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Alte Firma, neuer Chef: Was für die Unternehmensübernahme spricht - Gebraucht ist gut

Mehr als 1400 Berliner Unternehmer suchen jährlich einen Nachfolger. Die Chance, einen geeigneten Betrieb zu finden, ist so gut wie nie. Wann Existenzgründer auf Bewährtes zurückgreifen sollten.

Dreimal hatte Karl Thies geglaubt, die richtige Firma gefunden zu haben. Er sah sich die Unternehmen an, redete mit den Chefs. Doch jedes Mal Fehlanzeige. Einmal lag das Labor im Familienhaus des Altunternehmers – da fürchtete Thies, dass sich der Ex-Chef nicht aus der Firma zurückziehe. Ein anderes Mal verlangte der Inhaber von ihm, dass er Kunden mitbringen sollte. Beim nächsten Versuch, vermutet der Zahntechnikermeister, sei er „nicht der Wunschkandidat gewesen“. Doch der 52-Jährige gab nicht auf, suchte weiter, studierte Fachzeitschriften und stöberte im Internet in Nachfolgebörsen. Beim vierten Anlauf dann „sprang der Funke über“, sagt Thies. Einige Verhandlungsrunden später war er endlich am Ziel: Seit 1. August 2007 ist er der neue Chef eines Dentallabors in Friedrichshain und beschäftigt fünf Angestellte. Trotz der langen Prozedur sei die Übernahme der richtige Weg gewesen, findet Thies. „Eine Neugründung kam für mich nie in Frage. Es gibt schon zu viele Labore in Berlin.“

Laut dem Bonner Institut für Mittelstandsforschung (IfM) suchen in Berlin jedes Jahr gut 1400 Firmenchefs einen Nachfolger, etwa weil Söhne oder Töchter andere berufliche Wege eingeschlagen haben und die Chefs im Rentenalter die Firmen nicht einfach dicht machen wollen. Noch sind Unternehmer wie Thies aber die Ausnahme. Nachfolgegründungen machen nur einen Bruchteil aller Existenzgründungen aus. „Unter zehn Prozent sind es bei uns“, sagt Guido Wegner, Leiter des Gründercenters bei der Berliner Volksbank eG. „Doch es werden deutlich mehr werden“ prophezeit er. Die Chancen, ein geeignetes Unternehmen zu finden, sind jetzt so gut wie nie. Vor allem für Handwerker und Dienstleister sei die Übernahme eine interessante Alternative zur Neugründung, sagt Wegner.

Dabei kann man als Unternehmensnachfolger einiges gewinnen. Der neue Inhaber übernimmt nicht nur die Firma, sondern oft auch die Kunden und ein eingespieltes Mitarbeiter-Team. Läuft das Unternehmen, hat er außerdem gute Karten bei der Finanzierung. Sind die Bilanzen erfolgsversprechend und enthält der Business-Plan des Übernehmers eine positive Rentabilitätsvorschau, kann im Einzelfall die ansonsten geforderte Eigenkapitalquote von rund 25 Prozent unterschritten werden, erklärt Wegner. Das kann Thomas de Vries bestätigen. Er hat vor sieben Jahren den Steglitzer Malereibetrieb Aporius übernommen. „Wegen der guten Zahlen des Altinhabers und weil ich einen fundierten Businessplan vorlegen konnte, verlangte die Bank nur etwa zehn Prozent Eigenkapital“, sagt der 42-Jährige.

All dies spricht dafür, sich ins gemachte Firmennest zu setzen – doch nicht jeder Gründungswillige hat auch das Zeug zum Unternehmer. Neben fachlichem Know-how und unternehmerischem Denken sind Erfahrungen in Personalführung und Management gefragt. „Wer diese Erfahrungen nicht hat, sollten lieber neu gründen“, rät Andreas Gruner, stellvertretender Leiter des Kompetenzcenters bei der Landesbank Berlin. „Dann kann man langsam beginnen und mit der Firma wachsen.“ Außerdem braucht man jede Menge organisatorisches Talent, weiß Malermeister de Vries. „Ich muss so planen, dass jeder Mitarbeiter auf der Baustelle weiß, was er wann zu tun hat.“

Ein Nachfolgergründer sollte zudem wissen, dass er sich mitunter auf eine langwierige Suche einlassen muss. „Ein Übernahmeprozess kann vier bis acht Jahre dauern“, sagt Gruner von der Landesbank. Nicht immer finden Alteigentümer und potenzielle Nachfolger leicht zusammen. Zwar gibt es eigens dafür Unternehmensbörsen im Internet. Die deutschlandweit bedeutendste Plattform nexxt-change kooperiert sowohl mit der Industrie- und Handelskammer zu Berlin als auch mit der Handwerkskammer (HWK) Berlin. Doch aus Angst, Interna preiszugeben, verzichten viele Unternehmer darauf, sich im Netz zu präsentieren. So sind auf nexxt-change derzeit nur rund 170 Berliner Betriebe als Suchende registriert. Aber selbst wenn die potenziellen Übergeber und Übernehmer aufeinander treffen, ist längst nicht garantiert, dass der Wechsel zustande kommt. Manchmal passt Alteigentümern die Nase der Interessenten nicht. Oft sind die Erwartungen der Gründungswilligen überzogen: „Den Betrieb, den man sich erträumt, findet man selten“, sagt Manfred Schiller, zuständig für die Nachfolgebörse bei der HWK Berlin. Wer sich mit dem Gedanken trägt, eine bestehende Firma zu übernehmen, sollte folglich Kompromisse eingehen können – und Eigeninitiative an den Tag legen.

„Der Interessent erhöht seine Chancen, wenn er nicht nur die Inserate in Internetbörsen, Fachzeitschriften und Zeitungen durchforstet, sondern selbst Gesuche aufgibt“, sagt der Geschäftsführer des Instituts für Mittelstandsforschung, Frank Wallau. Und warum nicht Kaltakquise betreiben? Das heißt: mit offenen Augen durch die Stadt gehen, schauen, wo es interessante Betriebe gibt, deren Inhaber aufs Rentenalter zugehen und diese ansprechen. Oder, noch nahe liegender, dem eigenen Chef seine Absichten mitteilen.

So hat es Pierre Wieser gemacht. Vor anderthalb Jahren stieg er in die Bäckerei/Konditorei Wagner in Steglitz ein. Dass der ehemalige Chef so schnell ernst machte, hatte der 27-Jährige zwar nicht erwartet. Trotzdem sagte er nach kurzem Überlegen zu. Den Meisterbrief, der für die Leitung eines Betriebes nötig ist, hatte er bereits in der Tasche. Auf der Meisterschule erwarb er kaufmännische Kenntnisse. „Den Rest eignet man sich an“, sagt er. Vor knapp zwei Monaten hat Wieser die Bäckerei übernommen.

Sabine Hölper

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