das Geschäft nicht mehr geheuer. „Da wurde vieles schöngerechnet, es gab ein hohes Risiko, vieles war Lotterie.“ Nicht umsonst hat Brauße selbst schon seit 1992 nicht mehr spekuliert. Auch Freunden hat er keine Tipps gegeben, selbst wenn sie ihn dann Mistkerl gerufen haben. Heute ist er sein eigener Herr und überblickt das Risiko.

Mitunter diskutiert Brauße mittags mit der Bratwurst in der Hand mit Ex-Kollegen. Deshalb ist er sicher, dass sich wenig geändert hat. Neue Regeln seien nicht zu erkennen, schärfere Kontrollen an den Finanzmärkten auch nicht, sagt er mit festem Blick. Es sei wohl auch kaum möglich, dem System wirklich einen Deckel aufzusetzen. Die Zockerei geht weiter, die nächste Krise auf den Finanzmärkten kommt mit Sicherheit, glaubt er. Und saftige Boni würden weiter fließen. Brauße muss es wissen. Fast 20 Jahre war er Banker: zuerst bei der Kreissparkasse in Frankfurt-Höchst, dann Investmentbanker bei einem japanischen Broker in „Mainhattan“, danach acht Jahre bei der britischen Investmentbank Robert Fleming, bevor er 1997 schließlich zu Instinet in den Messeturm wechselte.

Brauße sieht noch mehr Missstände, beklagt Fehlverhalten und Dreistigkeit. Ihn stört, sagt er und wirft die Stirn in Falten, dass Banker komplizierte Produkte verkaufen, die sie gar nicht verstehen. Aber auch mit großen und kleinen Anlegern geht er ins Gericht: dass sie in vollem Bewusstsein große Risiken eingegangen sind und eingehen und wenn es schiefläuft auf Entschädigung pochen. Und dass am Ende immer der Steuerzahler und damit alle geradestehen müssen. „Wenn der Kapitalismus Mist baut, soll er auch dafür zahlen“, sagt er. Natürlich auch die Banken. Und trotzdem baut Brauße natürlich auch darauf, dass das System weiterläuft, dass die Banken wieder richtig auf die Beine kommen. Denn ohne Banken und Banker kann es auch keine Worscht-Börse geben. Nicht in Frankfurt. Und auch nicht in London. Das Investment des Ex-Investmentbankers soll sich schließlich lohnen. 25 Prozent Rendite freilich müssen es nicht sein. Aber sein Auskommen will auch Brauße trotzdem haben. Für sich und seine zwei Töchter. Und den schicken Audi will er natürlich auch weiter fahren.

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